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Eine lange Reise endet und beginnt

Von Ronald Schönhuber

Politik

Die Ukraine, Georgien und Moldawien unterzeichnen trotz massiven Drucks aus Moskau das EU-Assoziierungsabkommen.


Tiflis/Chisinau. Die beiden Söhne von Elizbaar Imerlischwili haben längst ihren Weg gemacht. Der ältere, der in London studiert hat, ist heute Manager eines großen Supermarktes in der Hauptstadt Tiflis, der jüngere arbeitet für Ernst&Young, einen der dicksten Fische in der globalen Wirtschaftsprüfungsbranche, und lebt seit einem Monat in der USA. Dass es die beiden so weit bringen würden, hätte man allerdings nicht erwarten müssen. Denn Imerlischiwilli lebt im abgelegenen Osten Georgiens, außer endlosen Getreidefeldern, die nach dem Zerfall der Sowjetunion erst mühsam wieder kultiviert werden mussten, gibt es hier nicht viel. Doch der Landwirt, der knapp 200 Hektar in der Grenzregion zu Aserbaidschan bewirtschaftet, ist nicht nur ein politischer Kopf, sondern auch einer, der kosmopolitisch denkt. Und Imerlischiwilli hofft, dass nicht nur seine Söhne den Aufstieg schaffen, sondern dass es auch die anderen Jungen im Land einmal besser haben. "Ich will, dass Georgien ein zivilisiertes europäisches Land wird", sagt der Bauer mit dem grauen Haarkranz und dem stattlichen Bauch.

Einen großen Schritt Richtung Europa wird Georgien bereits am Freitag machen. Gemeinsam mit der Ukraine und Moldawien wird der kleine Südkaukasus-Staat, der gerade einmal 4,5 Millionen Einwohner zählt, ein weitreichendes Assoziierungs- und Handelsabkommen mit der EU finalisieren. Der Vertrag wird in den drei Ländern als Meilenstein für einen künftigen EU-Beitritt betrachtet, doch von Jubelstimmung war in den vergangenen Wochen wenig bis nichts zu bemerken. Vielmehr dominierten Vorsicht und demonstrativ zur Schau getragene Routine das Handeln der politischen Akteure. Denn zu groß ist bis heute die Sorge, dass Russland der Westintegration ehemaliger Sowjetrepubliken einmal mehr nicht tatenlos zusehen könnte. Wie wenig geneigt Moskau ist, früher eng verbundene Staaten aus seiner Einflusssphäre zu entlassen, hat bereits die Ukraine schmerzlich erfahren müssen, als sie vor knapp sieben Monaten erstmals das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen wollte. Der Rückzieher des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der unmittelbar auf ein Treffen mit Kreml-Chef Wladimir Putin folgte, befeuerte die Proteste der proeuropäischen Maidan-Bewegung. Nach der Flucht Janukowitschs annektierte Russland die Krim, im Osten der Ukraine traten auf einmal schwer bewaffnete Separatisten auf den Plan, die einen Anschluss an Russland forderten.

Angst vor Sanktionen

Wie Russland reagieren wird, wenn der neue ukrainische Präsident Petro Poroschenko am Freitag den noch ausständigen wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens unterschreibt - der politische Teil war bereits nach der Krim-Annexion unterzeichnet worden -, bleibt auch diesmal die große Unbekannte. Zwar hat Putin vor seinem Wien-Besuch am Dienstag Entspannungssignale gesendet und die parlamentarische Vollmacht für ein Eingreifen in der Ostukraine aufheben lassen, doch in den vergangenen Wochen hatte Moskau der Ukraine für den Fall einer Unterzeichnung mehrmals mit wirtschaftlichen Konsequenzen gedroht.

Ähnliches hatten zuletzt auch Georgien und Moldawien zu hören bekommen. In Tiflis geht nun vor allem die Angst um, dass Moskau erneut ein Importverbot für Wein und Mineralwasser aus Georgien - zwei der wichtigsten Exportgüter des Landes - erlässt. Erst vor knapp einem Jahr war der russische Markt nach dem fünfjährigen Boykott, der nach dem Georgien-Russland-Krieg 2008 verhängt worden war, wieder für diese Produkte geöffnet worden. Moldawien, das fast völlig von russischen Energieimporten abhängig ist, befürchtet neben einer Ausweitung der bereits bestehenden Handelssanktionen auch eine Beschränkung bei der Visa-Vergabe. Da viele Moldawier in Russland arbeiten und viel Geld nach Hause schicken, würden Einreisebeschränkungen einen schweren Schlag für die Wirtschaft des Landes bedeuten.

Moskau, so fürchten moldawische und georgische Politiker, könnte allerdings auch noch einen Schritt weiter gehen. Beide Länder verfügen mit Transnistrien beziehungsweise Abchasien und Südossetien über abtrünnige Regionen mit einer stark pro-russisch eingestellten Bevölkerung. Und bereits in der Vergangenheit hatte es dort immer wieder Destabilisierungsversuche gegeben, für die Russland verantwortlich gemacht wurde.

Lange Übergangsphase

Doch selbst wenn der Kreml seine Muskeln nicht spielen lässt, werden sich die Ukraine, Georgien und Moldawien mit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens nicht über Nacht in Länder verwandeln, in denen Milch und Honig fließt. Vielmehr, so betonen EU-Diplomaten, beginne damit erst die lange Reise der Länder östlichen Partnerschaften. Denn dem erhofften Wirtschaftswachstum und dem Wegfall der Zollbeschränkungen, der allein ukrainischen Exporteuren Ersparnisse von 500 Millionen Euro bringen soll, steht die komplexe und langwierige Umsetzung der EU-Handels- und Binnenmarktvorschriften gegenüber. So müssen nicht nur die lokalen Produktstandards an jene der EU angepasst werden, sondern auch Vergaberichtlinien, Wettbewerbsbestimmungen und Copyright-Regeln. Damit wird es mindestens 2015 werden, bis etwa Milch und Käse aus den drei Ländern auch in den Supermarktregalen in der EU auftauchen. Für die ukrainische Autoindustrie gilt überhaupt eine 15-jährige Übergangszeit.

Viele Experten sehen das Assoziierungsabkommen aber trotzdem als nötige Initialzündung für bisher verschleppte Reformen an. Oder wie es Bauer Imerlischiwilli formuliert: "Georgien kann nun das jeweils Beste der anderen Länder übernehmen."

Nato Dämpft Georgiens Hoffnungen

Die Nato hat den Hoffnungen Georgiens auf eine rasche Aufnahme in die westliche Militärallianz einen Dämpfer erteilt. "Beim Gipfel in Wales wird es nicht um einen Fahrplan für einen Nato-Beitritt Georgiens gehen", sagte der Generalsekretär der Allianz, Anders Fogh Rasmussen am Mittwoch. Stattdessen wolle das Bündnis im September eine verstärkte Unterstützung des Landes beschließen, um Georgien enger an die Nato anzubinden. Mehrere Nato-Staaten scheuen vor einer Aufnahme Georgiens zurück, weil sie im Fall einer erneuten militärischen Auseinandersetzung um Abchasien oder Süd-Ossetien nicht in einen Krieg mit Russland hineingezogen werden wollen.