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Hilferuf aus Rom

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Innenminister verlangt nach gekentertem Flüchtlingsboot Änderung des EU-Asylrechts.


Rom. Es sei ein "epochales Drama", sagte Giusi Nicolini. "Alleine können wir das nicht schaffen." So äußerte sich die Bürgermeisterin der italienischen Insel Lampedusa am Dienstag. In Europa müsse man endlich verstehen, dass das Mittelmeer nicht nur ein Problem Italiens sei. Mit diesen Worten reihte sich Nicolini ein in den Reigen italienischer Politiker, die nach dem jüngsten Bootsunglück vor Lampedusa mit mindestens 17 Toten mehr Unterstützung der EU fordern. Vor allem zwei Lösungen für die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer werden nun vehement diskutiert: eine nicht mehr nur italienische, sondern internationale Nothilfe-Aktion zu Wasser sowie die Möglichkeit, dass Flüchtlinge schon vor der lebensgefährlichen Überfahrt Asylanträge für die Aufnahme in EU-Staaten stellen können.

EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hatte am Montag in Brüssel erklärt: "Es ist die eindeutige Verantwortung aller EU-Mitgliedsstaaten, jetzt konkrete Solidarität zu zeigen, um das Risiko, dass solche Tragödien erneut passieren, zu reduzieren." Malmström forderte insbesondere, dass den Flüchtlingen "neue legale Wege eröffnet" werden müssen, um unversehrt die EU zu erreichen. Die EU-Mitgliedsstaaten sollten sich engagieren, Flüchtlinge direkt aus den Lagern jenseits des Mittelmeers auf EU-Gebiet umzusiedeln. Wenn jeder Mitgliedsstaat "nur ein paar tausend Leute" aufnehmen würde, könnte das einen großen Unterschied für Hunderttausende machen, die Schutz brauchen. "Das würde den Druck der Flüchtlingsströme im Mittelmeer deutlich verringern", erklärte Malmström. Die EU-Innenminister sollten bei ihrem nächsten Treffen in Brüssel das Thema beraten.

Der Vorsitzende des italienischen Flüchtlingshilfswerks, Christopher Hein, forderte, die Flüchtlinge sollten die Möglichkeit haben, bereits in den EU-Botschaften in Libyen oder Tunesien Asyl zu beantragen. Dies ist bislang nicht möglich. Nach EU-Recht können Flüchtlinge zudem nur in dem Land Asyl beantragen, in dem sie erstmals europäischen Boden erreicht haben. "Die EU-Gesetze zwingen die Asylsuchenden, auf illegalem Weg und unter Lebensgefahr nach Europa zu kommen", sagte Hein. "Wir müssen uns in die Flüchtlinge hinein versetzen. Ein Äthiopier, Somalier oder Syrer, der in Libyen angekommen ist, kann wegen der Kriege und Verfolgungen nicht mehr zurück in seine Heimat, in Libyen kann er kein Asyl beantragen, also bezahlt er die Schlepper und wagt die Überfahrt."

Italiens Innenminister Angelino Alfano forderte am Dienstag erneut die Änderung des EU-Asylrechts. Italien, das für viele Asylsuchende nur Durchgangsstation auf dem Weg nach Nordeuropa ist, dürfe nicht das "Gefängnis der politischen Flüchtlinge" werden. Italiens Ex-Verteidigungsminister Ignazio La Russa schlug hingegen vor, die Rückführungen von Flüchtlingen wieder aufzunehmen. Frühere Regierungen in Italien hatten die Marine eingesetzt, um Flüchtlingsboote auf offenem Meer zur Umkehr zu zwingen und sie in Richtung Nordafrika zurück zu begleiten.

Suche nach den Toten

Die Debatte hatte sich erneut verschärft, weil es in den Tagen zuvor zu mehreren Schiffsunglücken gekommen war. Traditionell wagen mehr Menschen in den Sommermonaten die Überfahrt. Erst am Sonntag waren 40 Flüchtlinge vor der libyschen Küste ertrunken. Am Montag kenterte ein mit angeblich 400 Menschen überfüllter Kutter auf halben Weg zwischen Libyen und von Lampedusa. 17 Tote wurden bis Montagabend geborgen, 206 Menschen konnten gerettet werden. Die Rettungskräfte, die mit mehreren Schiffen der italienischen Marine und Hubschraubern vor Ort sind, fürchten viele weitere Opfer. Die Rede ist von möglicherweise bis zu 200 Toten. Darunter könnten auch zahlreiche Frauen und Kinder sein. Die Staatsanwaltschaft Catania hat inzwischen ein Ermittlungsverfahren gegen die Schlepper eingeleitet.

Nach Informationen des Innenministeriums setzen die Schlepper die Flüchtlinge, die vor allem aus Eritrea, Somalia, Äthiopien und Syrien stammen, in immer untauglichere Boote und spekulieren darauf, dass die hölzernen Kähne rasch von der italienischen Marine aufgegriffen werden. Nach der Tragödie vor der italienischen Insel Lampedusa im Oktober, bei der mindestens 366 Menschen starben, hatte Italien die humanitäre Operation "Mare Nostrum" gestartet. Schiffe der Marine dringen dabei fast bis in libysche Gewässer vor, um die Flüchtlinge rechtzeitig vor einem Schiffbruch aufzugreifen. Kritiker behaupten, "Mare Nostrum" habe die Flüchtlingswelle zusätzlich verstärkt. Seit Anfang 2014 kamen bislang bereits 36.000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien. Im Vorjahr waren es insgesamt 43.000.