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Nur der Sieger steht fest

Von Michael Schmölzer, Gerhard Lechner und Thomas Seifert

Politik

Am Sonntag wählt die Ukraine einen neuen Präsidenten.


Kiew/Moskau/Washington. Der Maidan in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist zu einem lebenden Freilicht-Revolutionsmuseum geworden. Revolutionskiebitze aus dem ganzen Land schlendern über den Platz und sie wissen: Die Ukraine ist nach der Maidan-Revolution ein anderes Land.

Und die Unsicherheit der vergangenen Wochen weicht ein wenig zurück. Denn eine zweite Krim wird es nicht geben - das ist knapp vor den ukrainischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag klar. Die Stimmung scheint sich gegen die Separatisten gedreht zu haben, die im Osten des Landes Unabhängigkeit von Kiew und den Anschluss an Russland fordern. Immer öfter schlägt den bewaffneten Freischärlern in Slawjansk und in Mariupol, Donetsk und Luhansk eine offen feindselige Stimmung entgegen. Die Menschen wollen endlich Ruhe, Sicherheit, ein Ende der zermürbenden Feuergefechte zwischen Armee und Rebellen. Eine Art Kriegsmüdigkeit macht sich breit. Die Regierung in Kiew, die zuletzt die Kontrolle im Osten verloren hat, gewinnt wieder Sympathien, während die Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahl auf Volldampf laufen.

Auch Russlands Präsident Wladimir Putin, so scheint es, steht nicht mehr ganz hinter den ukrainischen Separatisten. Zuerst plädierte er für eine Verschiebung des umstrittenen Unabhängigkeitsreferendums, mit dem die Abtrünnigen die Sache ein für alle Mal klären wollten. Jetzt sehen sich die prorussischen Kräfte massiven Manipulationsvorwürfen ausgesetzt: Die Wahlen waren chaotisch organisiert, nicht frei und es ist unklar, wie viele Prozent der Wahlberechtigten überhaupt daran teilnahmen.

Zuletzt hat Putin angekündigt, die rund 40.000 Mann starken Truppen, die wenige hundert Meter von der ukrainischen Grenze angeblich Manöver abhalten, abziehen zu wollen. Immer öfter ist von einer Lösung auf dem Verhandlungstisch die Rede - auch wenn es dabei noch so gut wie keine Fortschritte gibt. Putin verlangt eine Verfassungsreform in der Ukraine - in Kiew will man sich in dieser Frage nicht dreinreden lassen. Und Außenminister Sergej Lawrow verlangt, dass die Separatisten von Kiew als Verhandlungspartner anerkannt werden.

Wesentlichen Anteil an den geänderten Verhältnissen hat die Entscheidung Rinat Achmetows, sich ohne Vorbehalte für eine geeinte Ukraine auszusprechen. Der reichste Mann des Landes hat sich zunächst mit einer eindeutigen Positionierung zurückgehalten, dann aber schnell auf den Stimmungsumschwung im Volk reagiert. "Die Menschen sind es leid, in Angst zu leben", so der Oligarch, "in den Städten herrschen Banditen und Marodeure. Mit Maschinenpistolen durch die Städte des Donbass zu laufen - sollen so die Rechte der Donezker vor der Zentralregierung gewahrt werden?", fragt Achmetow. Die Stahlarbeiter, die in seinen Fabriken arbeiten, treten mit Besen bewaffnet als Saubermänner in Erscheinung, zeigen, dass Achmetow Recht und Ordnung garantieren will. Tausende Männer mit Bauhelmen auf den Köpfen wollen auf Geheiß des Oligarchen tätig werden und nehmen strategische Orte in Besitz. Achmetows Parteinahme für die Regierung in Kiew könnte eine Trendwende in dem Konflikt bewirken.

Noch wäre es freilich viel zu früh, die Separatisten abzuschreiben. Bewaffnete haben am Dienstag Wahllokale in Donezk und Luhansk gestürmt, Urnen konfisziert und Wahlhelfer eingeschüchtert. Die ukrainische Regierung setzt ihrerseits die "Anti-Terror-Aktion" weiter fort. 55.000 Polizisten und 20.000 Freiwillige sollen für die Sicherheit garantieren. In Kiew hat man den Plan, die Wahl überall abzuhalten, noch nicht aufgegeben - sieht aber ein, dass die Umsetzung nicht leicht wird. So liegen Alternativpläne vor, es sollen Wahllokale verlegt werden. Die Regierung hat aber bereits eingeräumt, dass die Wahl nicht überall in der Ukraine stattfinden wird können.

Wie reagiert Putin?

Eine der Kardinalfragen ist, wie Moskau auf die Präsidentenwahl reagieren wird. Kremlherr Putin äußerte Zweifel an der Legitimität des Votums. Es werde für Russland schwer, Beziehungen zu einer ukrainischen Führung aufzubauen, die in einer Zeit wachsender Spannungen an die Macht komme, so Putin. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat Moskau bereits aufgefordert, das Wahlergebnis vom Sonntag anzuerkennen. Die Einstellung Russlands zum Ergebnis sei "von entscheidender Bedeutung". US-Vizepräsident Joe Biden warnte Russland davor, die Wahl zu unterminieren. Das käme Moskau teuer zu stehen, so der Demokrat.

Wer die Wahlen am Sonntag gewinnen wird, scheint jedenfalls schon lange festzustehen: Petro Poroschenko liegt bei den Wahlumfragen mit 48 Prozent uneinholbar in Front - Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, seine größte Konkurrentin, kommt derzeit nur auf 10 bis 15 Prozent. Der 48-jährige Oligarch, der in der Ukraine aufgrund der Omnipräsenz seines Backwarenimperiums "Roschen" als "Schokoladenkönig" bekannt ist, ist trotz der Sehnsucht der Maidan-Revolutionäre nach frischen Köpfen alles andere als ein neues Gesicht: Der Mann aus Bolhrad, einer Stadt im äußersten Südwesten der Ukraine an der Grenze zu Moldawien, ist bereits seit gut 15 Jahren in der Politik des Landes tätig - und bewies dabei erstaunliche Wandlungsfähigkeit: Poroschenko, der in den 1990er Jahren als Sozialdemokrat in die Politik eingestiegen war, war unter Ex-Präsident Leonid Kutschma einer der Gründer der präsidentennahen "Partei der Regionen" (PdR), die vor allem im russischsprachigen Osten und Süden der Ukraine ihre Anhänger hat und später die Hausmacht des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch bildete. Aber schon 2002 mischte er als Akteur im prowestlichen Lager mit, im Herbst 2004 galt Poroschenko als einer der Hauptfinanciers der Orangen Revolution. Unter dem prowestlichen Ex-Präsidenten Wiktor Juschtschenko amtierte er als Außenminister, Juschtschenko wurde sogar Taufpate seiner Tochter. Poroschenkos politische Karriere brach aber auch nach 2010 unter Staatschef Wiktor Janukowitsch nicht ab: 2012 gehörte er als Wirtschaftsminister dem Kabinett von Ex-Ministerpräsident Mykola Asarow an.

Weniger gut war Poroschenkos Verhältnis Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, mit der er einige politische Sträuße ausfocht. Auch im aktuellen Wahlkampf bringt der brillante Redner zahlreiche Seitenhiebe auf Politikerin mit dem Haarkranz unter, die im Vergleich zu früher an Popularität eingebüßt hat. In der aktuellen Staatskrise haben die meisten Ukrainer Sehnsucht nach Stabilität und einer möglichst raschen Klärung der Machtfrage, eine Stichwahl, die nicht ausgeschlossen ist, will man verhindern. Viele ernstzunehmende Kandidaten haben deshalb von vornherein das Handtuch geworfen: Witali Klitschko, der Chef der Partei "Udar", zog seine Kandidatur noch im März zurück, als er sich ausrechnen konnte, keine Chancen auf das Amt zu besitzen. Er unterstützte von da an Poroschenko. Zur Wahl tritt Klitschko am Sonntag dennoch an: Der emeritierte Boxweltmeister hat gute Chancen, zum Bürgermeister von Kiew gewählt zu werden, in Umfragen liegt er mit 40 Prozent in Führung. Klitschko unterlag bereits 2006 bei der Kiewer Bürgermeisterwahl nur knapp dem Amtsinhaber.

Abgeschlagen sind bei den Präsidentenwahlen auch Serhij Tihipko und Mychajlo Dobkin, zwei Kandidaten, die eher den prorussischen Südosten ansprechen. Tihipko war bereits bei den letzten Wahlen 2010 mit einem respektablen Ergebnis auf Platz drei gelandet. Gänzlich ohne Chance dürften übrigens die Kandidaten der äußersten Rechten sein: Sowohl Oleh Tjahnybok, der Chef der nationalistischen Partei "Swoboda", als auch Dmytro Jarosch, der Anführer des rechtsextremen "Rechten Sektors", liegen unter der Wahrnehmungsschwelle - die Behauptung Russlands, dass in Kiew "Faschisten" die Macht ergriffen hätten, wirkt unter diesen Umständen wenig glaubhaft.