Zum Hauptinhalt springen

"Go back, Frau Merkel"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Die EU-Wahl soll in Griechenland zur Abstimmung über die Sparmaßnahmen werden - einmal mehr drohen Neuwahlen.


Mytilini. Die Sonne geht gerade unter, Palmen wiegen sich im Wind, der Platz im malerischen Mytilini ist gut gefüllt. Plötzlich brandet Applaus auf - der Star des Abends tritt ans Rednerpult.

Alexis Tsipras, 39 Jahre alt, schwarzes Sakko, helles Hemd, wie üblich ohne Krawatte, macht an diesem Freitagabend im Hauptort der Ägäis-Insel Lesbos Station, um im Endspurt vor den wegweisenden Kommunal- und EU-Wahlen in Griechenland vor Anhängern seiner Partei "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza) zu sprechen. Er redet laut, er ballt die Fäuste, er hebt zeitgleich beide Zeigefinger, er gestikuliert oft mit seinen Armen.

Was die Menge besonders begeistert: Tsipras fährt schwere Geschütze gegen Griechenlands öffentliche Gläubiger-Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds auf. Der Syriza-Chef will von der Wut der Griechen profitieren. Seit dem Frühjahr 2010 hält die ungeliebte Troika Athen mit Krediten von mittlerweile 240 Milliarden Euro über Wasser. Als Gegenleistung wurden Hellas aber harte Sparmaßnahmen und Strukturreformen aufgebürdet.

Tsipras spart nicht mit anti-deutscher Rhetorik. Unter Verweis auf den Dezember 1944, als die Bewohner von Lesbos britische Truppen daran hinderten, auf der Insel zu landen, schmettert Tsipras in Richtung Berlin: "Go back, Frau Merkel! Go back, Herr Schäuble! Go back, konservative Nomenklatura in Europa! Griechenland ist kein Versuchskaninchen! Wir dulden es nicht, dass ihr unser Land in eine Bananenrepublik verwandelt. Go back mit eurer Troika, euren Zinswucherern, eurem Hochmut, eurer Abschätzigkeit gegenüber dem griechischen Volk, das ihr so lange mit Häme und Spott überzogen und ausgebeutet habt. Go back!"

Griechenlands Oppositionschef hat die EU-Wahlen am 25. Mai zum "Volksentscheid" gegen die nur noch über eine hauchdünne Mehrheit verfügende Koalition aus konservativer Nea Dimokratia und Pasok-Sozialisten erklärt. Und er will mit klarem Vorsprung gewinnen. Die Messlatte liege bei einem Plus von mindestens 4 Prozent, ist aus Syriza-Kreisen zu vernehmen. Gelinge dies, so das Kalkül, verlöre die Koalition ihre "demokratische Legitimation", ihren rigorosen Austeritätskurs in Athen fortzusetzen.

Nach der Lesart von Syriza würde die unweigerliche Folge lauten: vorgezogene Neuwahlen. Einer am Montag veröffentlichten Meinungsumfrage zufolge vereint Syriza aktuell 23,5 Prozent der gültigen Stimmen auf sich. Die Nea Dimokratia kommt auf 22 Prozent. Es folgen die rechtsextreme Goldene Morgenröte mit 10,5 Prozent, die neu formierte Partei To Potami mit 7,5 Prozent, die Pasok (7 Prozent), die Kommunisten (6 Prozent), die "Unabhängigen Griechen" (4 Prozent) sowie die Demokratische Linke (Dimar) mit 3 Prozent.

Pasok vor Zerreißprobe

Regierungschef Antonis Samaras von der Nea Dimokratia hielt sich bisher im Wahlkampf auffallend bedeckt. In seinen Augen lautet "das Dilemma" für das Wahlvolk: "Stabilität oder Chaos". Samaras will mit guten Nachrichten von der Wirtschaftsfront glänzen. Am Montag ersuchte Finanzminister Jannis Stournaras in der Eurogruppe darum, die Bedienung eines Teils der gewährten Troika-Kredite zeitlich zu strecken und die betreffenden Zinsen zu senken. So soll Griechenlands Schuldenberg "tragfähig" werden. Das Athener Anliegen will die Eurogruppe aber erst im zweiten Halbjahr prüfen.

Sorgenfalten treibt Samaras und Co. derweil die schwache Performance der ehemals omnipotenten Pasok-Sozialisten auf die Stirn. Die Pasok gilt als das schwache Glied in der Koalition. Pasok-Chef und Außenminister Evangelos Venizelos erklärte auf die Frage, wie er ein Wahlergebnis unter 10 Prozent für seine Partei bewerten würde, lapidar: "In diesem Fall gäbe es ein Problem für die Stabilität und Orientierung der Regierung."

Mit Verdruss verfolgt Venizelos das jüngste Auftreten von Ex-Premier Georgios Papandreou. Medienwirksam präsentierte Papandreou, der im März 2012 den Pasok-Vorsitz an seinen ewigen Widersacher Venizelos abgegeben hatte, am Montag in Athen gemeinsam mit dem Dimar-Vorsitzenden Fotis Kouvelis ein Buch der EU-Abgeordneten Marilena Koppa. Diese stand bisher in Diensten der Pasok, tritt nun aber mit der Dimar für das EU-Parlament an. Dimar-Chef Kouvelis, der vorigen Sommer mit seiner Partei die Regierung Samaras verließ, hat sich zuletzt wiederholt gegen eine erneute Koalition mit der Pasok ausgesprochen, falls diese am harten Sparkurs unter Venizelos festhalte. Dass die Chemie zwischen Kouvelis und Papandreou hingegen stimmt, war zumindest bei besagter Buchpräsentation nicht zu übersehen.