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Die zweite Inszenierung

Von Alexander Dworzak aus Sopron

Politik

Vor 25 Jahren zerschnitten Alois Mock und Gyula Horn im Nachhinein den "Eisernen Vorhang". Anlässlich des Jubiläums unterschrieben Österreich, Ungarn und die Slowakei am geschichtsträchtigen Ort eine "Freiheits-Charta".


Klingenbach/Sopron. Blaue Sirenen leuchten auf den Dächern der Limousinen, ungarische Polizeiautos stimmen in das Lichtkonzert ein. Der Verkehr steht still, während der Konvoi durch die pannonische Tiefebene gleitet. Die Insassen im Bus, Schüler und Twens, sind begeistert, einige machen Schnappschüsse mit der Handykamera. Sie fühlen sich wichtig, als Teil eines Ereignisses. Denn am Freitagvormittag trifft sich politische Prominenz gleich hinter dem österreichisch-ungarischen Grenzübergang Klingenbach: Außenminister Sebastian Kurz, sein slowakischer Amtskollege Miroslav Lajčák und Ungarns stellvertretender Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó. "Im Gebpäck" befinden sich rund 100 Jugendliche und junge Erwachsene aus den drei Nachbarstaaten. Anlass ist die Durchtrennung des "Eisernen Vorhanges" vor exakt 25 Jahren durch die beiden damaligen Außenminister von Österreich und Ungarn, Alois Mock und Gyula Horn, an jener Stelle.

Das Schwarz-Weiß-Bild vom 27. Juni 1989 ist Teil des zumindest ostösterreichischen kollektiven Gedächtnisses: Mock und Horn lächeln, Drahtscheren in der Hand. Noch steht der Zaun. "Wir sind Zeugen eines historischen Ereignisses", sagte Ungarns Außenminister Horn damals. "Wir haben die jahrzehntelange Trennung beider Völker beendet, die Freundschaft verhindert hat." Doch das Bild ist eine Inszenierung. Bereits Anfang Mai 1989 wurden die Grenzanlagen abgebaut. "Wir mussten den Eisernen Vorhang aufbauen und direkt danach wieder abbauen", erinnert sich Miklós Németh, damals ungarischer Ministerpräsident, in einem "ARD"-Interview. 200 Meter schmerzhafte Geschichte wurde nochmals reaktiviert, um der Weltöffentlichkeit die passenden Bilder zum politischen Umbruch zu liefern.

"Freiheiten genießen, erhalten und helfen zu erhalten"

Heute erinnert daran ein unspektakulärer Gedenkstein, er liegt an der Kreuzung von zwei Waldwegen. "Man merkt nicht, dass hier Geschichte geschrieben worden ist", sagt Muamer Becirovic. Der 18-Jährige besucht das Islamische Realgymnasium im 15. Wiener Gemeindebezirk und ist einer jener rund 30 österreichischen Jugendlichen vor Ort. Dennoch stimmt ihn die Kulisse nachdenklich: "Die Jugend schätzt heute zu wenig, was es bedeutet hätte, hinter solch einem Zaun zu leben."

Für jene nicht ganz so Geschichtsbewussten ruft der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák in Erinnerung: "Ich habe heute drei Botschaften an Euch: Erstens, genießt Eure Freiheiten, reist, arbeitet in Europa. Zweitens, erhaltet diese Freiheiten. Blickt Richtung Ukraine, wie schnell sich Dinge ändern können. Und drittens, helft anderen, diese Freiheiten zu erhalten." Kurz sagt: "Der Fall des Eisernen Vorhangs war einer der bedeutendsten Meilensteine auf dem Weg in ein friedliches und vereintes Europa."

Österreichs Außenminister sowie Lajčák und Szijjártó sind an den Ort der Inszenierung zurückgekehrt - um eine eigene Inszenierung zu veranstalten. Neben dem Gedenkstein ist ein kleines weißes Zelt Marke Gartensiedlung aufgebaut, geschmückt mit den Fahnen der drei Länder. Die Politiker unterschreiben darin eine "Freiheits-Charta". Sie erinnert an die Ereignisse vor 25 Jahren, richtet den Blick aber vor allem in das 21. Jahrhundert. Man sei sich der Tragödien in der Vergangenheit bewusst, daher verurteile man Extremismus, Rassismus, Intoleranz und Diskriminierung. In einer Passage des Dokuments wird Europa als "demokratischer Kontinent" bezeichnet. Das autoritäre weißrussische Regime unter Alexander Lukaschenko wird an dieser Stelle ausgeklammert.

Nach Unterzeichnung der Charta lassen sich die drei Politiker neben dem Gedenkstein ablichten, dann geht die Vergangenheits-Tour weiter, die Blaulichtkolonne setzt sich wieder in Bewegung.

Nächste Station ist der Ort des "Paneuropäischen Picknicks". Bei der Demonstration im August 1989 nutzten rund 600 DDR-Bürger die Gelegenheit, um in den Westen zu fliehen. Tausende sollten später folgen. "Die Hilfsbereitschaft der Burgenländer war beispielgebend. Sie stellten Kleidung, Lebensmittel und Unterkünfte bereit", sagt Wolfgang Bachkönig. Angesprochen auf Parallelen zwischen der Hilfe beim Ungarn-Aufstand 1956 und den Geschehnissen von 1989 meint der Polizist und Chronist, dass die Bevölkerung mit dem grenznahen ungarischen Raum stets sehr verbunden war. "Die Region ist auf dem Weg, eine Einheit zu werden."

Fremde Ereignisse,gelegentlich fremde Nachbarn

So weit geht Dóra Kutasi nicht. Die 19-Jährige meint zwar, es sei selbstverständlich für Österreicher aus der Gegend, in ihre Heimatstadt Sopron zu kommen. Umgekehrt gelte das auch, jedoch oft nicht aus privaten Gründen wie den stereotyp klingenden, aber tatsächlichen Friseur- oder Zahnarztbesuchen, sondern aufgrund des Arbeitsplatzes. Und während Volksschüler in Sopron zwischen Deutsch und Englisch als Fremdsprache wählen könnten, hinkten die Ungarischkenntnisse der Österreicher noch weit hinterher.

Fremd war für manch Teilnehmer der Fahrt auch ein Bezug zu den Ereignissen von 1989: "Obwohl mein Vater geschichtlich versiert ist und mir vom Fall des Eisernen Vorhangs erzählt hat, war er für mich emotional weit weg", sagt die Salzburgerin Christina Standl. Sie stammt aus Oberndorf an der Grenze zu Deutschland, in der Kindheit, etwa in den Ferien, sei der Blick nicht gen Osten gerichtet gewesen. "Erst mit dem Studium in Wien und meinem Fach Geografie und Regionalentwicklung hat sich das geändert", so die 23-Jährige.

Standl wurde vom Generalsekretär ihres Chors gefragt, ob sie mitfahren wolle. Während die Rekrutierung der Österreicher informell über das Netzwerk von Sebastian Kurz erfolgte, wurden die slowakischen Teilnehmer von ihren Universitäten nominiert. Veronika Vavrikova studiert in Bratislava Jus, zusätzlich dazu auch in Wien. Sie möchte später im Bereich slowakisch-österreichische Beziehungen arbeiten. Ob die Städte Partner seien, wie offiziell suggeriert? "Bratislava ist die jüngere Schwester", lächelt Vavrikova. In Wien fühle sie sich willkommen. Nicht erst, weil der trilaterale Ausflug nach einem Abstecher in der Slowakei mit einer Fahrt mit dem Twin City Liner an den Wiener Donaukanal fortgesetzt wird. Ganz ohne Blaulicht.