(vee) Die Tage vor den Verhandlungen zwischen Russland, der Ukraine und Vertretern der EU wurden von allen Konfliktparteien intensiv dazu genutzt, um im weißrussischen Minsk aus einer Position der Stärke heraus auftreten zu können. Der russische Präsident Wladimir Putin landete mit der (nicht genehmigten, aber vorfallsfreien) Durchfahrt seines Hilfskonvois nach Luhansk einen Punktsieg und kündigte am Montag gleich eine Neuauflage an. Kiew empfing die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die neben der symbolhaften Bedeutung des Besuchs Aufbauhilfe in Höhe von 500 Millionen Euro mitbrachte. Und während Kiew den Unabhängigkeitstag mit einer Militärparade feierte, führten die prorussischen Rebellen in Donezk ihre gefangenen ukrainischen Soldaten vor.

Dies ist freilich keine Ausgangslage, die große Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Zudem Merkel vorab sagte, dass das heutige Treffen des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko mit Putin "sicherlich noch nicht den Durchbruch" bringen werde.

Nichtsdestotrotz gibt es Experten, die den Gesprächen - den höchstrangigen bisher - Chancen zurechnen. Denn: Ungeachtet des lauten Auftretens Moskaus über die letzten Tage sei es Russlands Ziel in Minsk, den Konflikt in der Ukraine einzufrieren, schreibt etwa Balazs Jarabik von der Denkfabrik Carnegie Moskau. Der Rückzug mehrerer russischer Separatisten-Führer aus der Ostukraine über die letzten Wochen, ein Leiserwerden der Forderung für eine Föderalisierung der Ukraine, die Erlaubnis für die OSZE, die Grenze zu überwachen (wenn auch vorerst nur beschränkt), oder aber auch die zunehmende Betonung des humanitären Aspekts der Krise seien Vorbereitungsschritte für ein Einfrieren gewesen, argumentiert Jarabik. Nicht zuletzt hätten auch die diplomatischen Bemühungen zugenommen, es gab mehrere Treffen von Mitarbeitern der Stäbe Putins und Poroschenkos.

Gleichzeitig würde nach Überlegungen auch die Ukraine dazu tendieren, den heißen Konflikt in einen "kontrollierten" umzuwandeln, so Jarabik weiter. Soll heißen: Die Kampfhandlungen sterben aus, der Donbass bleibt aber großteils unter Kontrolle der Rebellen. Denn auch wenn die ukrainische Armee Ausdauer gezeigt habe, ist man von einem militärischen Sieg im Donbass entfernt. Die Zahl der Todesopfer liegt bei über 2000 und Kiew hat keine finanziellen Ressourcen zum Wiederaufbau des Ostens. Es gilt, einen Wirtschaftskollaps abzuwenden, während es Anzeichen für soziale Unruhen gibt. Ein "kontrollierter" Konflikt würde es Kiew erlauben, die wirklich drängenden Probleme des Landes anzugehen. "Minsk kann eine Einigung bringen, wenn Moskau gewillt ist, seine Initialforderungen zu senken und Kiew, gemeinsam mit der OSZE, die Grenzkontrolle über hat", konkludiert Jarabik. All dies mag optimistisch scheinen. Nach außen hin waren auch am Montag keine Entspannungssignale in Sicht. Im Gegenteil: Laut regierungsnahen Milizen drangen dutzende Panzerwagen über die russische Grenze in den Südosten der Ukraine vor. Doch Moskau hat durchaus bereits rationaler agiert als erwartet.