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Barbie, Gasprinzessin, Märtyrerin

Von Gerhard Lechner

Politik

Timoschenko will Präsidentin der Ukraine werden. Dafür legt sich die Verwandlungskünstlerin wieder ein neues Image zu.


Kiew. Sie ist zurück auf der politischen Bühne. Julia Timoschenko, in der Ukraine nur kurz "Julia" genannt. Oder, noch kürzer, "Wona" - Sie. "Ich habe vor, für den Präsidentenposten zu kandidieren", sagte die frühere ukrainische Premierministerin am Donnerstag in Kiew. Am 25. Mai finden die Wahlen statt.

Es sieht freilich nicht so aus, als würde die 53-Jährige knapp vor dem Einzug ins Präsidentenamt stehen. In neuesten Umfragen liegt Timoschenko gemeinsam mit dem ehemaligen Boxweltmeister Witali Klitschko bei neun Prozent auf Rang zwei - ein eher magerer Wert für die Ikone der Orangen Revolution, die sich bei den Präsidentenwahlen 2010 dem Kandidaten des russischsprachigen Südostens, Wiktor Janukowitsch, nur knapp geschlagen geben musste.

Klitschko und die vor kurzem aus der Haft entlassene Timoschenko stehen im Moment im Schatten des haushohen Favoriten: "Schokoladenkönig" Petro Poroschenko. Der Inhaber eines beliebten Fernsehsenders und eines Süßwaren-Imperiums, Financier sowohl der Orangen Revolution als auch des "Euromaidan", liegt derzeit in den Umfragen weit vor allen anderen Kandidaten. Allein: Seine Kandidatur gilt zwar als wahrscheinlich, registriert hat sich der Mann aus dem russischsprachigen Südwesten der Ukraine aber noch nicht - und die Frist läuft nur noch bis Sonntag.

Kandidiert Poroschenko nicht, würde das Timoschenkos Chancen auf einen Sieg erhöhen. Klitschko, der seine Kandidatur schon lange fixiert hat, hat jedenfalls bereits den Wahlkampf eröffnet: "Ich halte es für gefährlich, wenn Einzelne jetzt sagen, dass die Russen ,fertiggemacht‘ werden müssten, notfalls mit Waffen", bezog sich der Boxer auf den jüngst publik gewordenen Telefonmitschnitt Timoschenkos. In dem Gespräch, das wohl von russischer Seite mitgeschnitten und im Internet publiziert worden war, wollte Timoschenko nicht nur dem russischen Staatschef Wladimir Putin "eine Kugel in den Kopf schießen", sondern hat auch angekündigt, "alle meine Kontakte zu nutzen und die gesamte Welt in Bewegung zu setzen, damit von Russland nicht einmal ein verbranntes Stück Erde bleibt". Im Mafia-Jargon sprach Timoschenko davon, dass sie, wäre sie jetzt an der Macht, einen Weg gefunden hätte, "diese Bastarde kaltzumachen".

Solche Töne kommen im russischsprachigen Südosten, aus dem Timoschenko selbst stammt - die Frau aus Dnipropetrowsk lernte erst nach ihrem 30. Geburtstag Ukrainisch - , zwar nicht so gut an. Dafür könnten diese Aussagen Timoschenko helfen, sich wieder einmal neu zu erfinden - diesmal als kompromisslose ukrainisch-nationale Kämpferin. Die 53-Jährige hat in ihrem Leben schon zahlreiche Wandlungen durchgemacht. In den 1980er Jahren arbeitete sie für den kommunistischen Jugendverband Komsomol, der als Startrampe für viele Karrieren diente.

Jeanne d’Arc der Ukraine

Auch für die Timoschenkos: Die Besitzerin eines Videoverleihs schaffte es in den 1990er Jahren in beeindruckendem Tempo über Aktivitäten im Gashandel zur millionenschweren "Gasprinzessin". Die junge Oligarchin, die zu dieser Zeit ihr brünettes Haar offen trug, setzte damals auf den "Barbie-Look", der Lebensgenuss versprach und dem in der postsowjetischen Gesellschaft ein revolutionärer Reiz anhaftete - als Gegenstück zu den puritanischen Frauendarstellungen der Sowjetzeit, als man Frauen am liebsten im Labor oder in der Kolchose zeigte.

Nach der Jahrtausendwende, nachdem sie aus einer kurzen Haft entlassen worden war, erweiterte und korrigierte sie das Barbie-Image: Mit der berühmt gewordenen Timoschenko-Frisur, dem blonden Haarkranz auf dem Kopf, erinnerte sie entfernt an die Nationalschriftstellerin Lesja Ukrajinka. Sie weckte auch Assoziationen an die altslawische Fruchtbarkeitsgöttin Berehynja, deren Standbild auch auch auf einer Säule am Maidan, dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, steht.

Dass Timoschenko, die immer ein Gespür für Symbolik besaß, ihren letzten Wahlkampf just am Fuß dieser Säule eröffnete, war kein Zufall. Ebenso wenig, dass sie 2011, während des Prozesses gegen sie, deutlich dezenter angezogen war als gewohnt: Beobachter stellten fest, dass Timoschenko beim Prozess und im Gefängnis die Rolle der Märtyrerin um des Volkes willen annahm, der Jeanne d’Arc der Ukraine. Ein Porträt der französischen Nationalikone, die als Ketzerin verbrannt worden war, hatte schließlich schon ihr Büro geschmückt.

Ob das Märtyrer-Image reichen wird, die Ukrainer zu überzeugen, ist freilich höchst fraglich. Jene, die auf dem Maidan demonstriert haben, haben - vorsichtig formuliert - keine große Sehnsucht nach einer Rückkehr der Politiker der Orangen Revolution. Man will einen totalen Bruch, einen Neuanfang und traut auch Timoschenkos Selbstinszenierungen nicht. Das russophile Lager, das derzeit ohnehin in Agonie liegt, hat Timoschenko mit ihren Aussagen verärgert. Es sieht nicht so aus, dass der Sprung ins Präsidentenamt für die Ex-Premierministerin ein leichter sein wird.