Zum Hauptinhalt springen

Erdogans falsche Freunde

Von WZ-Korrespondent Gerd Höhler

Politik

Die Türkei wird immer tiefer in die Konflikte in Syrien und dem Irak hineingezogen. Der türkische Ministerpräsident setzte im Nahen Osten auf die falschen Freunde. Jetzt steht er vor den Trümmern seiner Außenpolitik.


Athen. "Null Probleme mit den Nachbarn" - das war das Dogma des türkischen Außenministers Ahmet Davutoglu. Die Türkei wolle als Friedensstifter zur Stabilität in der Region beitragen, erklärte Davutoglu. Doch das blieb ein Wunschtraum. In der Nachbarschaft herrscht das blanke Chaos.

Das Feuer des Bürgerkrieges in Syrien wird zu einem Flächenbrand, der nun auch den Irak erfasst hat. Und die Türkei wird immer tiefer in diese Konflikte hineingezogen, wie die Entführung von rund 80 Türken durch die islamistische Terrorgruppe Isis vergangene Woche im nordirakischen Mossul zeigt.

Mit "Soft Power", also den Mitteln der Diplomatie, wollten Premier Recep Tayyip Erdogan und sein Außenminister die Spannungen im Nahen Osten und Nordafrika lösen, ihrem Land neue Märkte und Energiequellen erschließen, um die Türkei als politische und wirtschaftliche Führungsmacht der Region zu etablieren. Doch diese Strategie ist gescheitert. Der Chefdiplomat Davutoglu und sein Premier stehen vor den Trümmern ihrer Außenpolitik.

Fehlkalkulation

"Null Probleme"? Die alten Konflikte mit Zypern und Griechenland sind ungelöst. Auch die angestrebte Annäherung an Armenien ist im Sande verlaufen. Neue Probleme sind hinzugekommen: Das Verhältnis zu Israel, früher der einzige militärische Verbündete des Nato-Staates Türkei in der Region, ist zerrüttet, seit Erdogan den Israelis "Staatsterrorismus" vorwarf und die radikal-islamische Hamas hofierte.

In Ägypten setzte Erdogan auf den Islamisten Mohammed Mursi und seine Muslimbrüder. Mit ihnen hoffte er, eine sunnitische Achse gegen den syrischen Diktator Bashar al-Assad zu schmieden. Schon früh hatte sich Erdogan auf die Seite der Aufständischen geschlagen und Assads Sturz gefordert.

Inzwischen zeigt sich: Erdogan hat die Entwicklung in Ägypten und die Kräfteverhältnisse in Syrien völlig falsch eingeschätzt. Mursi ist gestürzt, Assad dagegen festigt seine Macht.

Vor allem in Syrien setzte Erdogan auf falsche Freunde: Ausländische Geheimdienste glauben zu wissen, dass die Türkei islamistische Terrorverbände unterstützte, um Assad zu stürzen. Auch die türkische Opposition erhebt diesen Vorwurf. Die Regierung in Ankara bestreitet zwar jede Zusammenarbeit. Doch es scheint, als habe die Türkei in Syrien jene Geister gerufen, die sie nun nicht mehr loswird.

Jetzt stürzen die islamistischen Gotteskrieger auch den Irak ins Bürgerkriegschaos, den zweitwichtigsten Exportmarkt der Türkei nach Deutschland. Vor allem in der kurdischen Autonomiezone im Norden des Landes hat die Türkei eine starke wirtschaftliche Präsenz. Rund 70 Prozent der ausländischen Investitionen in der Region gehen auf das Konto türkischer Unternehmen. Fällt der Nordirak an die Isis-Terroristen, hätte das gravierende Folgen für die türkische Wirtschaft.

Aber der Konflikt hat auch eine globale Dimension. Er beginnt, zu einer Annäherung zwischen Washington und Teheran zu führen. Die Terrorbedrohung bringt zwei Erzfeinde zusammen. Das wird das künftige Gewicht des Iran in der Region stärken. Er könnte jene Rolle übernehmen, die Erdogan seinem Land zugedacht hatte.

Noch vor einigen Jahren erklärte Außenminister Davutoglu, im Nahen Osten werde sich künftig "gegen den Willen der Türkei kein Blatt bewegen". Doch nun sieht sich Ankara in der Rolle eines machtlosen Zuschauers. Während sich das türkische Außenministerium verzweifelt um eine Freilassung der Konsulats-Geiseln bemüht, besetzten kurdische Peschmerga-Kämpfer die nordirakische Erdölmetropole Kirkuk. Zuvor war die irakische Armee aus der Stadt geflohen.

Gelingt es den Peschmerga-Brigaden, den Vormarsch der Isis-Terroristen in die Ölregion zu stoppen, könnten die Kurden zu den Gewinnern dieser Auseinandersetzung werden. Sie würden nicht nur ihre Kontrolle über den Nordirak stärken. Auch die Autonomiebestrebungen der syrischen Kurden und die Forderung der türkischen Kurden nach mehr politischer Selbstverwaltung bekämen dann Auftrieb. Das würde die Türkei noch mehr in die Defensive bringen.