Brüssel/Moskau. (czar/klh/reu) Ob es nun das Ende der Stufe zwei oder schon Stufe drei sei - darüber wollte Angela Merkel in der Vorwoche nicht spekulieren. Mit ihren Amtskollegen aus der EU hat die deutsche Bundeskanzlerin bei einem Sondertreffen in Brüssel mögliche weitere Sanktionen gegen Russland beraten und den rechtlichen Weg dafür vorbereitet. Einen Tag nach der Zusammenkunft kam es zu der Flugkatastrophe mit fast 300 Toten in der Ostukraine, und mittlerweile ist auch in Berlin der Ton gegenüber Moskau schärfer geworden. Von wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, also Stufe drei im Plan, war dann die Rede.

Dies konkreter zu fixieren war die Aufgabe der Botschafter der EU-Staaten, die gestern, Donnerstag, in Brüssel zusammengekommen sind. Doch schon für Anfang nächster Woche ist ein weiteres Treffen angesetzt. Daher wurde zunächst die Erweiterung der Liste der Personen und Unternehmen diskutiert, die von Sanktionen betroffen sind. In der Aufzählung finden sich nun weitere 15 Russen und Ukrainer sowie neun Firmen und neun Institutionen. Die Bereiche sollen aber schon bald umfassender werden. So schlägt die EU-Kommission laut Diplomaten vor, den Kauf neuer Aktien oder Anleihen in der Union zu untersagen, die von russischen Banken mit einer Staatsbeteiligung von mehr als 50 Prozent ausgegeben werden. Damit wäre die Fähigkeit dieser Geldhäuser, die russische Wirtschaft zu unterstützen, eingeschränkter.

Gefahr für beide Seiten

Zur Debatte stehen ebenfalls Exportverbote - auch wenn ein Waffenembargo wohl noch Zeit benötigen würde. Dennoch würde der Stopp der Ausfuhren die Rüstungsindustrie treffen, ebenso Teile des Kapitalmarktes, bestimmte Technologien sowie Waren, die auf zweierlei Art genutzt werden können - zivil und militärisch. Die Sanktionen sollen jedoch zeitlich befristet werden, um der Regierung in Moskau "einen Weg zurück zur Normalität" offenzuhalten, heißt es.

Für den Energiesektor könnte es ebenfalls Einschränkungen geben. Zwar hat Energiekommissar Günther Oettinger dafür plädiert, russische Öl- und Gaslieferungen, von denen die Europäer zu einem großen Teil abhängig sind, nicht auf mögliche Verbotslisten zu setzen. Das müsse aber nicht für bestimmte Technologien, also beispielsweise Geräte zur Gasförderung gelten.

Die Strafmaßnahmen bergen allerdings für beide Seiten eine Gefahr. Obwohl sich einige russische Regierungsvertreter betont gelassen gaben, fehlte es nicht an warnenden Stimmen. So fürchtet der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin eine Wachstumsdämpfung. Die Strafen der EU könnten eine Gefahr für die Industrie-Modernisierung bedeuten.

Auch die Europäer riskieren Einbrüche in ihren Geschäften mit Russland. Im Vorjahr exportierten sie Waren im Wert von 120 Milliarden Euro dorthin. Der Wert der Ausfuhren aus Deutschland etwa betrug 36 Milliarden Euro. Nach Angaben des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft sind an die 300.000 Arbeitsplätze vom Handel mit Russland abhängig.

Doch macht den Europäern ebenfalls zu schaffen, wie sehr sie umgekehrt auf die Öl- und Gasimporte angewiesen sind. Manche Staaten decken ihren gesamten Verbrauch mit Einfuhren aus Russland.

Wie sich das Verhältnis zwischen der EU und Russland weiter entwickelt, werde sehr stark davon abhängen, wie sich die Ereignisse in den kommenden Tagen in der Ukraine entwickeln, betonten EU-Vertreter immer wieder. Und hier wird es vor allem darauf ankommen, welche neuen Erkenntnisse es rund um die Flugkatastrophe der Maschine der Malaysian Airlines gibt und wie weit Moskau weiter die prorussischen Separatisten in der Ostukraine unterstützt. Laut Beobachtern ist es offensichtlich, dass Moskau die Rebellen mit Waffen versorgt und dass Kämpfer aus Russland einsickern. Immer wieder wird deshalb von Russland gefordert, eine internationale Überwachung seiner Grenze mit der Ukraine zuzulassen.

Ob Russland nun aber genau in dem Moment, in dem die ukrainische Armee eine Offensive gegen die Rebellen unternimmt, von den Separatisten ablässt, ist fraglich. Erst kürzlich sind zwei ukrainische Militärflugzeuge - unweit der Stelle, an der der Flieger der Malaysian Airlines zu Boden ging - abgeschossen worden. Aus Kiew wurden zunächst Anschuldigungen laut, dass die Maschinen von russischem Territorium aus unter Beschuss genommen wurden. Moskau dementierte dies heftig. Mittlerweile wurde auch die Ukraine vorsichtiger, ein Regierungsvertreter meinte am Donnerstag, man prüfe alle möglichen Varianten.

Die Rebellen in der Ostukraine operieren immer noch in der Region, in der der Flug MH17 endete, weshalb viele internationale Experten, die den Absturz untersuchen sollen, nur einen sehr eingeschränkten Zugang haben - auch das stößt vielen westlichen Staaten auf. Die Niederlande und Australien bereiten nach Medienberichten eine Resolution für den UN-Sicherheitsrat vor, um den Einsatz einer bewaffneten Einheit in dem Katastrophengebiet zu ermöglichen.

Russland will Beweise sehen

Es besteht die Befürchtung, dass die Rebellen Beweisstücke verschwinden lassen oder dass diese schon vernichtet sind. Laut westlichen Geheimdiensten verdichteten sich immer mehr die Hinweise, etwa durch Satellitenaufnahmen, dass die Separatisten die Maschine vom Himmel geholt haben. Russlands Vizeverteidigungsminister Anatolij Antonow sagte nun aber, er wolle endlich die Beweise sehen, von denen immer die Rede ist - noch gebe es keinen Beleg, dass die Rebellen verantwortlich seien.