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"Europa muss etwas für den Balkan tun"

Von Ronald Schönhuber und Thomas Seifert

Politik

Der albanische Premier Edi Rama gibt sich als glühender Europäer. Umso mehr schmerzt da der langwierige Beitrittsprozess.


"Wiener Zeitung":Österreich hat gerade den Eurovision Song Contest gewonnen. Albanien hat uns nur fünf Punkte gegeben. Die Österreicher sind da jetzt vielleicht ein wenig enttäuscht.Edi Rama: Falls Sie eine ehrliche Antwort wollen, ich verfolge den Song Contest nicht. Das ist zu feinsinnig für mich.

Dann lassen Sie uns vielleicht über etwas sprechen, dass Sie mehr betrifft. In Österreich werden die Bürger am 25. Mai ein neues Europäisches Parlament wählen. Wann wird es so weit sein, dass auch die Albaner über die EU-Abgeordneten abstimmen können?

Die Albaner wählen vielfach schon das EU-Parlament, in Italien oder in Griechenland etwa. Als Staat wird Albanien realistischerweise noch rund ein Jahrzehnt brauchen, bis es Mitglied der EU ist. Vorausgesetzt natürlich, die Dinge bleiben so, wie sie derzeit sind und der europäische Integrationsprozess schreitet wie geplant voran. Denn natürlich kann sich die Lage zum Besseren wie auch zum Schlechteren verändern.

Was sind Ihrer Einschätzung nach derzeit die größten Hindernisse?

Zuerst müssen wir einmal den Kandidaten-Status bekommen, und dann können wir die Verhandlungen eröffnen. Wir hatten in Albanien einerseits Probleme, was gute Regierungsführung, Korruption und organisierte Kriminalität betrifft. Andererseits befinden wir uns derzeit in einer nicht gerade glücklichen Ausgangslage, denn auch Europa befindet sich im Augenblick nicht unbedingt in bester Verfassung. Es ist eine sehr komplizierte Gemengelage, die unseren Weg nur schwer vorhersehbar macht. Doch gleichzeitig ist dieser Weg für uns der einzige in die Zukunft, der Integrationsprozess ist für uns ein wichtiges Instrument für die Modernisierung unseres Landes.

Hinsichtlich des Kandidatenstatus hat man durchaus den Eindruck, dass es Optimismus in Brüssel gibt, auf jeden Fall spürt man den hier in Wien. Dass Albanien Kandidat wird, scheint mehr oder weniger sicher. Sie klingen da aber weit weniger optimistisch.

Ich habe gelernt, realistisch zu sein, was Entscheidungen in Europa anbelangt. Wie gesagt, Europa befindet sich derzeit nicht unbedingt in bester Verfassung und daher kann alles Mögliche passieren. Nicht unbedingt aus objektiven Gründen, die den albanischen Reformprozess betreffen, sondern wegen diverser Gründe innerhalb der EU-Mitgliedstaaten und innerhalb der Union selbst. Unglücklicherweise wird Europa derzeit vor allem von den Wahlen in den jeweiligen Mitgliedstaaten dominiert.

Sie haben die Tatsache, dass Albanien den Kandidatenstatus bisher noch nicht bekommen hat, als ungerecht bezeichnet. Warum?

Weil es schlicht und einfach ungerecht ist. Der Kandidatenstatus ist eine Erfindung der vergangenen Jahre. Der damalige Kommissionspräsidenten Romano Prodi hat ihn ins Spiel gebracht, um zu verhindern, dass der Konflikt in Mazedonien in einen Bürgerkrieg ausartet. Doch andererseits mussten weder die ersten EU-Mitglieder noch Rumänien oder Bulgarien vor ihrem Beitritt Kandidatenstatus erlangen.

Lassen Sie uns über die politischen Probleme sprechen, die es auch nach dem Ende des Kosovo-Kriegs und des Konflikts in Mazedonien noch immer gibt. Die Lage ist zwar nicht mehr instabil, aber von Normalität ist man nach wie vor noch ein Stück weit entfernt. Wie beurteilen Sie ganz allgemein die Lage in der Region?

Ich habe niemals gesagt, dass die Situation am Balkan perfekt ist. Aber der Balkan hat für Europa etwas gemacht, das Europa für sich selbst seit vielen Jahren nicht gemacht hat. Die Balkan-Länder haben nach einer schweren Periode des Kriegs Frieden geschlossen. Und sie haben das im Namen Europas gemacht. Die Führer haben sich an ihr Volk gewandt und gesagt, wir brauchen mehr Europa und nicht mehr Konflikte. Bis vor kurzem haben wir uns noch umgebracht, nun sind wir Partner geworden. Das Jahr 2014 - hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs auf dem Balkan - ist das erste Jahr seit langer Zeit ohne Konflikte in der Region. Die Balkan-Länder haben also zweifellos ihren Job für Europa erledigt, Europa sollte jetzt im Gegenzug mehr für den Balkan tun.

Besteht nicht die Gefahr, dass die nationalistischen Regungen, die gerade in der Ukraine massiv hochkochen, auf den Balkan überschwappen? Wenn Russlands Präsident Putin sagt: "Russland ist dort, wo Russen sind", erinnert das stark an das, was serbische Politiker in den 90ern gesagt haben? Und Albanien könnte heute dasselbe sagen: Es gibt Albaner in Mazedonien, es gibt Albaner im Kosovo.

Meiner Ansicht nach zeigt das eine Schwäche, die man auch innerhalb Europas deutlich bemerken kann. Nationalistische Kräfte sind in einigen EU-Ländern auf dem Vormarsch und das Problem wird unglücklicherweise nicht richtig angegangen. Sogar die großen moderaten Parteien sind davon insofern betroffen, als dass ihr Enthusiasmus für Europa spürbar nachgelassen hat. Anstatt dass man den nationalistischen Kräften ein klares Bekenntnis für mehr Europa entgegenstellt, wird für weniger Europa plädiert. Das Projekt Europa scheint zu groß für die kleinen Intervalle zwischen den Wahlen, die das politische Handeln derzeit bestimmen. Die EU ist wohl das größte strategische Projekt der Menschheit, aber es kann nicht durch ein rein taktisches Europa-Denken mit Leben gefüllt werden. Aber ich hoffe sehr stark, dass die Ukraine eine Lektion für Europa sein wird, aus der alle lernen können.

Österreich war immer ein Vorreiter, wenn es um Investitionen in Zentral- und Osteuropa ging. Nach Albanien hat Österreich zuletzt aber nur Waren im Wert von 55 Millionen Euro exportiert, die Importe lagen bei 22 Millionen. In den Nachbarstaaten Albaniens liegt das bilaterale Handelsvolumen um ein Vielfaches höher. Warum ist es Albanien nicht gelungen, ausländische Investoren anzuziehen?

Das ist eine sehr gute Frage und ein sehr großes Problem. Österreich und Albanien haben ja schon aus historischer Sicht eine besondere Beziehung, und das gilt auch für die aktuelle Übergangsphase. Dennoch geht das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern kaum über die Geschäftsbeziehungen zweier großer Firmen hinaus. Das ist ziemlich frustrierend und wir wollen das auf jeden Fall ändern.

Was ist der Grund dafür? Haben die Unternehmen immer noch Sorge, was die Rechtsstaatlichkeit oder die Korruption betrifft?

Die Gründe dahinter sind relativ klar. Den vorangegangenen Regierungen ist hier zum einen einfach zu wenig gelungen, um die Lage zu verbessern. Zum anderen ist ein negatives Bild von Albanien entstanden, das komplett überdeckt, dass das Land in Wahrheit völlig anders ist. Wir müssen darum kämpfen, dass die Menschen einmal nach Albanien kommen. Denn wenn sie einmal dort waren, kommen sie mit Sicherheit auch wieder zurück.

Der österreichische Präsident Fischer wird kommen, gemeinsam mit einer großen Wirtschaftsdelegation. Was erwarten Sie sich?

Heinz Fischer ist einer der größten Freunde Albaniens, und wir können davon profitieren. Österreich ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie ein kleines Land dank seines Know-hows erfolgreich sein kann. Wir bemühen uns darum, mehr Österreich in Albanien zu haben.

Was sind die wirtschaftlichen Perspektiven für Albanien? Womit kann das Land reüssieren?

Wir können Unternehmen das anbieten, was sonst niemand anbieten kann. Wir haben die geringsten Arbeitskosten, wir haben sehr niedrige Steuern und wir sind buchstäblich im Herzen Europas. Was mehr könnte ein Unternehmen verlangen?

Zur Person

Edi Rama

wurde am 4. Juli 1964 mitten in die kommunistische Diktatur hineingeboren. Sport und Kunst prägten sein Leben, ehe er in die Politik ging: Als junger Mann spielte er in der albanischen Basketballnationalmannschaft. An der Akademie der Künste ließ er sich zum Maler ausbilden, als noch der staatlich verordnete Sozialistische Realismus vorherrschte, und war später dort Professor, als es Anfang der 1990er Jahre zur politischen Wende kam. Doch mit den folgenden Entwicklungen unter Präsident Sali Berisha war er nicht einverstanden. Wie zehntausende Landsleute damals wanderte er aus - nach Frankreich. Seine politische Stunde samt Rückkehr in die Heimat schlug, als ihm der sozialistische Ministerpräsident Fatos Nano 1998 den Posten des Kultur-, Jugend- und Sportministers anbot. 2000 folgte der nächste Karriereschritt: Mit Unterstützung der Sozialisten wurde Rama zum Bürgermeister von Tirana gewählt. Für seine Verschönerungsmaßnahmen wurde er über die Grenzen Albaniens hin bekannt. Am 10. September 2013 war Edi Rama am Zenit: Er wurde zum Premier Albaniens gewählt. Danach folgten unter anderem die Neuverteilung der Regierungsaufgaben unter den verschiedenen Ministerien. Einige Ministerien wurden zusammengeführt, andere aufgeteilt und wiederum andere neu gegründet. Zuletzt weigerte er sich, syrische Chemiewaffen auf albanischem Territorium vernichten zu lassen.