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Jagd auf Andersdenkende

Von Veronika Eschbacher aus Donezk

Politik

Sie terrorisieren ihre Gegner. Ein Lokalaugenschein bei den Separatisten der Volksrepublik Donezk macht deutlich, wie sie Menschen einschüchtern, die nicht ihrer Gesinnung sind.


Donezk. "Was habe ich denn getan?", kreischt die Frau mit Pferdeschwanz zwei Männer in Uniform an, die sie an den Oberarmen in das Vorzimmer von Kabinett 225 führen. "Setzen", sagt einer. Und fordert die Frau auf, zu erklären, was sie ohne Erlaubnisschein hinter den ersten von mehreren Barrikaden des mittlerweile zur Festung ausgebauten Hauptquartiers der Separatisten im ostukrainischen Donezk zu suchen gehabt hätte. Der Frau gegenüber sitzt ein anderer junger Mann in Camouflage in einem schwarzen Ledersessel, der sein Armeemesser ständig auf- und zuklappt und in der Hand dreht.

Zur Linken der Festgehaltenen befindet sich hier, bei den Helfershelfern eines der Koordinatoren der Volksrepublik Donezk, ein Mann, ebenfalls in Tarnkleidung, der gerade noch auf einem Bürosessel mit auf den Tisch ausgestreckten Beinen geschlafen hatte, durch das Geschrei aber aufwachte. In der Mitte seiner schwarzen Schutzweste steckt ein großes Messer, links und rechts je eine Pistole, eine davon mit sehr langem Lauf. "Ich sage Ihnen doch, ich bin Journalistin, hier aus Donezk", sagt die Frau. Sie schreibe an einer Reportage über das Referendum. Sie hätte sich nur umgesehen, niemandem auch nur eine einzige Frage gestellt.

Einschüchterung, Angst und Hysterie

Den Männern reicht diese Erklärung offenbar nicht. Der Vor-, Vaters- und Familienname der Frau wird notiert. Sie trage keine Dokumente bei sich, da ihr Arbeitgeber geraten habe, keine zu Recherchen mitzunehmen. Daher habe sie auch keinen Presseausweis dabei. Sie teilt den Männern entnervt ihre genaue Wohnadresse mit und sagt, sie könnten gerne auf der Stelle mit ihr hinfahren und sich die Dokumente ansehen. "Klar", sagt einer der Männer spöttisch. "Dürfen wir dich sonst auch noch wohin bringen?" Und überhaupt, bevor sie nicht mit dem Koordinator Roman gesprochen hätte, der sich ihren Fall ansehen werde, gehe sie nirgendwohin.

Doch der Koordinator ist woanders beschäftigt und gerade nicht in dem seit mehr als einem Monat von prorussischen Aktivisten besetzten Gebäude der Gebietsverwaltung von Donezk. Die Mittvierzigerin macht ihre Empörung über die Festhaltung lautstark kund und schreit einen nach dem anderen an. Artjem, ein jüngerer Mann in Zivil, der aber ebenfalls zu den Aktivisten gehört und ständig rein- und rausläuft, fragt die Frau nach der Telefonnummer ihres Arbeitgebers, um zu überprüfen, ob sie wirklich Journalistin sei. Sie wiederum gibt an, sie wisse die Nummer nicht auswendig, sie rufe immer von daheim vom Festnetz aus an, dort hätte sie auch die Nummer liegen. Sie sei keine fixe Mitarbeiterin, sondern liefere nur Artikel zu. Die Männer werfen sich ungläubige Blicke zu.

Sie nehmen der Frau ihr Handy ab und sehen die letzten Anrufe und Mitteilungen durch. Einem weiteren Mann geht das Geschrei zwischen den Parteien inzwischen auf die Nerven, er schlägt vor, doch den Innen-Geheimdienst der Besetzer zu rufen, um die Informationen aus ihr herauszuprügeln. Die Frau wandelt bereits an der Grenze zwischen Hysterie und Zusammenbruch.

"Was flennen Sie denn jetzt", sagt einer der Männer. "Wenn Ihre Geschichte stimmt, haben sie nichts zu befürchten", fährt er fort. "Na, dann wird wohl ihre Geschichte nicht stimmen", sagt ein anderer mit hämischem Grinsen.

"Hahaha! Seht mal, wen ich hier habe!" Ein weiterer Mann in Uniform erscheint in dem großen Vorzimmer und schwenkt triumphierend eines der zahlreichen Fotos, die über das ganze Gebäude verteilt hängen, in der rechten Hand. Es ist eines der Bilder von Personen, die von den prorussischen Aktivisten gesucht werden, wobei kein Vorwurf vermerkt ist, nur die Köpfe auf A4-Größe ausgedruckt sind. Der Milizionär hält mit seiner linken Hand einen Mann fest, der genau so aussieht wie der Mann auf dem Foto. Die Rebellen können es nicht fassen, klopfen sich auf die Schenkel und lachen.

Der Mann wird auf den Sessel neben der Journalistin verfrachtet, einer der Milizionäre hält das Bild direkt neben seinen Kopf. Der Festgehaltene zittert, sagt, er habe keine Ahnung, wie diese zu seinem Bild gekommen seien und wieso er festgehalten werde, er sei nur vor dem Gelände des besetzten Gebäudes gestanden, hätte nichts getan, er sei doch auch für eine Donezker Volksrepublik. Der Mann, der das Bild hält, während ihm seine Zigarette aus dem Mundwinkel hängt, sagt dem Festgehaltenen, er solle schweigen und gefälligst seinen Kopf in genau der Stellung halten wie auf dem Bild. Nun sind sie überzeugt, dass er der Mann auf dem Foto ist. Auch er müsse auf Roman, den Koordinator warten.

Der hagere Mann zittert noch mehr, erklärt mehrmals, er sei doch auf ihrer Seite, zudem sei er Invalide, sie sollen ihm doch bitte nichts antun. Neben ihm legt einer der Männer seine Waffen, die er an sich trägt, auf einem Tisch aus. Er beginnt, den Lauf zurückzuziehen, die Waffe zu entsichern und wieder zu sichern. Dann steckt er sie wieder weg.

Gleichzeitig kommt ein gut fünfzig Jahre alter Mann mit Kalaschnikow in den Raum, der ebenfalls den Koordinator sucht, und beginnt mit dem jüngeren Mann zu streiten, der zuvor der Journalistin am meisten zugesetzt hatte. Er erklärt diesem in forschem Ton, während er dem Jüngeren dessen eigenen Erlaubnisschein vor die Nase hält, dass dieser nicht mehr gültig sei. Er weist ihn an, alle Erlaubnisscheine neu auszustellen und Ordnung in das System zu bringen.

"Komm mal runter, keiner hat vor, dich umzubringen"

Er herrscht nun: Ein prorussischer Milizionär posiert.
© reu/M. Djurica

Kurz, nachdem abermals Bewaffnete in das Vorzimmer kamen, um sich aus einer Kiste Gasmasken zu holen, läutet das Handy des festgehaltenen Mannes. Er überlegt kurz, ob er abheben soll, macht es aber nicht. Schließlich wird auch ihm das Telefon abgenommen und einer der Männer geht durch die Kontakte, aber auch Fotos, und lässt sich manche Fotos von ihm erklären, fragt, warum er diese aufgenommen habe. Der weiterhin bibbernde Mann wird schließlich von einem der Männer mit den Worten "Jetzt komm mal runter, keiner hat vor, dich umzubringen" beruhigt. Mittlerweile ist mehr als eine Stunde vergangen, von Roman aber weiterhin keine Spur. Ein Teil der Männer beschließt, den Mann auf dem Gang zu befragen. Von dort ist der Vorwurf zu hören, dass er Zeitungen verteilt hätte. Die Diskussion dauert einige Minuten an, schließlich wird er freigelassen.

Inzwischen ist Roman, der Koordinator, gekommen. Als Erstes wird jedoch ein Mann vorgelassen, der Konstruktionen aus Eisen mithat, die wohl als Straßensperren eingesetzt werden sollen. Er habe eine ganze Ladung mit und wolle wissen, wo er sie hinbringen soll. Als die Frage entschieden ist, kommt einer von Romans Helfern aus dem Zimmer und fragt nach dem festgehaltenen Mann. Dieser solle nun sofort kommen. Als ihm gesagt wird, sie hätten ihn schon entlassen, macht er ein langes Gesicht.

Und als Roman von einem weiteren Mann drei Mädchen unter zwanzig, eine davon mit einem kleinen Hund in der Hand, vorgeführt bekommt, die auch keinen Erlaubnisschein hätten oder nicht für den Ort im Gebäude, an dem sie aufgegriffen worden waren, marschiert die Journalistin kurzerhand in sein Kabinett und setzt sich hin - wohl müde dessen, dass sie noch immer warten muss. Die Mädchen werden in ein anderes Zimmer geschickt, in dem sie neue Erlaubnisscheine erhalten - immerhin helfe die Mutter einer bei der Durchführung des Referendums. Roman folgt der Journalistin ins Kabinett und schließt die Tür. Wenige Minuten später wird auch sie entlassen. Man müsse dieses genaue Vorgehen und Überprüfen aber doch auch verstehen, wurde ihr gesagt, denn es wimmle nur so von Provokateuren rund um das Referendum. Das lasse einem gar keine andere Wahl.

Eine ganze Region wird mundtot gemacht

So glimpflich wie für die Journalistin und den Mann geht es aber, folgt man den zahlreichen Medienberichten, nur selten aus. Die Rebellen hätten die Jagd auf alle eröffnet, die nicht ihrer Meinung sind, hört man hier unter vorgehaltener Hand. Analysten sprechen bereits von gezielter Terrorisierung der ganzen Region. Die Polizei bleibt dabei weitgehend untätig, hebt teilweise nicht einmal mehr die Notrufnummer ab. Zahlreiche Menschen in der Donbass-Region wurden in den vergangenen Wochen entführt, manche tot wiedergefunden.

Studentinnen in Donezk erzählen, dass maskierte Männer in ihre Universität kamen und verlangten, die ukrainische Fahne abzunehmen, oder man sonst "alle abfackeln" würde. Alleine die Bemerkung, eine ukrainische Fahne in der Tasche zu tragen, reicht, um bei den Menschen in der Provinz Donezk Schweißausbrüche, ja Panikattacken auszulösen. "Wir können unsere proukrainische Gesinnung nicht ausdrücken", sagen die Studentinnen. Ein Donezker Angestellter fühlt sich in die chaotischen, gesetzlosen 1990er Jahre zurückversetzt, als Banditen herrschten. "Nein", sagt er dann. Es werde nicht so wie damals. "Es wird noch schlimmer."