Wien/Kiew/Moskau. Die Jahrestagung des Europarats zieht diesmal deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich als gewöhnlich: Wenn am Dienstag 30 Außenminister der insgesamt 47 Mitgliedsstaaten des Europarates in Wien zusammenkommen, wird das Treffen im Zeichen der aktuellen Ukraine-Krise stehen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow und der ukrainische Chefdiplomat Andrij Deschtschyza, die am Montag bereits Außenminister Sebastian Kurz trafen, nehmen an der Sitzung teil. Sie planen außerdem eine Zusammenkunft.
Deschtschyza fand in der ZIB2 am Montagabend deutliche Worte: Er sprach von einem "versteckten Krieg gegen die Ukraine" und einer "russischen Invasion". Das langfristiges Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei die "Kontrolle der Ukraine". Hingegen sei das Ziel der ukrainischen Regierung "die Mitgliedschaft in der Europäischen Union".
Die beiden Außenminister hatten zuletzt Mitte April in Genf miteinander gesprochen und dort mit US-Außenminister John Kerry und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton ein Abkommen ausverhandelt, das eine Befriedung der Lage in der Ostukraine bewirken sollte. Die Vereinbarungen, die eine Räumung besetzter Plätze und eine Entwaffnung bewaffneter Gruppen vorsahen, haben jedoch nicht gehalten. Europarat-Generalsekretär Thorbjoern Jagland sagte, zur Lösung der Krise in der Ukraine brauche es eine neue Verfassung, die die Rechte von Minderheiten berücksichtige. Auch Lawrow wünscht sich eine "tiefgreifende" Verfassungsreform in der Ukraine.
Unterdessen dauern die Kämpfe um die ostukrainische Stadt Slawjansk an. Der ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow räumte am Montag ein, dass es in der Region Sympathien für eine Abspaltung von der Ukraine gebe. Gegen die Ukraine werde seitens Russlands "ein Krieg geführt", sagte er.
Kiew zu bilateralem Treffen mit Russland bereit
"Wir sind jederzeit bereit, unsere russischen Kollegen zu treffen, wenn es notwendig ist", erklärte der ukrainische Außenminister Andrej Deschtschiza am Montag.
Ob Kiew eine Einladung zu einem solchen Treffen aussprechen werde, ließ Deschtschiza offen. "Wir werden uns sicher im Rahmen der Konferenz treffen." Es gebe "viele Dinge zu besprechen und wir sind offen für ein solches Treffen". Man müsse die Beziehungen im Hinblick auf die Wirtschaft und die Gasversorgung besprechen, aber vor allem aber auch die "russische Intervention in ukrainische interne Angelegenheiten und die russische Aggression auf ukrainischem Territorium", sagte der Außenminister in Anspielung auf die Annexion der Halbinsel Krim. "Wir wollen mit Russland klären, welche Position sie hinsichtlich der Ukraine haben."
Vom Europarat, der - gemeinsam mit dem derzeitigen Vorsitzland Österreich - die morgige Konferenz in der Wiener Hofburg organisiert, erwartet Deschtschiza Unterstützung bei der "Stabilisierung und demokratischen Entwicklung des Landes sowie beim Schutz der Menschenrechte. Verfassungsrechtsexperten der "Venedig-Kommission" des Europarates hatten die Annexion der Krim im März als "illegal und undemokratisch" kritisiert und den russischen Europarats-Abgeordneten Anfang April deshalb vorläufig das Stimmrecht entzogen. Deschtschiza lobte diese Schritte.
"Jetzt wollen wir einen konstruktiveren Weg suchen", meinte der Außenminister. Die Ukraine wolle Möglichkeiten des internationalen Rechtssystems ausloten, um Russland für den "Völkerrechtsbruch" zur Verantwortung ziehen zu können.
Auf die Frage, ob seine Regierung für ein von Deutschland vorgeschlagenes "Genf 2"-Treffen bereit ist, antwortete Deschtschiza, dass zuerst das Abkommen des ersten Treffens vom 17. April "vollständig umgesetzt" werden müsse. "Wir brauchen die Garantie von Russland, dass das Abkommen verwirklicht wird, dann sind wir für dieses Treffen." Die Ukraine habe ihre Arbeit dahingehend bereits getan. Der Ball sei nun bei Moskau.