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"Zu schnelle Konsolidierung"

Von Konstanze Walther

Politik

Die portugiesische Ökonomin Rodrigues kritisiert den Sparzwang, der die Schuldenlast vergrößert.


"Wiener Zeitung":Gesetzt den Fall, dass eine derartige Krise der Eurozone wiederkommen würde, welche Fehler sollte man von Anfang an vermeiden?Maria João Rodrigues: Zuallererst müssen wir sicherstellen, dass wir ein verantwortungsbewusstes Finanzsystem haben, das vor allem das Wachstum, Jobs und Investitionen unterstützt, statt Spekulationen auf toxische Papiere. Also brauchen wir ein besser reguliertes Finanzsystem, um diese Situation künftig zu vermeiden. Zweitens müssen wir sicherstellen, dass alle Euro-Mitgliedsländer ein ausgewogenes Staatsbudget haben, um vor Spekulationen auf ihre Staatsschulden geschützt zu sein. Drittens brauchen alle Mitgliedsländer Möglichkeiten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, um ihr Beschäftigungsniveau zu erhöhen. Aber ich denke, es gibt noch eine Lehre aus der Krise: Wenn der Druck der Finanzmärkte zu groß wird und gegen Staaten spekuliert wird, verteuert das nicht nur die Zinsen der Staatsanleihen. Sondern es führt auch zu neuen Ungleichheiten. Denn wenn die Kosten der Schuldenfinanzierung zu hoch werden, kann man nicht mehr in die Zukunft investieren, und man muss sehr starke Einschnitte im Sozialbereich machen, und am Ende kürzt man bei der Bildung, bei der Forschung und Entwicklung, bei der Grundsicherung der Bevölkerung. Das bedeutet schließlich auch weniger Wettbewerbsfähigkeit und höhere Arbeitslosigkeit und höhere Armutsraten. Das ist ja die Situation in verschiedenen Mitgliedsländern.

Glauben Sie, dass die fiskalische Konsolidierung zum Teil zu rasch erfolgt ist? Und dadurch die Staatsschulden erhöht werden?

Ja. Es gibt ein paar Fehler, die wir in der Krise gemacht haben. Ein Beispiel dafür ist, dass man etwa laut darüber nachgedacht hat, dass wir in der Eurozone einen Pleitestaat und einen Exit haben können. Und sobald das passiert ist, fangen die Spekulationen gegen diesen Staat an. Und damit ist man dann in einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Als man 2011 diese Botschaft gesendet hatte, hat sich die Ansteckung der Griechenland-Krise auf Irland, Portugal, Spanien und Italien sofort ausgeweitet. Also dürfen wir so was gar nicht mehr sagen. Denn jetzt wissen wir, dass es gefährlich ist.

Ein anderer Fehler, den wir gemacht haben, ist, dass die fiskalische Konsolidierung zu schnell vonstatten gegangen ist. Denn wenn man das öffentliche Defizit zu schnell zu kürzen versucht, indem man Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben macht und die Steuern erhöht, provoziert das einerseits eine tiefe Rezession, andererseits drückt man das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach unten. Das wiederum bewirkt, dass sich das Verhältnis zwischen BIP und Staatsschulden ins Negative kehrt. Schließlich hat man ein kontraproduktives Ergebnis: Okay, man hat zwar das Defizit reduziert, aber man hat die Last der öffentlichen Schulden vergrößert. Das ist in Portugal passiert. Unsere öffentlichen Schulden standen im Verhältnis von 85 Prozent zum BIP vor der Krise. Das war schon hoch, aber es war nicht zu hoch. Jetzt haben wir wegen der fiskalischen Konsolidierung 130 Prozent. Das ist ein Fehler.

Portugal will dieses Jahr den Rettungsschirm ESM verlassen, auch Griechenland hat sich das vorgenommen und platziert jetzt sogar wieder Anleihen am Kapitalmarkt. Muss die Wirtschaft in diesen Ländern wieder bei null anfangen?

Portugal hat sich wirklich sehr angestrengt. Wir haben zumindest unsere Exporte gesteigert und haben jetzt eine positive Außenhandelsbilanz.

Ist die Außenhandelsbilanz nicht vielmehr positiv, weil die Importe zurückgegangen sind?

Ja, das auch. Aus beiden Gründen. Aber Portugal exportiert nun in neue Sektoren. Aber die negativen Seiten sind: Die Arbeitslosigkeit liegt nun bei 16 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit ist über 30 Prozent. Wir haben zudem viel erzwungene Emigration. Junge, gebildete Menschen verlassen das Land. Und schließlich wurde viel Wachstumspotenzial in den Sand gesetzt. Portugal hat vor der Krise viel in die Green Economy und Innovationen investiert. Weil die Sparmaßnahmen die oberste Priorität waren, wurden aber die meisten Projekte fallen gelassen.

Trotzdem glaube ich, dass Portugal auf dem Weg ist, autonomer in der Finanzierung zu werden, weil wir den Exit aus dem Rettungsschirm erfolgreich schaffen.

Sie glauben, dass die automatischen Stabilisatoren bei der Krisenbewältigung nicht richtig bewertet worden sind?

Dafür ist Portugal auch ein gutes Beispiel: Wenn wir öffentliche Ausgaben zu schnell kürzen, wird das einen negativen Effekt für das Wirtschaftswachstum haben. Dann kommt die Rezession. Und damit die Abwärtsspirale. Das ist sehr gefährlich, denn man zerstört gesunde Investitionen, gesunde Unternehmen und gesunde Arbeitsplätze. Wir dürfen nicht vergessen, dass Portugal nicht nur eine sehr starke fiskalische Konsolidierung durchgemacht hat, sondern auch eine starke Kreditklemme zur selben Zeit. Plötzlich konnten Unternehmen keinen Kredit mehr aufnehmen. Sie konnten nicht mehr ihre Produkte im Binnenmarkt verkaufen, denn niemand hatte Geld. Die einzige Möglichkeit war der Export. Aber es braucht Zeit, bis man sich den Exportmarkt organisiert.

Was sind die wesentlichen Exportmärkte Portugals?

Die Hauptabsatzmärkte für Portugal sind Frankreich und Deutschland. Aber selbst in Frankreich und in Deutschland erholt sich der Binnenmarkt nicht schnell genug. Deshalb ist die Debatte über die Erhöhung des Mindestlohns in Deutschland auch sehr wichtig für Portugal. Und aufgrund der schleppenden wirtschaftlichen Erholung in Europa hat Portugal neue Exportmärkte gesucht - in Lateinamerika, in Afrika, in Asien. Deswegen hat sich der Export verbessert - weil sehr viele Mühe in das Finden neuer, entfernter Märkte geflossen ist.

Sie treten dafür ein, dass die EU eine Art fiskalische Funktion bekommt. Dieser Vorschlag geistert seit 2012 herum.

Wir erkennen langsam, dass wir die nationalen Budgets durch einen Topf auf europäischer Ebene ergänzen müssen. Warum? Weil die nationalen Budgets aufgrund ihrer Sparpakete bei ihren Ausgaben limitiert sind. Allerdings müssen wir auch für die Zukunft investieren, in Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Bildung. Das ist für den zukünftigen Wohlstand von Bedeutung. Dieser Topf sollte speziell für die Euro-Länder gelten, denn per Definition haben diese nicht mehr die Möglichkeit, mit traditionellen Mitteln wie Geldpolitik oder Wechselkurs-Politik Wachstum zu fördern. Das zweite Argument dafür ist, dass alle erfolgreichen Währungszonen eine Art föderales Budget haben.

Wenn wir nun, zusätzlich zum Unionsbudget, noch ein föderales Budget haben, müssen wir darüber reden, wozu wir es verwenden. Ich glaube, es sollte vor allem verwendet werden, um die Mitglieder der Eurozone vor größeren Schocks abzusichern, da sie die Instrumente nicht mehr haben, um sich selbst zu helfen. Zweitens würde es dazu dienen, notwendige Reformen durchzuführen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Und schließlich könnte man europaweite Investitionen tätigen, wie etwa für die Energieninfrastruktur. Die Frage ist, ob dieser Topf dann nur von den Budgets der Eurozonen-Länder befüllt wird oder von allen. Aber diese Details sollen erst beim Europäischen Rat im Oktober 2014 besprochen werden.

Sie haben bei Ihrem Vortrag in Wien erwähnt, dass sich die EU-Industriepolitik und die EU-Wettbewerbspolitik zum Teil widerstreiten. Was meinen Sie damit?

Wenn die EU einen Wettbewerb für ein Budget zu Forschung und Entwicklung ausschreibt, dann bewerben sich verschiedene große Universitäten gemeinsam mit großen Firmen. Mit diesem Fonds wird dann ein großes Netzwerk von bis zu 100 Universitäten und Unternehmen finanziert, die gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Das hat dann endlich eine europäische Größe. Sie fangen an, gemeinsam zu arbeiten, sich zu organisieren, sich zu koordinieren. Und sie werden wichtige Ergebnisse liefern. Aber diese Programme laufen maximal sechs Jahre. Nachher müssen sich diese Netzwerke wieder bewerben. Wenn sie den Zuschlag nicht erhalten, werden sie deaktiviert. Wir akkumulieren so überhaupt keine Ressourcen. Und das, weil die Kommission sagt: "Wir müssen die Wettbewerbspolitik berücksichtigen." Alles, was man aufgebaut hat, wird dann wieder zunichte gemacht. Zudem gibt es hochausgebildete Leute, die Zeit verschwenden, um sich für ein Programm zu bewerben, das sie dann nicht auswählt. Deswegen machen viele Menschen, aber auch viele Firmen gar nicht mehr in dem Prozess mit und emigrieren lieber in die USA.

Maria João Rodrigues: Die Ökonomin und ehemalige Politikerin wird auch die "Mutter der Lissabon-Strategie" genannt. Denn die von 1995 bis 1997 amtierende Arbeitsministerin hat unter dem portugiesischen EU-Vorsitz in der ersten Hälfte des Jahres 2000 die langwierigen Verhandlungen um den gleichnamigen Kompromiss erfolgreich zu Ende geführt. Die Lissabon-Strategie machte es sich zum Ziel, Arbeit und Wachstum in der EU zu fördern. Rodrigues hält seitdem verschiedene Beraterpositionen innerhalb der EU, lehrt an den Universitäten Lissabon und Brüssel. Im März wurde bekannt, dass Rodrigues auf dem zweiten Listenplatz der portugiesischen Sozialdemokraten für die anstehenden EU-Wahlen kandidiert. Rodrigues war für einen Vortrag des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche und der Oesterrreichischen Nationalbank in Wien.