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Die "Mutti" gegen die "Killerin"

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

13 Jahre sind genug: Der amtierende Bürgermeister tritt bei Wahl nicht mehr an.


Paris. Das Wahlkampf-Lächeln wirkt mechanisch, so oft zeigen es die Kandidatinnen. Seit Monaten geben sie Interviews, ziehen über Märkte und Messen in ganz Paris, schütteln Hände, verteilen Wangenküsschen. Immer leutselig, schlagfertig, offensiv. Die Augenpartien verraten Erschöpfung, aber die Rivalinnen kämpfen unermüdlich. Selbst wenn sie einander unversehens in die Arme laufen, wie auf einem Weihnachtsmarkt im Dezember, legen weder Nathalie Kosciusko-Morizet noch Anne Hidalgo ihre professionelle Freundlichkeit ab: "Ah bonjour, Sie auch hier, wie geht’s?" Knapper Händedruck, frostiges Lächeln und schnell weiter, Wähler werben. Die Kameras filmten die kurze, spröde Begegnung der Gegnerinnen genau.

Denn das Duell um Paris ist eines der spannendsten bei den französischen Kommunalwahlen, die am 23. und 30. März stattfinden. Nicht nur weil die Sozialisten, die als Regierung zurzeit keine gute Figur machen, ihre Bastion erstmals seit 2001 verlieren könnten. Sondern auch wegen der so reizvollen Unterschiedlichkeit der Frauen, die für die beiden großen Parteien, die Sozialisten und die bürgerlich-konservative UMP, antreten. Während die 40-jährige UMP-Kandidatin Kosciusko-Morizet sich selbst als erbarmungslose "Killerin" beschreibt, haftet der 56-jährigen Sozialistin Hidalgo der Ruf einer netten, aber farblosen "Mutti" an.

Nathalie Kosciusko-Morizet, die von Diplomaten und Politikern abstammt und eine Elitehochschule absolviert hat, gilt als Polit-Star, seit der damalige Präsident Nicolas Sarkozy sie erst zur Umweltministerin und 2012 zu seiner einzigen Wahlkampfsprecherin machte. Man nennt sie "NKM" - wie eine Marke.

Ihr steht mit Anne Hidalgo die Tochter spanischer Einwanderer gegenüber, die mit Bescheidenheit und Fleiß punktet, aber nicht mit Charisma. Eine Gemeinsamkeit haben sie: den Ehrgeiz, Bürgermeisterin von Paris zu werden. Als erste Frau in diesem Amt. Den Bewerbern der anderen Parteien werden keine Chancen eingeräumt.

Hidalgo überraschte mit Kandidatur Weggefährten

Sagen Umfragen Hidalgo einen leichten Vorsprung voraus, so bleibt der Ausgang ungewiss, auch wegen einer befürchteten hohen Enthaltung. Das verschärft den Kampf: Während die Sozialisten "NKM" als Opportunistin kritisieren, die Paris nur als Karriere-Sprungbrett nutzen wolle, tut deren Lager Hidalgo als "Kandidatin des Systems" ab, die mitverantwortlich für die Probleme mit der Sicherheit oder die horrenden Mietpreise sei. Tatsächlich erscheint es aber eher als Trumpf Hidalgos, sich auf die Popularität des beliebten scheidenden Bürgermeisters Bertrand Delanoë stützen zu können. 13 Jahre lang arbeitete sie als stille Stellvertreterin an seiner Seite. Dass sie nun seine Nachfolge antreten will, überraschte auch Weggefährten. Doch nach dem lauen Kampagnen-Start hat sich Hidalgo von ihrem Mentor emanzipiert. "Jetzt ist sie groß geworden", erklärt ihr Wahlkampf-Leiter Jean-Louis Missika. Im eigenen Lager Autorität, ja Legitimität zu erlangen, sei das Härteste gewesen, sagt sie selbst. Gerade als Frau. Doch ihr Geschlecht kann sich auch als Vorteil erweisen. Einer Umfrage zufolge wünschen sich 70 Prozent der Franzosen mehr Frauen an der Spitze der Rathäuser - wenn auch nur 54 Prozent in ihrer eigenen Stadt oder Gemeinde. Bisher sind nur 13 Prozent der Stadtoberhäupter weiblich.

Die Programme der Kandidatinnen unterscheiden sich nur in Details. Beide wollen die kulturelle Vielfalt fördern, mehr Grünflächen und Fußgängerzonen, den Ausbau der Radwege und des öffentlichen Verkehrs. Beide versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen. Hidalgo setzt sich für mehr Sozialwohnungen, Kosciusko-Morizet für bezahlbaren Wohnraum für die Mittelschicht ein. Diese geringen Unterschiede und die Attraktivität der Bewerberinnen erklären wohl auch die große Rolle, die Äußerlichkeiten in diesem Wahlkampf spielen. Oft geht es um Vergleiche zwischen Hidalgos sportlichem Outfit mit weiten Parkas und bequemen Schuhen und der erlesenen Garderobe der grazilen Kosciusko-Morizet mit ihrem Porzellan-Gesicht und ihrer rotblonden Mähne. Ein Händchen für mediale Selbstinszenierung zeigte die Mutter zweier Söhne bereits 2009, als sie hochschwanger für das Boulevard-Magazin "Paris Match" posierte.

Nun ging ein Versuch, sich in Szene zu stellen, allerdings gründlich schief. Ein Foto, das NKM in Lederjacke und abgewetzter Jeans rauchend mit Obdachlosen zeigt, provozierte Empörung und Hohn. "Wenn du heute Abend einen Sandler draußen vor deiner Tür schlafen siehst, ruf nicht die Polizei, vielleicht ist es NKM", spottete ein Nutzer auf der Online-Plattform Twitter. Dabei wollte sie wohl ihr großbürgerliches Image abstreifen, das ihr bei der alternativen, progressiven Wählerschaft im Weg steht, während sie konservativen Bürgern nicht rechts genug ist. Bei der Abstimmung über die Homo-Ehe enthielt sie sich, gegen die Linie ihrer Partei. Sie verfasste ein Pamphlet gegen den rechtsnationalen Front National, verteidigte aber als Sarkozys Wahlkampfsprecherin Thesen, die dieser Partei am rechten Rand nahestehen. Auch dass Kosciusko-Morizet noch weiter hinaus und Frankreichs erste Präsidentin werden will, ist bekannt. Schon bei Jacques Chirac, einem ihrer ersten Förderer, der sie später eine "Nervensäge" nannte, erwies sich das Amt als Pariser Bürgermeister als hervorragende Ausgangslage. Hidalgo hingegen versichert glaubhaft, ihr größtes und einziges Ziel sei das Rathaus von Paris. Sie könnte es erreichen.

"Muskeln zeigen" - egal ob Sieg oder Niederlage

Dabei startete der "Star" NKM derart als Favoritin in den Wahlkampf, dass selbst die ehrgeizige konservative Ex-Justizministerin Rachida Dati auf eine Bewerbung verzichtete. Doch wie Hidalgo traf Kosciusko-Morizet ihre größten Feinde im eigenen Lager: In einigen Stadtteilen stellten Dissidenten eigene Wahllisten auf. Die Vetternwirtschaft, die die Konservativen 2001 nach mehr als 100 Jahren den Pariser Bürgermeister-Titel kostete, lebt dort weiter. So will der in Korruptionsaffären verstrickte Stadtteil-Bürgermeister Jean Tiberi seinem Sohn Dominique das Amt übergeben - der gegen Kosciusko-Morizets Kandidatin antritt. Was letztlich den Sozialisten hilft.

Die Unterstützung durch Sarkozy mit einem gemeinsamen Auftritt drehte sich schließlich gegen NKM, da er ihr schlichtweg die Show stahl. "Auch wenn du verlierst, ist das ein Sieg, weil du deine Muskeln gezeigt hast", soll er ihr da zugeraunt haben. Und zumindest wurden die Bürger von Paris Zuschauer eines leidenschaftlichen Wahlkampfes.

Französische Kommunalwahlen

(biho) Bei den Kommunalwahlen werden die französischen Wähler in zwei Runden am 23. und 30. März an die Urnen gerufen.

Während die regierenden Sozialisten eine Abstrafung der unzufriedenen Franzosen fürchten, kommt auch die größte Oppositionspartei, die konservative UMP, nicht aus den Korruptionsvorwürfen und Abhörskandalen heraus. Befürchtet werden daher eine hohe Stimmenthaltung und ein Erfolg für den rechtsnationalen Front National.

Besonders umkämpft sind die großen Städte Marseille und Paris. In der Hauptstadt werden nicht nur einzelne Stadtteil-Bürgermeister und -Räte gewählt, sondern auch Stadträte.

Eine Woche vor dem ersten Durchgang wabert noch anderes Thema im wahrsten Sinne des Wortes durch Frankreich: Ein trüber Smog-Schleier hat sich nicht nur über die französische Hauptstadt gelegt, sondern auch in anderen Regionen des Landes hat die Luftverschmutzung in den vergangenen Tagen eine kritische Grenze erreicht. Ein Hochdruckgebiet mit kühlen Temperaturen in der Nacht und warmem Frühlingswetter am Tag verhindert die Zerstreuung schädlicher Feinstaub-Partikel, die teilweise als krebserregend eingestuft werden. Dadurch hat sich die Luftbelastung so dramatisch erhöht, dass nun die Behörden eingreifen.

Um einen Anreiz für die Menschen zu schaffen, ihre Autos in der Garage zu lassen, können sie in mehreren Städten alle öffentlichen Transportmittel gratis nutzen. Allein in Paris kostet das die Verkehrsbetriebe bis zu vier Millionen Euro pro Tag. Hier stehen zudem die städtischen Leihfahrräder und Elektroautos kostenlos zur Verfügung.

Als hauptverantwortlich für die Luftverschmutzung gilt neben Industrie in der Region um Paris das hohe Verkehrsaufkommen, zumal 60 Prozent der französischen Autos mit Diesel fahren, weil das Steuer-Vergünstigungen mit sich bringt. Seit 2011 läuft ein Verfahren in Brüssel gegen Frankreich, weil Paris die zulässigen Grenzwerte für Luftverschmutzung zu oft überschreitet. Vor allem die Grünen nutzen diese Gelegenheit, mit Forderungen hörbar zu werden und die Sozialisten im Wahlkampf anzugreifen. Bis zu den Wahlen dürften sich die Temperaturen aber wieder abkühlen.