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Vier Dörfer gegen einen Weltkonzern

Von WZ-Korrespondent Silviu Mihai

Politik

Im Nordosten Rumäniens formiert sich Widerstand gegen die Fracking-Pläne des US-Rohstoffriesen Chevron.


Barlad/Bacesti. Elisabeta Preda ist außer sich. Als die 56-jährige Bäuerin vergangenes Jahr Feuerholz für den Winter holte, merkte sie, dass jemand auf ihrem Grundstück kleine Löcher gebohrt hatte. "Plötzlich lag jede Menge Kabel rum, vom Waldrand über den Hügel und quer durch meinen Hinterhof", erzählt die dreifache Großmutter sichtlich irritiert. Die Löcher waren gekennzeichnet mit roten, blauen oder weißen Fähnchen, und in jedem Loch steckte ein dünnes, verkabeltes Rohr. "So etwas habe ich noch nie erlebt. Dass man auf meinem Grundstück irgendwelche Anlagen baut, ohne mich zu fragen oder zu informieren, das kam selbst vor der Wende nie vor."

Als Preda gleich nach dem eigentümlichen Vorfall zum Rathaus eilte, um dort ein paar Fragen zu stellen, war der Bürgermeister von Bacesti nicht zu sprechen. Auch in den nächsten Tagen und Wochen konnte niemand im ostrumänischen Dorf etwas über die merkwürdigen, aber immer häufigeren Funde erfahren. Mal waren die Kommunalpolitiker krankgeschrieben, mal hielten sie sich auf Zypern auf. Das fremde Arbeiterteam, das mehrmals von den Dorfbewohnern gesichtet wurde, konnte nur sagen, dass die Kabelverlegungen und Lochbohrungen im Auftrag der rumänischen Aktiengesellschaft Prospectiuni SA ordnungsgemäß und mit der Genehmigung des Bürgermeisters durchgeführt worden seien. Der verantwortliche Ingenieur sei allerdings nicht da.

Ähnlich wie viele ihrer Nachbarn entschied Elisabeta Preda, die unbefugte Nutzung ihres Grundstücks nicht länger zu dulden. Sie schnitt die Kabel an mehreren Stellen ab, entfernte die Fähnchen und Rohre und drohte den Arbeitern mehrmals mit der Mistgabel. Eines Sonntags nach dem Gottesdienst erklärte der orthodoxe Priester den Menschen im Dorf, was er auf seiner Reise in die benachbarte Stadt Barlad erfahren hatte. Ihr Dorf Bacesti sei nämlich nicht der einzige Ort in der Umgebung, in dem Löcher und Kabel auftauchten. Und es handele sich um ein groß angelegtes Bohrprojekt des US-amerikanischen Konzerns Chevron, der nach Schiefergas sucht. Die Dienstag tatsächlich gestarteten Probebohrungen seien aber sehr gefährlich, es bestehe Gefahr für das in der Gegend ohnehin knappe Grundwasser.

Präsident und Premier in seltener Eintracht

Der Priester in Bacesti hatte recht. In Rumänien gibt es womöglich tief unter dem Boden Erdgasvorkommen, die nur durch das sogenannte Fracking, also durch hydraulisches Aufbrechen des Gesteins gefördert werden können. In Bacesti und drei anderen Dörfern des rumänischen Nordostens geht Chevron nach den ersten Untersuchungen davon aus, dass sich Aufschlussbohrungen lohnen könnten.

Die Politik in Bukarest, allem voran der rechtsliberale und russlandkritische Staatspräsident Traian Basescu, aber zunehmend auch sein Erzrivale, Premier Victor Ponta, schwärmen seit langem von der baldigen energetischen Unabhängigkeit des Landes und stellten sicher, dass den Großunternehmen alle erforderlichen Genehmigungen erteilt werden. Es sei ein übergeordnetes Ziel der rumänischen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik, die Abhängigkeit vom russischen Erdgas auf ein Minimum zu reduzieren, so Basescu. "Wir wollen das Land definitiv nicht zum botanischen Garten Europas erklären. Wenn wir Ressourcen haben, werden wir sie auch fördern", erklärte immer wieder der Präsident, der auch zu den Anhängern des höchst umstrittenen Goldbergbauprojekts in Rosia Montana zählt.

Die Krise in der Ukraine trug zu einer Radikalisierung des offiziellen politischen Diskurses bei. Seit Februar versucht Basescu, die Gegner des Fracking-Projekts als Vertreter russischer Interessen darzustellen. Umweltaktivisten in Bukarest präsentierten dagegen Studien und Dokumente, die belegen, dass die Förderung des Schiefergases durch die Fracking-Methode eine erhebliche Gefahr für Natur und Mensch darstellen könnte. So verbraucht eine einzige Bohranlage laut Chevrons eigenen Angaben rund 35.000 Liter Wasser am Tag. Die genaue Zusammensetzung der Flüssigkeit, mit der das Gestein aufgebrochen werden soll, bleibt bisher geheim, obwohl die darin enthaltenen Chemikalien jederzeit ins Grundwasser geraten könnten. Derweilen lud Chevron Ministerialbeamten, Kreisratsvorsitzende und Bürgermeister auf eine Reise in die USA ein, damit sich die Entscheider von den Vorteilen des Fracking selber überzeugen. Alle Kosten wurden vom Konzern übernommen.

In den vier kleinen Dörfern des Landkreises Vaslui, darunter auch in Bacesti, gaben die Bürgermeister bereits das grüne Licht für die ersten Aufschlussbohrungen. Nach den ersten Tests, die meistens ohne die Einwilligung der Grundstückbesitzer durchgeführt wurden, kaufte die Prospectiuni SA, Chevrons rumänisches Partnerunternehmen, einige Parzellen in diesen Kommunen. Die beunruhigenden Nachrichten, die der Priester von seinem Dekan in Barlad erfuhr, bestätigten sich schnell und lösten in der ganzen Region eine Aufregung aus, mit der niemand gerechnet hatte. Der Dekan, Vater Vasile Laiu, lud bereits 2012 unabhängige Experten auf mehrere Priestersitzungen ein, damit seine Kollegen und indirekt auch die Dorfbewohner endlich über die Vorgänge informiert werden. Nach mehreren Diskussionsrunden gründete Laiu eine lokale Initiativgruppe aus Ingenieuren, Rechtsanwälten und Geistlichen, die ein Ende der illegalen Bohraktionen und Klarheit in der Sache forderten. Viele Menschen in den Dörfern, die sich mit dem gleichen Problem konfrontiert sahen, hörten den gebildeten Herrschaften aus der Stadt zu und schlossen sich der neuen Bewegung an.

Als sich die Landkreis- und Kommunalverwaltungen weiterhin weigerten, Akten öffentlich zu machen, rief Laiu und seine Initiativgruppe zu Protesten aus. Kurz darauf stellte sich heraus, dass Chevron bereits seit 2011 die Lizenz für mögliche Aufschlussbohrungen im ganzen Nordosten Rumäniens besitzt, und das für die nächsten 30 Jahre. Andere rumänische und ausländische Öl- und Gasunternehmen, darunter auch die OMV, bekamen unter den früheren wirtschaftsliberalen Regierungen für andere rumänische Regionen ähnliche Lizenzen.

"Wir haben versucht, die Menschen zu überzeugen, auf keinen Fall das Land zu verkaufen. Im Großen und Ganzen waren wir erfolgreich, aber es gab eben auch Ausnahmen", sagt Priester Vasile Laiu. So kam es letzten Oktober in Pungesti zu einer Auseinandersetzung zwischen Chevrons Sicherheitspersonal und den Dorfbewohnern. Als der Konzern mit Baggern und Lkw vorpreschte, blockierten die Demonstranten, darunter auch orthodoxe Geistliche, die Straße. Nach einem Telefonat mit Premier Ponta schickte der Präfekt von Vaslui mehrere Einheiten der Gendarmerie, um den Zugang zu den Grundstücken des Unternehmens freizumachen. Laius Vorgesetzte in der Bukarester Synode mahnten ihn davon ab, die orthodoxe Kirche in die weltliche Angelegenheit nicht einzumischen. Doch die Demonstranten gaben nicht auf.

Die ungewöhnlichen Bilder von den Gendarmen, die Gewalt gegen Bauern und Priester anwenden, machten die Runde in den abendlichen Nachrichten und bewegten die Regierung dazu, einen Schritt zurück zu machen. Chevron verkündete, dass die Bohrarbeiten in Pungesti bis auf weiteres eingestellt werden. "Die Sicherheit und Akzeptanz der Arbeiten muss erst gewährleistet werden", teilte das Unternehmen mit. Seitdem vergeht kaum ein Tag, ohne dass die Initiativgruppe Veranstaltungen, Diskussionen oder Demos in Bukarest, Barlad und den betroffenen Dörfern organisiert.

Doch dann kam die Krise in der benachbarten Ukraine. Das Thema der Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen kochte wieder hoch, diesmal nicht nur in Rumänien, sondern europaweit. Chevron preschte dann im März und April mit seinen Plänen vor und errichtete in Pungesti eine erste Aufschlussbohranlage. Der Rückzieher entpuppte sich als taktisches Manöver. Und die Politik in Bukarest nutzte die Gelegenheit, um alte Ängste wieder zu erwecken und die Debatte für geschlossen zu erklären.

Rumänien bleibt von Energielieferanten abhängig

"Die einfachste Analyse zeigt, dass die Argumente unsinnig sind", empört sich der linke Publizist und Blogger Costi Rogozanu. "Das Schiefergas soll von Chevron gefördert und an uns zu den üblichen Marktpreisen verkauft werden. Rumänien bleibt also energiepolitisch abhängig von einem Lieferanten, der jetzt nicht mehr Gazprom, sondern Chevron heißen wird. Das vermeintliche Problem wird durch den vorgeschlagenen Plan mitnichten gelöst, man schürt einfach nur alte anti-russische Ressentiments."

Hinzu kommt, dass sich die angebliche Abhängigkeit Rumäniens von dem Kreml-nahen Unternehmen eigentlich in sehr engen Grenzen hält. Die Schließung vieler energieintensiver Industrieanlagen seit den 1990er Jahren hat den Gas- und Strombedarf stark reduziert. Heute muss der Staat, anders als in Polen oder in den baltischen Ländern, nur rund 20 Prozent des gesamten Konsums von Importen decken, die Hälfte davon kommt aus Russland. Gleichzeitig boomten in den letzten Jahren die erneuerbaren Energien. Rumänien hat bereits heute seine mit der EU-Kommission vereinbarten Klimaziele für 2020 erreicht.

"Da dürfte ein bisschen mehr sein und wir sollten ambitioniert vorangehen", glaubt Willy Schuster aus dem siebenbürgisch-sächsischen Dorf Mosna, zu Deutsch Meschen. Der Mann war überhaupt der erste Biobauer im Lande und gilt mittlerweile als bekannter grüner Aktivist. "Meine Familie und ich wollen weiterhin Biogemüse anbauen. Doch dafür ist es jetzt offensichtlich nötig, zunächst Chevron-Kabel zu ernten", sagt er und meint damit, dass die Technik von Chevron, die ohne die Genehmigung der Eigentümer auf die Grundstücke verlegt wird, einfach entfernt werden solle. "Viele Bauern sind jetzt verunsichert, weil das Vorgehen des Konzerns einerseits gesetzwidrig ist, andererseits aber den Segen der Behörden hat. Wie geht man damit um, wenn der Staat illegale und rücksichtslose Aktionen eines Privatunternehmens toleriert?", fragt Schuster.

"Unser Widerstand war ein erster Sieg für unsere lokale Umweltbewegung, wir sind stolz darauf, weil wir gezeigt haben, dass es nicht nur die Studenten und jungen Akademiker in Bukarest sind, die sich Umweltschutz und eine andere Politik wünschen", erklärt Priester Laiu und meint damit die andauernden Proteste gegen das Goldbergbauprojekt in Rosia Montana. "Wir haben gezeigt, dass auch kleinere, einfache Menschen in den Dörfern sensibilisieren und mobilisieren lassen. Jetzt müssen wir eben unsere Dörfer verteidigen. Der Kampf geht weiter." Spätestens mit dem Beginn der Bohrungen ist klar: Er wird schwer zu gewinnen sein.