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Aus der Strafkolonie

Von Simone Brunner

Politik

In Belarus wurde Menschenrechtler Ales Bjaljazki überraschend aus der Haft entlassen. Läutet Präsident Alexander Lukaschenko eine Tauwetterperiode ein - oder spielt er einen Trumpf im Poker zwischen Russland und dem Westen aus?


Minsk. Der 21. Juni war für Ales Bjaljazki zunächst ein Tag wie jeder andere: Tagwache und Dienstantritt im Straflager Babrujsk Nummer zwei. Handschuhe, Leintücher und andere Textilien in Pakete packen, die zuvor von anderen Insassen genäht worden waren. Doch dann die erlösende Nachricht: Amnestie. Wenige Augenblicke später saß Bjaljazki schon im Zug nach Hause. Um Punkt 15.05 Uhr lagen ihm auf dem Bahnsteig bereits seine Angehörigen in den Armen - nach fast drei Jahren Haft in einer weißrussischen Strafkolonie, 150 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Minsk.

Bjaljazki ist Präsident der weißrussischen Menschenrechtsorganisation "Wiasna" (übersetzt "Frühling"), die politisch Verfolgte, Häftlinge und deren Familien unterstützt. Bis zum vergangenen Wochenende galt aber er selbst als einer der prominentesten Opfer des weißrussischen Regimes: Im Herbst 2011 war Bjaljazki wegen Steuerhinterziehung zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die EU und USA hatten die Haft als "politisch inszeniert" bezeichnet und immer wieder Bjaljazkis Freilassung gefordert. "Eure Hilfe auf nationaler und internationaler Ebene hat es überhaupt erst möglich gemacht, dass ich heute frei bin", sagte der 51-Jährige bei seiner Ankunft in Minsk, sichtlich bewegt, aber auch sichtlich ausgezehrt.

Die vorzeitige Entlassung kam sowohl für Bjaljazki als auch für Beobachter vollkommen überraschend. Hoffnungen wurden zuletzt an die Eishockey-Weltmeisterschaft im Mai geknüpft, die im Mai in Minsk über die Bühne ging: Man hoffte auf eine Amnestie nach dem Vorbild Russlands, wo vor den Olympischen Spiele in Sotschi sowohl Michail Chodorkowski als auch die Aktivistinnen von Pussy Riot freigelassen worden waren. Aber das weißrussische Regime blieb hart. Im Gegenteil: Während der WM wurden weitere Aktivisten der Zivilgesellschaft inhaftiert.

Lukaschenko "erschrocken"

Warum ausgerechnet jetzt? In der Ukraine-Krise könnte der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko versuchen, die Hand wieder in Richtung EU auszustrecken, sind sich Analysten einig: Die Politik des Kremls, dem wichtigsten Partner des international isolierten Belarus, habe auch "Lukaschenko etwas erschreckt", meint der Minsker Politologe Jurij Tschausow. Lukaschenko ist zuletzt mit einigen - wenngleich kleinen Schritten - zur Ukraine-Politik des Kremls auf Distanz gegangen: So hat Lukaschenko den Übergangspräsidenten Oleksandr Turtschinow, anders als der Kreml, immer als den rechtmäßigen Präsidenten der Ukraine bezeichnet. "Lukaschenko versucht, seine geopolitische Position dem Westen zu verkaufen", so der Publizist Aljaksandr Klaskouski. Lukaschenko könnte sich dadurch eine Lockerung von Sanktionen oder mögliche Finanzhilfen versprechen. Zuletzt habe es hinter den Kulissen vermehrte diplomatische Kontakte zwischen der weißrussischen Führung und EU-Mitgliedsländern gegeben, erklärt der Politologe und Lukaschenko-Biograf Waler Karbalewitsch.

Und die politisch Gefangenen könnten in diesem Handel ein wichtiger Trumpf sein: Die Freilassung Bjaljazkis waren sowohl von der EU als auch von den USA immer wieder gefordert worden. Der große Durchbruch ist die Freilassung Bjaljazkis indes freilich nicht. "Für eine wirklich ernst gemeinte Zusammenarbeit mit der EU hätte man alle politischen Gefangenen freilassen müssen", so Ulad Wialitschka von der Organisation "Eurobelarus".

Sieben weitere Personen gelten in Belarus derzeit als politische Gefangene, darunter auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat Mikalaj Statkewitsch. Die weißrussischen Straflager sind berüchtigt - vor allem im Umgang mit politischen Häftlingen. In der Haft wurde auf Bjaljazki großer psychischer Druck ausgeübt, wie seine Ehefrau Natalja Pintschuk der "Wiener Zeitung" schilderte: "Unter Strafandrohung wird den anderen Insassen verboten, mit meinem Mann zu sprechen", so Pintschuk in einem persönlichen Gespräch im Winter. "Nicht genug damit, dass er im Gefängnis ist. Er wird auch dort noch einmal zusätzlich isoliert." Die gesetzlichen Besuchszeiten wurden Pintschuk zudem immer wieder verwehrt. Viel wurde indes über Bjaljazkis Gesundheitszustand spekuliert. Pintschuk: "Es gibt schlechtes Essen und schlechte Medikamente." Wie schlimm die Bedingungen in der Haft wirklich waren, drang allerdings nicht nach außen. "Alle Briefe und Informationen werden von einem Zensor überwacht", so Pintschuk.

Trotz aller Widrigkeiten hat Bjaljazki, ein promovierter Literaturwissenschaftler, in der Haft ein Buch mit Essays und Artikeln geschrieben. Dieses wurde jedoch durch ein Gerichtsurteil in Belarus verboten. In Freiheit will Bjaljazki dort weitermachen, wo er aufgehört hat: "Ich hoffe, dass meine Freilassung erst der Anfang ist - und dass bald alle politischen Gefangenen frei kommen", sagte Bjaljazki bei seiner ersten Pressekonferenz. Sein Engagement brachte ihm 2012 und 2013 sowie auch heuer wieder eine Nominierung für den Friedensnobelpreis ein.

In Belarus herrscht nach der Freilassung Bjaljazkis vorsichtiger Optimismus: Es ist kein Durchbruch, aber zumindest ein Hoffnungsschimmer. "Er verkörpert die Idee des friedlichen Widerstandes und der Menschenwürde", so der Oppositionelle Ales Lahviniez. "Seine Entlassung gibt uns große Hoffnung."