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Auf dem Maidan wächst die Unzufriedenheit

Von Gerhard Lechner

Politik

Hilflosigkeit gegenüber Russland - Rolle der Rechtsextremen unklar.


Kiew. Der Maidan im Zentrum von Kiew wirkt immer noch abwehrbereit: Das Zeltlager, in dem die Demonstranten gegen Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch monatelang ausharrten, ehe dessen Sturz gelang, ist nicht verschwunden. Auch die Autoreifen, deren Qualm im Herzen der ukrainischen Hauptstadt noch vor wenigen Wochen dominierte, stapeln sich immer noch in dem Protestlager. Und obwohl die Frühlingssonne die Stimmung auf dem Unabhängigkeitsplatz milder und entspannter erscheinen lässt, ist das Misstrauen greifbar - auch gegenüber der neuen Führung.

Ein Grund dafür ist der Umstand, dass die Übergangsregierung - besonders im Süden und Osten, wo sie ohnedies wenig Zustimmung hat - einige übel beleumundete Oligarchen als Gouverneure eingesetzt hat. Ein anderer ist die Hilflosigkeit Kiews gegenüber dem russischen Vorrücken auf der Krim. Dass die Ukraine nur 6000 einsatzbereite Soldaten zur Verfügung hat, dass Übergangspräsident Alexander Turtschinow auf der Krim nicht intervenieren will, um die Ostgrenze gegenüber Russland nicht zu entblößen, wird als demütigend empfunden. "Da die ukrainische Armee so schwach ist, melden sich jetzt viele Freiwillige auf dem Maidan für eine neue Nationalgarde", sagt der Osteuropa-Kenner Hans-Georg Heinrich der "Wiener Zeitung". Nationalbewusste Ukrainer blicken mit Sorge nach Russland, wo nahe der ukrainischen Grenze - in den Regionen Rostow, Belgorod und Kursk - ein Militärmanöver mit 8500 Soldaten stattfindet. Gerüchte gehen um, Russland bereite eine Invasion der Ukraine vor.

Die neue, 60.000 Mann starke Nationalgarde soll hauptsächlich aus Freiwilligen der sogenannten Maidan-Selbstverteidigungsgruppen zusammengesetzt sein. Aufgaben der Truppe sollen die Sicherung der Grenzen, der Kampf gegen den Terrorismus und die Wahrung der inneren Sicherheit sein. Ein Umstand, der nicht überall für Begeisterung sorgen dürfte: Unter den Maidan-Kämpfern befanden sich auch Anhänger des rechtsextremen "Prawy Sektors", dessen Anführer Dmytro Jarosch bereits angekündigt hat, bei der anstehenden Präsidentenwahl am 25. Mai zu kandidieren. Oder der Gruppe "Selbstverteidigung" des Andrij Parubi. Parubi und Jarosch gehören mittlerweile als Generalsekretär und Vize-Chef dem Nationalen Sicherheitsrat der neuen Regierung an. Die Uniform tauschte Jarosch gegen Anzug und Krawatte.

Dazu kommt noch die Beteiligung der Rechtsaußen-Partei Swoboda an der Regierung, die mit Oleh Machnizki den Generalstaatsanwalt stellt. Machnizki hatte Swoboda-Chef Oleh Tjahnybok vor Gericht verteidigt, nachdem sich dieser beleidigend über Juden geäußert hatte. Kein Wunder, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland sich über die Beteiligung nationalistischer und antisemitischer Kräfte in Kiew besorgt zeigt. Zentralrats-Präsident Dieter Graumann warnte davor, dass "radikale und menschenfeindliche Gruppierungen ihren Einfluss ausweiten".

Da wirkt es überraschend, dass Politikbeobachter in und außerhalb der Ukraine die Chancen der Radikalen bei den kommenden Präsidentenwahlen als verschwindend gering bezeichnen. "Jarosch und Tjahnybok liegen bei Umfragen jeweils unter drei Prozent", sagt Mykhaylo Banakh von der International Renaissance Stiftung in Kiew. Ein Befund, dem auch Heinrich zustimmt. Banakh sieht den Zenit der nationalistischen Welle überschritten: So würde die Swoboda-Partei auch in ihren Hochburgen im Westen des Landes an Unterstützung verlieren. Ihre Beteiligung an der aktuellen Regierung, die schmerzhafte Reformen verantworten wird müssen, dürfte auch nicht gerade popularitätsfördernd wirken.

Banakh sieht deshalb Udar, die nicht an der Regierung beteiligte Partei Witali Klitschkos, als Profiteur der jetzigen Situation. Mittelfristig ist auch eine Renaissance der "Partei der Regionen", deren Gründer Janukowitsch war, nicht ausgeschlossen.