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"Wir haben gewonnen"

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Ungarns Premier Viktor Orbán will in seiner zweiten Amtszeit am Feinschliff arbeiten.


Budapest. Es war ein glorreicher Sieg für Viktor Orbán, aber nur vordergründig, denn die Schatten sind offensichtlich. Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident hat die Parlamentswahl vom Sonntag erwartungsgemäß gewonnen und kann mit einer mehr als komfortablen Mehrheit weiterregieren. Zahlreiche Experten sind sich aber darin einig, dass dieses überwältigende Ergebnis auf ein neues Wahlsystem zurückzuführen ist, das Fidesz geradezu auf den Leib geschneidert ist: Obwohl Fidesz mit nur 44,4 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 1998 einfuhr, ist paradoxerweise die Zweidrittel-Mehrheit in Reichweite. 39 Prozent der Ungarn gingen gar nicht zur Wahl. Demnach ist dieser Sieg bei weitem nicht auf eine allgemeine Zufriedenheit der Ungarn mit Orbáns Politik zurückzuführen. "Es stimmt nicht, dass das Land mit Haut und Haaren die Fidesz will", schrieb der liberale Politologe Zoltán Lakner nach der Wahl.

"Europäischer Rekord"

Zugleich ist es klar, dass Orbán wegen der Schwäche der Opposition auch ohne diese Wahlrechtsreform gewonnen hätte, wenn auch nicht mit dieser riesigen Mehrheit. Seit 2010 regiert Orbán bereits mit einer Zweidrittel-Mehrheit, oft im Konflikt mit der EU, zentralistisch und ohne jede Konsultation mit der oppositionellen Zivilgesellschaft. Damit hat er eine neue Verfassung durchgepeitscht, Möglichkeiten zur Gängelung der Medien geschaffen und Gesetze für breite Felder der Politik so zementiert, dass sie nur schwer änderbar sind.

In seinem neuen Sieg sieht er eine neue, "unbestreitbare" Legitimation, um so weiterzumachen wie bisher. "Wir haben gewonnen", sagte Orbán in der Wahlnacht vor jubelnden Anhängern. Das Ergebnis sei "ein europäischer Rekord". Ungarn sei jetzt "das einheitlichste Land Europas". Das überwältigende Votum habe "die nationale Unabhängigkeitspolitik" des Fidesz bestätigt. Am Tag danach deutete er einen möglicherweise weicheren Kurs und mehr Dialogbereitschaft mit der EU an. Die Zweidrittel-Mehrheit sei "unbedeutend", "symbolische Schritte" stünden jetzt kaum noch bevor, sondern eher "notwendige" Maßnahmen, sagte Orbán. Ungarn werde wirtschaftlich zum "Vorreiter in Europa", kündigte er an. Zu der von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geäußerten Kritik an "übermäßigen Vorteilen" bei der Wahl, die dem Fidesz durch verschiedene Regelungen gesichert würden, sagte Orbán: "Es gibt dazu nichts zu sagen."

Nach letzten, fast 100-prozentigen Hochrechnungen käme Fidesz auf 133 der 199 Parlamentssitze und damit auf die Zweidrittel-Mehrheit. Ob sich dies bestätigt, dürfte erst in ein paar Tagen klar werden, weil es vom sehr knappen Auszählungsergebnis in einem Budapester Wahlkreis abhängt. Dort hatte der Direktkandidat des Fidesz zuletzt einen Vorsprung von nur 22 Stimmen.

Zweitstärkste Kraft blieben die Sozialisten (MSZP) unter der Führung von Attila Mesterházy, dank ihres Bündnisses mit vier kleineren Parteien. Es kam 25,9 Prozent der Stimmen und 38 Parlamentsmandate - ein leicht besseres Ergebnis als jenes der MSZP 2010. Ihr Angebot überzeugte die Wähler auch deswegen nicht, weil das hastig geschmiedete Fünfer-Bündnis einen blassen, improvisierten Wahlkampf führte und die internen Eifersüchteleien nicht verbergen konnte. Mesterházy und der Bündnispartner Ferenc Gyurcsany sind alte Rivalen. Auch litten sie unter der einseitigen Propaganda in den von Fidesz kontrollierten Staatsmedien.

Wird Jobbik noch radikaler?

Besser als 2010 schnitt mit 20,5 Prozent auch die rechtsradikale, rassistische Partei Jobbik ab. Sie kommt auf 33 Mandate. In vielen Direkt-Wahlkreisen kamen sie auf Platz zwei. Dennoch herrschte bei Jobbik nach der Wahl Trauerstimmung, denn ihr Ziel war es, die Linken zu überholen und Orbáns Übermacht zu verkleinern. Wie Jobbik auf die Niederlage reagiert, dürfte spannend werden. Zu befürchten ist, dass ihr zuletzt weicherer Kurs wieder radikaler wird.

Aufatmen konnte die grün-liberale Partei LMP. Sie schaffte mit 5,2 Prozent knapp den Wiedereinzug ins Parlament. LMP, zu deren Gründungsmythen die Gegnerschaft zu den Linken gehört, hat sich aus allen Bündnissen herausgehalten. Anders als befürchtet, haben die Wähler dies doch noch honoriert. Das neue Element im Wahlrecht, das Großparteien begünstigt, besteht darin, dass die 106 Direktkandidaten mit nur relativer Mehrheit ins Parlament einziehen können. Anders als früher ist keine absolute Mehrheit nötig, Stichwahlen gibt es nicht mehr. So kam es, dass jetzt die meisten der 96 Fidesz-Einzelkandidaten mit deutlich weniger als 50 Prozent der Stimmen ins Parlament gelangt sind. In etlichen Kreisen hatten die Fidesz-Sieger sogar deutlich weniger als 40 Prozent und lagen nur knapp vor den Zweitplatzierten. Die restlichen 10 Direktmandate gingen an Mesterházys Bündnis, LMP und Jobbik gingen dabei leer aus.

Sogar der nicht unbedingt Fidesz-feindliche Budapester Politologe Gábor Török meint, dass die Dimension von Orbáns Sieg "nicht den Willen der Wähler" widerspiegle, sondern "vor allem die politische Planung des Fidesz honoriert".

Töröks Kollege Lakner sieht die Zukunft der Opposition dramatisch: "Wenn das System (das Wahlrecht) an der Niederlage schuld ist, so wird die Opposition auch die nächsten zwei Wahlen verlieren", schrieb er. Er warnte zugleich vor einem subtileren Pferdefuß, nämlich davor, dass die Opposition dem System die Alleinschuld an ihrer Niederlage geben und eigene Fehler ignorieren könnte: "Die Opposition muss sich wandeln."