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Sparkurs als soziale Zerreißprobe

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska aus Athen

Politik

Griechenland erhält schon bald nächste Kreditrate - doch die gesellschaftlichen Kosten dafür sind hoch.


Athen. Ihre Sprechchöre sind noch auf der Akropolis zu hören. Wenn sich die Demonstranten vor dem Parlament in Athen versammeln, um gegen Lohnkürzungen und Sparprogramme zu protestieren, dringen ihre Unmutsbekundungen bis auf den antiken Burgberg hinauf. Die Menschen versammeln sich immer wieder, sie empören sich über steigende Arbeitslosigkeit, zahlreiche Entlassungen, sinkende Gehälter und abnehmende Sozialleistungen - all die Maßnahmen, die die Regierung ergreifen musste, um mit internationalen Hilfskrediten das Land vor dem Bankrott zu retten. Die Reformprogramme waren die Anforderungen der Geldgeber-Troika aus Vertretern der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Die Troika wird denn auch für die prekäre Lage verantwortlich gemacht, in die etliche Griechen in den vergangenen Jahren gerutscht sind. Immer mehr Familien sind von Armut gefährdet. Die Zahl der Arbeitslosen ist innerhalb von sechs Jahren um eine Million gestiegen. In keinem anderen EU-Land haben so viele Menschen keinen Job: Ein Viertel der Bevölkerung ist ohne Beschäftigung, und bei den Jugendlichen ist es sogar mehr als die Hälfte. Bittere Schmähworte für die Troika finden sich daher sowohl in Zeitungskommentaren als auch auf Häuserwänden im für Touristen anziehenden Altstadt-Viertel Plaka. So können ebenfalls Besucher die auf Englisch verfasste und an Mauern gesprayte Kritik lesen.

Um sich der Vorwürfe bewusst zu sein, brauchen die Finanzminister der EU aber keinen Spaziergang durch die verwinkelten Gassen des Athener Zentrums zu unternehmen. Sie sind hier auf Einladung der Griechen, die derzeit den EU-Vorsitz innehaben, zu einer zweitägigen Sitzung zusammengekommen. Und auf ihrer Agenda stand nicht zuletzt die Debatte über Unterstützung für das Land, in dem die Schuldenkrise ihren Anfang nahm.

8,3 Milliarden Euro Hilfe

Der griechische Ressortleiter konnte sich dabei die Zustimmung seiner Amtskollegen zur Auszahlung einer weiteren Hilfstranche holen. Ein Kreditteil in Höhe von 6,3 Milliarden Euro soll noch Ende des Monats fließen, eine weitere Milliarde Euro soll jeweils im Juni und Juli überwiesen werden. Ein dafür von der Troika gefordertes Reformpaket hatte das Parlament in Athen erst vor wenigen Tagen nach monatelangen Verhandlungen beschlossen. Um der Kritik an den Vorgaben jedoch ein wenig entgegenzuwirken, wollten die Unionspolitiker Griechenland auch Lob zukommen lassen. EU-Währungskommissar Olli Rehn zollte den Anstrengungen des Landes Respekt. Das hat immerhin nach Jahren der Rezession wieder Wirtschaftswachstum und einen Primärüberschuss im Haushalt geschafft. Gleichzeitig pochte aber Rehn einmal mehr auf die Einhaltung der Budgetdisziplin.

Weitere Sparmaßnahmen würde sich die Regierung in Athen jedoch nicht aufbürden lassen wollen. Daher möchte sie ein drittes Hilfspaket, über das regelmäßig spekuliert wird, vermeiden. Diesen Ehrgeiz würde er gern unterstützen, erklärte der Vorsitzende der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem. Doch müsste das Land dafür auf dem Reformpfad bleiben.

Vom Weg der Konsolidierung sollen andere Länder aber ebenso wenig abweichen. Das gelte auch für Frankreich, das Schwierigkeiten mit der Einhaltung seiner Defizitplanung hat. Die zweitgrößte Volkswirtschaft im Euroraum kenne ihre Verpflichtungen, betonte Dijsselbloem. Frankreich hat bereits zwei Jahre mehr Zeit bekommen, um bis 2015 sein Budgetdefizit unter die Marke von drei Prozent zu drücken.

Allerdings bekommt auch schon das Kabinett in Paris den Unmut über durchgesetzte oder geplante Sparprogramme zu spüren - so wie es sich die Regierungen in einigen anderen Mitgliedstaaten ebenfalls anzuhören haben. Daher müssen sich die EU-Politiker mit den gesellschaftlichen Folgen der Wirtschaftskrise auseinandersetzen, und so häufen sich zumindest die Deklarationen, dass etwa der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mehr Aufmerksamkeit gewidmet werde.

Weniger Jobs, mehr Armut

Diese Debatte stand ebenfalls auf der Tagesordnung der Finanzminister; darin einfließen sollte ein Diskussionspapier, das die in Brüssel ansässige Denkfabrik Bruegel präsentierte. In dem Dokument zu "Europas Sozialproblem" und dessen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum kommen die Experten zu dem Schluss, dass Maßnahmen gegen den Verlust von Jobs und wachsende Armutsgefährdung nicht nur im Interesse der Betroffenen wäre. Hohe Arbeitslosenzahlen, wachsende private Verschuldung, tiefer werdende Klüfte in den Gesellschaften und zwischen den Generationen würden nämlich die politische und soziale Stabilität gefährden. Sie würden auch das Ziel eines längerfristigen Wirtschaftswachstums untergraben.

Daher sollten laut Bruegel mehr nationale sowie länderübergreifende Initiativen gesetzt werden. Denn die Jugendgarantie im Umfang von sechs Milliarden Euro würde nicht ausreichen, um das Problem der Beschäftigungslosigkeit bei Unter-25-Jährigen zu lösen. Unter den Vorschlägen für zusätzliche Impulse finden sich unter anderem welche zur Besteuerung. Die Sparmaßnahmen hätten nämlich in etlichen Fällen Familien mit Kindern oder den Bildungsbereich stärker getroffen als die Pensionssysteme. Vielmehr sollte aber bei der steuerpolitischen Lastenverteilung Gerechtigkeit zwischen den Generationen eine Rolle spielen.