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Lohnt sich nicht

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Schweizer stimmen über die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von 4000 Franken pro Monat ab. Der Initiative werden jedoch kaum Chancen gegeben.


Bern/Wien. "Deine Gier schadet der Wirtschaft", brüllt ein Manager, der auf einem Berg von Geld steht, in einem Cartoon auf einen einsamen Demonstranten herab. "Gewerkschafts-Bürokraten zeigen gerne auf andere - die besten Vorbilder sind sie nicht", sagen die anderen und fordern wie Schiedsrichter die rote Karte für die Genossen. Befürworter und Gegner eines Mindestlohns in der Schweiz gehen derzeit nicht gerade zimperlich miteinander um, so gesehen in ihren Plakatkampagnen, im Internet und in den sozialen Medien. 4000 Franken soll jeder Arbeitnehmer im Nachbarland für einen Vollzeit-Job künftig mindestens erhalten, lautet die Forderung der Gewerkschaften, der sich die Sozialdemokraten und die Grünen angeschlossen haben. Am Sonntag stimmen die Schweizer Bürger über den Vorstoß ab, daneben stehen noch Voten zur Abfangjäger-Beschaffung, zum Berufsverbot für Pädophile und zur medizinischen Grundversorgung an.

Jene 4000 Franken, umgerechnet 3279 Euro, klingen nach österreichischen Maßstäben nach einer enormen Summe. Schließlich ergäbe dies einen Stundenlohn von 22 Franken (18 Euro). Doch bereits jetzt verdienen lediglich neun Prozent der rund vier Millionen Beschäftigten in der Schweiz weniger als 4000 Franken, argumentieren die Befürworter; und der Durchschnittslohn für Arbeiter und Angestellte liege ohnehin bei knapp über 6000 Franken. "Ein Leben in Würde ist mit solch tiefen Löhnen unter 4000 Franken schwierig", sagt Sozialdemokrat Marco Kistler. Er war bereits an der 1:12-Initiative beteiligt. Diese forderte, dass der Meistverdienende in einem Betrieb höchstens zwölfmal so viel kassieren darf wie derjenige, der am wenigsten bekommt, scheiterte damit aber 2013.

Mitte zieht nicht mit

Auch dieses Mal stehen die Chancen für Kistler und seine Mitstreiter schlecht. Denn abseits der linken Parteien findet die Mindestlohn-Initiative wenige Unterstützer. Zwar sind zwei Drittel der SP- und Grünen-Anhänger dafür. Aber nur jeder fünfte Sympathisant der liberalen FDP, 28 Prozent der nationalkonservativen SVP und 36 Prozent der christdemokratischen CVP unterstützen Umfragen zufolge die Forderungen. Auch die vergleichsweise jungen Parteien der bürgerlichen Mitte, die BDP und die Grünliberalen, sind strikte Mindestlohn-Gegner. Selbstredend wenig angetan ist der Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse.

Druck auf den Arbeitsmarkt

Der Mindestlohn nehme keine Rücksicht auf die unterschiedlichen Lebenserhaltungskosten innerhalb des Landes. Er schade ausgerechnet den Schwächeren auf dem Arbeitsmarkt. Berufseinsteiger hätten in Zukunft weniger Chancen auf einen Arbeitsplatz, minder Qualifizierte würden durch Maschinen ersetzt, argumentieren die Gegner. Ein Sonderfall ist der italienischsprachige Kanton Tessin, wo jeder Fünfte unter dem Mindestlohn verdient. Bereits jetzt liegt dort die Arbeitslosenquote mit 4,1 Prozent deutlich über dem Bundesschnitt von 3,2 Prozent. Viele Italiener pendeln von der Lombardei ins benachbarte Tessin, was den Druck auf dem Arbeitsmarkt verstärkt. Nachdem der Mindestlohn ebenso für Ausländer gelten müsste, fürchtet man im Tessin im Fall der Einführung einen noch größeren Ansturm italienischer Arbeitskräfte. Überhaupt würde dann europaweit nirgends so viel gezahlt werden wie in der Schweiz: Der höchste Mindestlohn liegt derzeit bei 11,1 Euro (13,54 Franken) in Luxemburg. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schweizer einem staatlichen "Lohndiktat" prinzipiell kritisch gegenüberstehen.

Mindestlohn bereits eingeführt

So sehr sich die Gegner sträuben, neu wäre ein Mindestlohn bei den Eidgenossen allerdings nicht: Im Kanton Neuchâtel gibt es ihn seit bereits seit 2011, dort liegt er mit 3640 Franken pro Monat bzw. 20 Franken pro Stunde aber deutlich tiefer. Auch die dortigen Arbeitgeber unterstützen den regionalen Mindestlohn, wollen aber keine nationale Anhebung.