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Weg frei für "Stufe drei"

Von Gerhard Lechner

Politik

Die EU zeigt sich erstaunlich geeint und beschließt erstmals Wirtschaftssanktionen gegen Russland.


Kiew/Moskau/Brüssel. Lange hatten die maßgeblichen Politiker in der Europäischen Union gezögert, gegen Russland aufgrund seines Verhaltens in der Ukraine-Krise wirklich schmerzhafte Strafmaßnahmen zu verhängen. Kein Wunder, stellt doch das Riesenreich im Osten für viele europäische Staaten einen wichtigen Handelspartner dar. Deutschland, dessen Wirtschaft mit Russland eng verflochten ist, fürchtet um seine Maschinenexporte; Frankreich um die Erlöse aus der Lieferung von Kriegsschiffen, Italien um die Beziehungen im Energiebereich. Und Großbritannien - an sich ein enger Alliierter des geopolitischen Widerparts Russlands, der USA - hat Angst vor einer Abwanderung russischer Oligarchen aus Europas bedeutendstem Finanzplatz, der Londoner City.

Und dennoch verschärft die EU ihre bestehenden Sanktionen gegen Russland. Schon am Montagabend hatte sie Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Personen beschlossen, die zum engeren Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehören sollen. Nun nimmt man auch Kurs auf die lange vermiedene "Stufe drei": Auf Wirtschaftssanktionen, die dem Kreml wehtun sollen und deren Zweck es ist, dass die russische Führung in dem Konflikt um die Ostukraine zum Einlenken gezwungen wird. Die EU wirft Moskau die Unterstützung der prorussischen Separatisten in der Ostukraine vor, die möglicherweise auch zum Absturz der malaysischen Boeing 777 geführt habe. Brüssel will, dass Russland diese Unterstützung einstellt.

Die Strafmaßnahmen werden allerdings erstmals auch der europäischen Wirtschaft Opfer abverlangen. Die "Stufe drei"-Maßnahmen gelten als die härtestmöglichen Strafmaßnahmen gegen die Politik des Kreml. Während Anhänger einer strengen Sanktionen-Politik sich befriedigt zeigen, befürchten Kritiker eine weitere Verhärtung der Politik des Kreml. Russland könnte nach dem Motto "Nun haben wir nichts mehr zu verlieren" seine Ukraine-Politik verschärfen - möglicherweise auch bis zu einem offenen Krieg mit der Ukraine - und auch innenpolitisch die Zügel fester anziehen. Wie in den letzten Jahren: So hat sich Russland durch den Westen beispielsweise in dem Libyen-Konflikt um den Sturz von Ex-Staatschef Muammar Gaddafi überspielt gefühlt. Dass der Westen die Bereitschaft von Ex-Präsident Dmitri Medwedew, über Libyen eine Flugverbotszone einzurichten, zu einer Unterstützung der libyschen Rebellen nutzte, die dann Gaddafi stürzten, soll wesentlich zum Entschluss Wladimir Putins beigetragen haben, 2012 in den Kreml zurückzukehren. Die Anhänger liberaler Politik in Russland haben seither einen schweren Stand.

Banken, Hightech, Öl und Gas

Der Rahmen, in dem die Sanktionen am Dienstag in Brüssel beschlossen wurden, war eher unspektakulär: Kein Sonderministerrat oder EU-Gipfel fand statt, es waren die EU-Botschafter der 28 Länder der Union, die in Brüssel zur entscheidenden Beratungsrunde zusammen kamen. Sie arbeiteten am Dienstagnachmittag die letzten Details der Rechtstexte aus, die heute Mittwoch formell beschlossen werden sollen. Wie es in EU-Ratskreisen hieß, werden die jüngsten Vorschläge der Kommission für Wirtschaftssanktionen fast gänzlich übernommen.

Diese sehen vor, russischen Banken den Zugang zum europäischen Kapitalmarkt zu erschweren, keine Hochtechnologieprodukte mehr an Moskau zu liefern, Spezialanlagen zur Öl- und Gasförderung beschränkt zu exportieren, wobei der Gasbereich zuletzt ausgenommen werden sollte. Die Brüsseler Behörde hatte konkret unter anderem vorgeschlagen, den Kauf neuer Aktien oder Anleihen zu untersagen, die von russischen Banken mit einer Staatsbeteiligung von mehr als 50 Prozent in der EU ausgegeben werden. Damit soll die Fähigkeit der Banken eingeschränkt werden, die russische Wirtschaft zu unterstützen. Noch unklar ist, ob die Wirtschaftssanktionen zeitlich begrenzt werden sollen und wenn, für wie lange die Strafmaßnahmen angesetzt werden.

Insgesamt exportierte die EU im letzten Jahr Waren im Wert von 120 Milliarden Euro nach Russland. Der Löwenanteil davon entfiel mit rund 36 Milliarden Euro auf Deutschland. Österreich kam auf Ausfuhren über 3,5 Milliarden Euro nach Moskau.

"EU am längeren Ast"

Russland-Experte Gerhard Mangott meinte jüngst in einem Gastbeitrag für die "Wiener Zeitung", die Wirtschaftssanktionen würden Russland vehement schaden. Tatsächlich haben schon die bisherigen Maßnahmen des Westens gegen einzelne Personen oder Firmen die Rezession in Russland vertieft. Die neuen Wirtschaftssanktionen sollen es für russische Firmen schwieriger machen, an ausländische Kredite zu kommen. Die russische Ölindustrie würde dadurch getroffen. Berechnungen sprechen davon, dass Russland durch die Sanktionen mit fast 100 Milliarden Euro jährlich belastet würde. Der Schaden für Moskau würde heuer 1,5 Prozent und nächstes Jahr sogar 4,8 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes betragen, was 23 beziehungsweise 75 Milliarden Euro bedeute.

Dagegen wären die Schäden für die europäische Wirtschaft mit 0,3 Prozent des BIP geringer. "Europa sitzt in dem Konflikt am längeren Ast, weil die EU weniger abhängig von Russland ist als Russland von der EU", sagt Peter Havlik, Russland-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), der "Wiener Zeitung". "50 Prozent der russischen Exporte gehen in die EU, umgekehrt gehen nur 3 Prozent der EU-Exporte nach Russland", meint Havlik.

Dennoch ist auch er der Meinung, dass die Sanktionen für Europa schmerzhafte Folgen haben werden. Etwa für die mit Russland eng verflochtenen Staaten Osteuropas, die aber meist aus politischen Gründen zu den Sanktionsbefürwortern zählen. Oder für Deutschland, für dessen Firmen E.On, Siemens, BASF oder Adidas der russische Markt sehr wichtig ist.

Auch Großbritannien hat einiges zu verlieren. So hält etwa die Ölfirma British Petrol (BP) nach einem Aktientausch rund 20 Prozent der Aktien des staatlichen russischen Ölkonzerns Rosneft, der von den USA mit Sanktionen belegt wurde und vom Putin-Vertrauten Igor Setschin geführt wird. Der Konzern BP warnte vor neuen Sanktionen und befürchtet "eine stark nachteilige Wirkung" auf die Geschäftsbeziehungen mit Rosneft und damit auch auf seine eigene Finanzlage. Der bereinigte Gewinn zu Wiederbeschaffungskosten, bei dem die Ölpreisschwankungen nicht berücksichtigt werden, erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum überraschend deutlich von 2,7 auf 3,6 Milliarden US-Dollar (2,68 Milliarden Euro). In der Öltechnikbranche wie im Russlandhandel drohen Arbeitsplätze in Europa verloren zu gehen.

Gelassenheit in Deutschland

Überraschend ist, dass sowohl Maschinenbau als auch Rüstungsindustrie in Deutschland die Sanktionen gelassen sehen. Verteidigung mache nur einen "Promillebereich" des Handelsvolumens aus, sagte der Hauptgeschäftsführer der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Georg Adamowitsch.