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Sozial für die Wahl

Von Reinhard Göweil aus Brüssel

Politik

Nach den Sozialdemokraten will nun auch die Volkspartei ein soziales Europa.


Brüssel. Ein EU-Land, das Defizit- und Schuldengrenzen überschreitet, verletzt die Maastricht-Kriterien. Ein Verfahren und die dringende Aufforderung, das Budget in Ordnung zu bringen, ist die Folge. Einem Land, das eine bestimmte Arbeitslosen-Quote überschreitet oder wenig gegen Arbeitslosigkeit unternimmt, passiert gar nichts. Das "sozial" in Zusammenhang mit der EU ist also nicht besonders ausgeprägt, die Nationalstaaten wollen sich da bisher wenig dreinreden lassen. Dementsprechend dürftig sind die dafür an Brüssel abgegebenen Kompetenzen. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit hat im Vorfeld der Europawahl nun ein Umdenken in Gang gesetzt. Die großen Parteien des Kontinents setzen allesamt auf eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts in Europa.

Die europäischen Sozialdemokraten machten den Anfang: Der Kampf gegen Steueroasen und die Finanztransaktionssteuer auf Spekulationsgeschäfte sollen Milliarden einbringen. Mit dem Geld soll die Beschäftigung angekurbelt werden, so der Tenor. "Nicht die Banken, sondern die jungen Menschen in Europa sind systemrelevant", fasste es SPE-Spitzenkandidat für die Wahl im Mai, Martin Schulz, recht griffig zusammen. Mit Erfolg. In den ersten Umfragen zur Wahl überholte die SPE die EVP, die bisher stärkste Fraktion im Europäischen Parlament.

Nun setzen auch die Christdemokraten der Europäischen Volkspartei auf ein sozialeres Europa. Allzu viele Bürger begannen, sich von den "Technokraten in Brüssel" abzuwenden. "Wir werden noch vor der Wahl im Parlament ein EU-weites Netzwerk der Arbeitsmarktverwaltungen beschließen", erklärt der konservative Abgeordnete aus Österreich, Heinz Becker. "Das AMS zählt europaweit zu den guten Arbeitsagenturen. Nun geht es darum, einen regelmäßigen Informationsaustausch zu garantieren und die Zusammenarbeit zu intensivieren."

Etwa mit Griechenland, dessen offizielle Arbeitslosenrate bei mehr als 27 Prozent (Österreich: 4,8 Prozent) liegt. "Wir haben festgestellt, dass die griechische Agentur Arbeitslose registriert und Unterstützung auszahlt. Aber deren Dienststellen wissen nichts über Unternehmen und deren Personalbedarf", sagte der EU-Vertreter der deutschen Bundesarbeitsagentur, Wolfgang Müller. "Also haben wir begonnen, mit den Griechen eine grundlegende Reform ihrer Arbeitsagentur zu planen."

Personalbedarf der Unternehmen teils unbekannt

Der bayerische EVP-Abgeordnete Manfred Weber sagte bei einer Diskussion mit österreichischen Journalisten: "Es ist notwendig zu definieren, was ist ein soziales Europa? Der Idee einer europäischen Arbeitslosenversicherung kann ich viel abgewinnen, auch wenn wir dabei Missbrauch klar ausschließen müssen."

Becker, der sich vor allem um die Pensionisten bei der Europawahl bemüht, erklärt: "Viele ältere Menschen lassen sich für Europa gewinnen, wenn wir sagen, was diese EU für ihre Enkel machen kann. Das muss deutlich zu sehen sein." Etwa am Thema Mobilität, die unter erheblichen bürokratischen Hemmnissen leidet.

Es betrifft zwar nicht sehr viele Menschen, dennoch wird das EU-Parlament nun beschließen, dass in einem EU-Land erworbene Betriebspensionen ab 2018 wie ein Rucksack mitgenommen werden, auch wenn die Erwerbstätigkeit in einem anderen EU-Land fortgesetzt wird. "Es verbessert die Mobilität", ist Becker überzeugt.

Die Sozialdemokraten auf EU-Ebene heften sich vor allem die "Jugend-Garantie" auf ihre Fahnen. Sechs Milliarden Euro werden für Ausbildungsprogramme bereitgestellt. Europa solle wieder mit Zukunft assoziiert werden, so deren Credo, denn der Arbeitsmarkt lasse sich nur mit europaweiten Vereinbarungen entlasten. Da sind sich die SP-Abgeordnete Evelyn Regner und ihr VP-Kollege Kurt Becker einig.

Der Arbeitskräfte-Zuzug nach Österreich konzentriert sich derzeit auf drei EU-Länder als Herkunftsstaaten: Deutschland, Polen und Ungarn. Wenn also die Menschen plötzlich die EU als "ein Land" wahrnehmen, muss die Politik folgen. Das populistische Schlagwort vom "Sozialtourismus" stimme nicht, das zeigen die Studien der EU-Kommission. "Stimmt schon, die Volkspartei tut sich schwer mit dem Thema", sagte Becker. "Aber Sozialtourismus gibt es nicht."

Becker, von der ÖVP bei der Europawahl auf Platz fünf, somit auf ein Kampfmandat gereiht, kämpft um seine Wiederwahl. Auf sozialdemokratischer Seite tut es ihm Josef Weidenholzer gleich, ebenfalls als Nummer fünf gereiht. Auch dieses Mandat ist alles andere als sicher. Der Wahlkampf kommt nun also langsam in Schwung. "Die Volkspartei, aber auch die Neos, stehen für das Europa, das wir heute haben. Die große Masse profitierte kaum, die Nettolöhne stagnieren", sagte kürzlich Jörg Leichtfried, Delegationsführer der österreichischen SPE-Abgeordneten.

Arbeitsmarkt und Bildung in den EU-Staaten getrennt

Wie sozial Europa tatsächlich werden kann, ist sehr umstritten. "Bildung und Arbeitsmarkt gehören zusammen. Aber diese beiden Bereiche sind ja auch in den nationalen Regierungen getrennt, das erleichtert die Sache nicht gerade", räumte Detlev Ecker, in der EU-Kommission für Beschäftigungsfragen zuständig, ein. "Wir haben die universitäre Ausbildung mit dem Bologna-System europäisiert, aber die Arbeitsmärkte weiterhin national organisiert."

So wird darüber diskutiert, wie viel Sozialunion der EU-Vertrag überhaupt ermöglicht. Der Artikel 149 des Vertrages spricht sie an, ist allerdings ziemlich weich formuliert. Die "aktive Arbeitsmarktpolitik" beschränkt sich derweil also auf wortreiche Erklärungen der Parlamentarier und eine Webseite: Die EU-Kommission bietet die Internet-Plattform "Eures" an, auf der immerhin 1,04 Millionen Jobs angeboten werden. Leider recht gut versteckt auf der Kommissions-Homepage...