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Frankreichs Politik in Trümmern

Von Alexander U. Mathé

Politik

Analyse: Sowohl Sozialisten als auch Konservative liegen komplett darnieder.


Paris/Wien. Nicolas Sarkozy steigt aus der Politik aus, Sarkozy wird Privatier, hat es noch nach der Wahlniederlage des damaligen Amtsinhabers bei der Präsidentschaftswahl 2012 geheißen. Doch stets wirkte es so, als ob Sarkozy allen Beteuerungen zum Trotz an seiner triumphalen Rückkehr arbeite. Ein klares Indiz dafür waren seine beiden Kronprinzen in der konservativen UMP: Ex-Premier François Fillon und der ehemalige beigeordnete Minister für den Staatshaushalt Jean-François Copé. Sie verhielten sich wie zwei Halbstarke, die sich im gegenseitigen Gefecht stets klein hielten und nur darauf warteten, dass Sarkozy als Übervater mit seiner Rückkehr für Ordnung in der Partei sorgen würde.

Im ersten Jahr nach Sarkozy schien diese These verwegen, doch seit ein paar Monaten wurde wieder offen über eine Präsidentschaftskandidatur Sarkozys 2017 spekuliert. Umso herber traf die Partei die Festnahme Sarkozys durch die Polizei am Dienstag. Die Fülle an Vorwürfen, mit denen sich Sarkozy konfrontiert sieht, lässt es zumindest schwierig erscheinen, dass er unbeschadet aus ihnen herauskommt.

Copé, der in zumindest eine der Affären ebenfalls involviert gewesen sein dürfte, ist über diese schon gestürzt und musste das Amt als Parteichef niederlegen. Doch sollte auch Sarkozy stürzen könnte die UMP in echte Not geraten. Denn es ist nicht so, als ob mit dem Wegfall Copés auf einmal Fillon zum Thronerben aufgestiegen wäre. Im Gegenteil: Die Aspiranten sind mehr geworden und neben Fillon erheben nun mit Alain Juppé und Jean-Pierre Raffarin zwei weitere Ex-Premierminister Anspruch auf die Parteiführung. Diese teilen sich die Drei, bis im Herbst die Entscheidung zum neuen starken Mann in der UMP gefällt werden soll.

Doch die Vorzeichen für diese Entscheidung sind schlecht. Bereits Fillon und Copé haben versucht, durch ein Votum zu entscheiden, wer Parteichef wird. Das Ergebnis war desaströs: Nach einem knappen Wahlresultat 2012 kam es zu Vorwürfen des Wahlbetrugs. Beide Platzhirsche bestanden auf ihrem Führungsanspruch, was die Partei an den Rand der Spaltung trieb. Eine Gefahr, die auch heute noch präsent ist. "Seit der Präsidentschaftskampagne 2012 befindet sich die UMP in einer immensen ideologischen, finanziellen und moralischen Unordnung", stellte Fillon fest. Allerdings ist der Mann, der sich vom inzwischen gestürzten ägyptischen Machthaber Hosni Mubarak einen Luxusurlaub mit Familie zu den Tempelanlagen in Abu Simbel und Unterkunft auf der Nilinsel Elephantine zahlen lies, bei letzterem Punkt auch nicht ganz unbefleckt.

Finanziell haben der Partei vor allem die Korruptionsskandale und Affären rund um illegale Parteifinanzierung zugesetzt. Ideologisch herrscht nun an der Spitze die Linie von Juppé und Raffarin, die für eine europäische Mitte-Rechts-Strömung mit liberalen Tendenzen steht. Fillon wiederum wird hier als noch etwas liberaler gesehen. Daneben hat sich eine Strömung um Ex-Justizministerin Rachida Dati, Ex-Wissenschaftsminister Laurent Wauquiez, Sarkozys Redenschreiber Henri Guaino und Jungstar sowie Vizeparteichef Guillaume Peltier gebildet. Sie stehen für eine radikalisiertere Rechte, in der Tradition des Gaullismus, nationalen Bewusstseins, jüdisch-christlicher, aber auch sozialer Werte. Dabei lehnen sie jeglichen Zentrumskurs ab.

Auflösung der UMP?

Dabei sorgt am rechten Rand bereits der Aufstieg der Front National (FN) für Ärger. Nicht nur, weil die Rechtspopulisten auf dem Weg zu einer etablierten Kraft sind. Sondern auch, weil manch ein UMPler bereits auf einen Wechsel schielt. Dies bereitet der FN wiederum Sorge - trotz des Jubels über die derzeitige Stärke. Denn ein anderes Szenario wäre, dass sich die UMP in einen rechten und einen bürgerlichen Flügel spaltet und der rechte Flügel den moderaten Flügel der FN abwirbt.

Mitten in diesem Tumult gibt es selbstverständlich noch die Sarkozy-Anhänger, die alles dafür tun, um zu verhindern, dass Fillon, Juppé oder sonst jemand außer Sarkozy der UMP-Präsidentschaftskandidat für 2017 wird.

Unter diesen Umständen und da die Marke UMP inzwischen für Skandale, Tumulte, Uneinigkeit und mangelnde Führungskraft steht, wäre es für manchen Analysten eine durchaus praktikable Lösung, die Partei aufzulösen, umzustrukturieren und umzubenennen.

Bei einer dermaßen darniederliegenden Opposition müsste es ein Leichtes sein, zu regieren - möchte man meinen. Doch das Gegenteil ist für Präsident François Hollande und seine Sozialisten der Fall. Die Partei ist in Auflösung begriffen. Die Popularität des Staatschefs rangiert irgendwo bei 16 bis 18 Prozent, während seine eigenen Parteifreunde und Abgeordneten den Aufstand proben. Hollande wurde im Mai 2012 mit dem Versprechen gewählt, dass ein anderer Weg als Sparen möglich sei. Auf diesem Weg wollte er innerhalb von 18 Monaten die Arbeitslosigkeit (die damals 9,7 Prozent betrug) reduzieren. Stattdessen stieg sie konstant und erreichte vergangenen Monat das Rekordhoch 10,4 Prozent.

Versucht Hollande zurückzurudern und etwa Ausgabenkürzungen durchzusetzen, droht der linke Flügel der Sozialisten im Parlament mit Blockade. Den moderateren Flügel wiederum vergrätzte er mit seinen Plänen, die 22 französischen regionalen Regierungen auf 14 zu reduzieren. Anfang des Jahres war die Lage dermaßen eng, dass Hollande seinen Premier Jean-Marc Ayrault opfern musste. Der neue Mann, Manuel Valls, hat zwar zu einer gewissen Entspannung beigetragen, ist aber - da vom rechten Parteiflügel - nicht unumstritten.

Dem nicht genug, droht den Sozialisten noch eine andere Gefahr. Die negative Entwicklung wird eine Genugtuung für den Chef der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, sein. Der hat es sich 2012 zum Ziel gesetzt, die Sozialistische Partei innerhalb von zehn Jahren zu übernehmen. Eine Idee, die gar nicht so abwegig ist. Hat doch mit François Mitterrand einer der ganz großen französischen Politiker genau dieses Kunststück in den 1970er Jahren vollbracht.

Italien steigt auf

Beobachtet man, wie Außenstehende auf die Situation in Frankreich reagieren, so müssen in Paris erst recht die Alarmglocken schrillen. Denn auf einmal wandern Bilder von Angela Merkel durch die Medien, auf denen die deutsche Kanzlerin lächelnd und zufrieden mit Italiens Premierminister Matteo Renzi traute Zweisamkeit übt. Dessen Land liegt zwar wirtschaftlich darnieder, doch politisch strahlt er Stärke und Verlässlichkeit aus. Ein Image, das man in Frankreich sicher gerne zurückhätte - was aber sicherlich noch etliche Zeit dauern wird.