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Die Felle sammeln

Von Veronika Eschbacher

Politik

Seit der Absetzung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch zeigt dessen Partei der Regionen Zerfallserscheinungen. |Viele Abgeordnete sind ins Ausland geflüchtet.


Kiew. "Wir verurteilen die feige Flucht von Janukowitsch. Wir verurteilen den Verrat und die kriminellen Befehle." Der mittlerweile abgesetzte ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch war noch keine zwei Tage geflohen, da hatten seine ehemaligen Gefolgsleute aus der Parlamentsfraktion der Partei der Regionen schon eine Erklärung parat, in der sie maximale Distanz zu dessen gestürztem Regime herzustellen suchten. Jegliche Versuche, Janukowitsch umzustimmen, hätten ins Leere geführt, die "Millionen-Partei" sei "Geisel" einer korrupten Familie gewesen. Seither ist ein Monat vergangen. Die Partei hat sich weiter zersplittert und Massenaustritte auf allen Ebenen hinter sich - im Parlament, aus regionalen und lokalen Behörden.

Mittlerweile spricht kein Analyst mehr von der Partei der Regionen als einer Einheit. "Gegenwärtig befindet sich die Führung der Partei außerhalb des Landes, ein zweiter Teil wiederum kommt einfach nicht in die Parlamentssitzungen", sagt Viktor Zamjatin, Experte für Polit- und Rechtsfragen beim Kiewer Think Tank Razumkov Centre, zur "Wiener Zeitung".

So etwa war der Parteivorsitzende und Ende Jänner zurückgetretene Premierminister Mykola Azarow erst nach Wien zu seinem Sohn geflohen. Jetzt soll er sich in Russland aufhalten. Den letzten Nachrichten über den ehemaligen Außenminister Leonid Kozhara zufolge befindet dieser sich in Vietnam. Andrej Kljujew, der ehemalige Leiter des Präsidialamtes, soll bei seiner Flucht angeschossen worden sein, sich laut Angaben seines Bruders Sergej aber weiter in der Ukraine aufhalten. Der Verbleib des ehemaligen Energieministers Eduard Stawitskij, in dessen Haus vor kurzem unter anderem 42 Kilo Gold gefunden wurden, ist unklar - genau so wie der von Interimspremier Sergej Arbuzow. Mit Ausnahme von Kljujew gehörten alle zur sogenannten "Familie", dem engsten Kreis rund um Janukowitsch.

Abgeordnete schwinden

Der Rest der Partei, sagt Zamjatin, macht weiter Politik. Viel ist aber nicht mehr übrig von den mehr als 200 Abgeordneten, die ehemals zur Fraktion der Partei der Regionen zählten. 37 Abgeordnete haben sich in der neu gegründeten Fraktion "Wirtschaftliche Entwicklung" versammelt, weitere 36 Abgeordnete gründeten die Gruppierung "Souveräne europäische Ukraine". Sie stimmen im Parlament mit der regierenden Koalition. Andere sind nun unabhängig oder schlossen sich anderen Parteien an. In der Fraktion der Partei der Regionen sind etwa 120 Abgeordnete verblieben. Stimmten sie anfangs noch artig mit der neuen Koalition, haben sie später entschieden, sich bei allen Abstimmungen zu enthalten, gleich wie die zuvor mit ihnen koalierenden Kommunisten. "Der Grund für die Enthaltung ist wohl, dass ihnen keiner etwas für ihre Stimmen angeboten hat", sagt Zamjatin. "Ich wüsste aber auch nicht, warum man das tun sollte."

Manche Rückkehrer haben einen bemerkenswerten Zickzackkurs hingelegt. So etwa war nach dem Sturz Janukowitschs der ehemalige Parlamentssprecher Sergej Rybak tagelang verschwunden, bis er sich - offenbar nach einer notwendigen Denkpause - aus einem Krankenhaus meldete. Er führt nun interimistisch die Partei und erklärte diese Woche, man wolle nun klären, welche Parteimitglieder in Misskredit geraten wären. Die Präsidentenberaterin von Janukowitsch wiederum, Anna German, ist ebenfalls weiter politisch aktiv. "Es kann sein, dass manche Parteimitglieder Garantien bekommen haben, dass es aktuell keine Repressionen gegen sie gibt", mutmaßt Zamjatin über die Rückkehr mancher Politiker. Hier dürfte aber auch mitgespielt haben, dass sie sich von Janukowitsch distanziert habe. "German hat öffentlich gesagt, Janukowitsch sei nicht viel besser als der Teufel."

In der Partei der Regionen habe nun ein Umdenkprozess begonnen. "Über die letzten Jahre war diese Partei ja an der Macht und ähnelte ihrer Struktur und dem Handeln nach eher der Kommunistischen Partei der Sowjetunion oder Chinas", sagt Zamjatin. Die ganze Tätigkeit der Partei sei darauf fundiert gewesen, die Schritte des Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu unterstützen. "Und Janukowitsch gibt es nicht mehr."

So suchen die Reste der Partei nun ihre künftige Rolle. Am Freitag traf sich das verbliebene Politkomitte, um Weichenstellungen für die Zukunft zu legen. Schon im Vorfeld war angekündigt worden, dass man sich über bestimmte Parteimitglieder Gedanken machen müsse. So werden Mitglieder der "Familie" aller Voraussicht nach dieses Wochenende am Parteikongress ausgeschlossen.

Janukowitsch selbst, der den Ehrenvorsitz der Partei innehatte, kam dem am Freitag zuvor. In einer erneuten Wortmeldung aus Russland - in der er forderte, Referenden ähnlich wie auf der Krim über den zukünftigen Status von Regionen in allen ukrainischen Provinzen durchzuführen - bat er, ihn aus der Partei auszuschließen.

Für die Präsidentschaftswahl registrierten sich bisher zwei Mitglieder der Partei der Regionen. Die Kandidaturen waren dem Vernehmen nach nicht mit der Partei abgestimmt - für Beobachter ein weiteres Zeugnis dafür, wie kopflos die Bewegung aktuell agiert. Beiden werden aber keine Chancen zugerechnet - nicht nur, weil mit der Krim eine Hochburg der Partei der Regionen nun Teil Russlands ist. Sondern auch, so Zamjatin, weil die Partei mit dem assoziiert wird, was die letzten Jahre geschah: von ausufernder Korruption, der Nichtbeachtung von Menschenrechten, Hemmnissen für Unternehmer bis hin zur Vernichtung des Staatswesens.