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Gemäßigte Radikalität

Von Alexander U. Mathé

Politik

Analyse: Marine Le Pen gilt in Frankreich als mäßigende Kraft ihrer rechtspopulistischen Partei.


Paris. Die Verzweiflung nach dem katastrophalen Abschneiden der regierenden Sozialisten in Frankreich machte Premierminister Manuel Valls deutlich. Während die rechtspopulistische Front National (FN) 25 Prozent der Stimmen erhielt, wurde die Sozialistische Partei mit 14 Prozent abgestraft. Und so versprach Valls schon wenige Stunden nach der geschlagenen Wahl Steuersenkungen für Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen.

Die Begründung lautet, dass das gute Ergebnis der Rechten auf den Unmut der Bevölkerung über Steuererhöhungen in den vergangenen Jahren zurückzuführen sei. Das mag stimmen. Doch die Verteilung von Polit-Zuckerln drängt den Gedanken auf, dass Präsident François Hollande nicht mehr viele Optionen bleiben. Immerhin hat der durch die Finanzkrise in Bedrängnis geratene Staatschef vor nicht allzu langer Zeit seinem Volk das größtmögliche Bauernopfer dargebracht und seinen Premierminister ausgewechselt.

Seit seinem Amtsantritt ist es Hollande nicht gelungen, seine Versprechen eines Wirtschaftsaufschwungs und einer Senkung der Arbeitslosenrate einzulösen. Die Unzufriedenheit mit diesem Zustand war sicher die Mutter des Sieges der FN. Generell war die EU-Wahl für die Franzosen eine gute Gelegenheit, um ihrem Ärger über Präsident und Regierung Luft zu machen. Doch maßgeblichen Anteil am Triumph der Front National hat Chefin Marine Le Pen. Dies hat aktuell damit zu tun, dass sie den Wählern ihre Anliegen erfolgreich als französische Grundwerte verkauft hat. Die Angst vor Islamisierung wurde unter das Schlagwort Laizismus gestellt, aus der Wirtschaftskrise wurde eine Identitätskrise und statt Gleichmacherei forderte sie Gleichheit.

Doch Le Pens Siegeszug hat schon viel früher begonnen, als sie die Partei in Frankreich wenn schon nicht salonfähig, so doch tolerierbar gemacht hat. Schon einmal war die Front National bei einer Wahl ganz weit vorne dabei. Das war 2002, als Jean-Marie Le Pen, Marine Le Pens Vater und damaliger FN-Chef, im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl Zweiter wurde. Doch der Widerwille gegen ihn war dermaßen groß, dass sein Gegner im Stechen, Jacques Chirac, einen Kantersieg von 82 zu 18 Prozent einfuhr. Diesen negativ mobilisierenden Effekt hat die FN heute nicht mehr.

Schon seit Monaten sagten die Umfragen in Frankreich der FN einen Sieg voraus. Doch ein kollektiver Verhinderungswunsch entstand dadurch nicht. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Marine Le Pen gemäßigter auftritt als ihr Vater. Der wurde beispielsweise nach dem Angriff auf eine Sozialistin wegen Körperverletzung verurteilt, er relativierte mehrmals den Holocaust und deklarierte öffentlich, er "glaube an die Ungleichheit der Rassen". Marine hingegen bezeichnete die Konzentrationslager als "Gipfel der Barbarei" und vermittelt generell den Eindruck, nuancierter und gemäßigter zu sein als ihr Vater. Die öffentliche Wahrnehmung weiter beeinflusst hat wohl auch die Drohung Le Pens jeglichen Fall, in dem sie als rechtsextrem bezeichnet würde, gerichtlich verfolgen zu wollen.

Trotzdem haftet ihr und ihrer Partei das Image von Rassismus an, wobei sie wie ihr Vater mit markigen Sprüchen für Schenkelklopfer in Wirtshausrunden sorgt. Etwa, wenn sie Gebete von Muslimen auf offener Straße mit der Besatzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland vergleicht.

Doch ihre politische Strategie scheint aufzugehen. So mancher Analyst hält es für möglich, dass die Front National bei den nächsten Wahlen trotz des in Frankreich geltenden Mehrheitswahlrechts auftrumpfen können wird. Sie selbst hat angekündigt, die FN binnen zehn Jahren in Frankreich "an die Macht" bringen zu wollen. Spätestens nach dem Ausgang der Europawahl tut niemand mehr diese Ansagen als Fantastereien ab.