Zum Hauptinhalt springen

Vereint durch die Bedrohung

Von Klaus Huhold

Politik

Die Intervention Russlands hat die Ukrainer laut Beobachtern näher zusammenrücken lassen. | Separatistische Tendenzen existieren, und Moskau kann diese weiter fördern.


Kiew/Wien. Kiew wurde wieder einmal in ein blau-gelbes Meer getaucht. Demonstrantinnen hatten ihre Fingernägel in den Nationalfarben der Ukraine lackiert, Kinder ließen blau-gelbe Luftballons aufsteigen, Flaggen wurden geschwungen. Zehntausende Ukrainer feierten kürzlich in der Hauptstadt den 200. Geburtstag des Nationaldichters Taras Schewtschenko und nützten den Anlass, um für die Einheit ihres Landes zu demonstrieren. Und nicht nur in Kiew kam es zu derartigen Kundgebungen, sondern auch in den russischsprachigen Städten Odessa und Charkow. Denn die Ukraine steht davor, zerrissen zu werden.

Die Halbinsel Krim, über die Russland die Kontrolle übernommen hat, scheint schon verloren. Hier werden die Bewohner in einem äußerst umstrittenen Referendum am 16. März über eine Loslösung von der Ukraine und einen Beitritt zu Russland abstimmen. Und generell zielen die jüngsten Interventionen Russlands - die Besetzung der Krim, die Nichtanerkennung der neuen Regierung, das Verstärken separatistischer Tendenzen im Osten und Süden des Landes - wohl darauf ab, einen weiteren Keil in das Nachbarland zu treiben. Nämlich zwischen dem vorwiegend ukrainischsprachigen Westen und dem großteils russischsprachigen Osten.

Allerdings: Laut Beobachtern erreicht Moskau mit seinem Verhalten genau das Gegenteil. "Es gibt jetzt eher eine verstärkte Einigung der Ukraine, gerade durch diese Intervention - zwar nicht auf der Krim, aber auf der Festlandukraine", sagt der deutsche Politologe Andreas Umland, der derzeit an der Kiewer Mohyla-Akademie lehrt. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen innerhalb der Partei der Regionen, der der gestürzte Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch entstammt, sowie innerhalb der Kommunisten ist für alle politischen Lager der russische Angriff auf die territoriale Integrität der Ukraine unannehmbar. Und auch die russischsprachigen und ukrainischsprachigen Bürger seien dadurch näher zusammengerückt.

"Eine Bedrohung von außen bedeutet immer eine Stärkung nach innen", sagt auch der Ukraine-Experte Michael Moser vom Institut für Slawistik an der Universität Wien. Er verweist darauf, dass schon die Proteste am Kiewer Maidan gegen Janukowitsch nicht nur von Westukrainern oder ukrainischen Nationalisten getragen wurden. Sondern dass sich daran auch Vertreter aus dem Süden und Osten des Landes und Angehörige von Minderheiten beteiligten - so war einer der ersten Getöteten auf dem Maidan ein Mitglied der armenischen Gemeinschaft. Die Schüsse der Scharfschützen von Janukowitsch und das russische Einschreiten haben demnach den Zusammenhalt noch einmal gestärkt. "Aus meiner persönlichen Sicht hat ein Erneuerungsprozess der ukrainischen Nation stattgefunden, hin zu einer kompakten multiethnischen und mehrsprachigen Gemeinschaft", meint Moser, der auch Präsident des Internationalen Ukrainistenverbandes ist.

Nur Minderheit will Anschluss an Russland

Allerdings ist nicht abzustreiten, dass es in Städten im Süden und Osten des Landes - etwa in Donezk oder Charkow - Demonstrationen gab, bei denen ein Anschluss dieser Regionen an Russland gefordert wurde. Es herrscht hier bei vielen Leuten durchaus Angst vor dem westukrainischen Nationalismus, dass dieser das Russische verdrängen will. Ängste, die von den russischen Medien, die in diesen Gegenden stark konsumiert werden, auch noch kräftig angeheizt wurden. Nun hat aber die ukrainische Regierung russische TV-Sender aus dem Netz verbannt. Die Begründung: Diese würden separatistische Tendenzen auf der Krim fördern. Es bleiben aber weiter die elektronischen Medien, die ebenfalls rege konsumiert werden.

Moser macht zudem darauf aufmerksam, dass Russland offenbar die Proteste massiv unterstützt. So wurden etwa laut dem Slawistikprofessor russische Demonstranten in Bussen in ukrainische Städte transportiert, hätten russische Provokateure Ausschreitungen angezettelt.

Es ist schwer einzuschätzen, wie stark die separatistischen Kräfte im Osten und Süden tatsächlich sind. Einen Anhaltspunkt bietet aber eine Umfrage des Kiewers Meinungsforschungsinstitut "Democratic Initiatives Foundation", deren Ergebnisse Anfang März präsentiert wurde. Demnach ist nur eine Minderheit für einen Anschluss ihrer Region an Russland: In Donezk etwa ein Drittel der Befragten, in Odessa 24 Prozent und in Charkow lediglich 15 Prozent.

Allerdings könnten diese Fliehkräfte Richtung Russland von Moskau verstärkt werden. Sei es durch Medien, sei es auch durch wirtschaftlichen Druck. So sind die Industrieregionen in der Ostukraine auf den russischen Absatzmarkt angewiesen, erklärt Umland. Macht nun Russland die Grenzen für ukrainische Waren dicht, dann könnte das zehntausende Bewohner der Region in die Arbeitslosigkeit werfen.

Die Unberechenbarkeit der Lage sorgt bei den Menschen in Kiew jedenfalls für große Beunruhigung, berichtet Umland. Hier wird nicht ausgeschlossen, dass Russland auch im Osten des Landes einmarschiert. Und viele Leute stellen sich die bange Frage, wohin die separatistischen Demonstrationen und die damit einhergehenden Provokationen Moskaus im Süden und Osten der Ukraine führen werden.

Enttäuscht seien laut Umland Revolutionäre, Demokratieaktivisten und proeuropäische Bürger von der EU - die ihrer Meinung nach Russland zu wenig entgegensetzt. "Dass viele EU-Politiker verlauten lassen, dass sie beunruhigt sind, wird hier nur noch mit Sarkasmus aufgenommen. Nach dem Motto: Anstatt beunruhigt zu sein, solltet ihr mehr unternehmen."