Minsk/Kiew/Moskau. Die Vorzeichen für die Gespräche zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko am Dienstag in Minsk waren keine guten. Beide Seiten hatten sich zuletzt kompromisslos gezeigt. In Kiew mehrten sich die Stimmen, die ein Treffen Poroschenkos mit dem "zynischen Aggressor" Putin rundweg ablehnten. Auch Russland schien den Fuß nicht vom Gas nehmen zu wollen: Am Montag wurden zehn reguläre russische Soldaten in der Ostukraine gefangen genommen. Bei einer Patrouille sollen sie laut russischen Angaben die Grenze "aus Versehen" überquert haben. "Dies war kein Versehen, sondern ein Spezialeinsatz, den sie ausführten", meinte dagegen ein ukrainischer Militärsprecher. In der umkämpften Ostukraine wurden - glaubt man den Angaben der Streitparteien - zuletzt über 330 Kämpfer und drei Zivilisten binnen 24 Stunden getötet.

Das Treffen in der weißrussischen Hauptstadt war die erste Zusammenkunft der Staatschefs der derzeit verfeindeten Länder seit mehr als zwei Monaten. Putin und Poroschenko waren sich zuletzt Anfang Juni in Frankreich anlässlich der Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag des D-Day in der Normandie begegnet. Man hatte das Zustandekommen des Treffens im Vorfeld bereits als Erfolg gewertet. Und immerhin: Die Präsidenten gaben sich die Hand. Im Anschluss an ein Abendessen sollen sie sich sogar zu einem Vieraugen-Gespräch zurückgezogen haben, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Darüber hinaus kam es vorerst aber zu keinem spektakulären Durchbruch - obwohl Poroschenko in der weißrussischen Hauptstadt die Erwartungen hochschraubte: "In Minsk entscheidet sich das Schicksal der Welt und Europas", hatte der ukrainische Präsident gemeint.
Er fand vor seinem Gespräch mit Putin sogar überraschend freundliche Worte über die Eurasische Wirtschaftsunion. Eine EU-Assoziierung der Ukraine stehe einem gedeihenden Handel mit der Zollunion nicht entgegen. Die Nettigkeiten in Richtung des Eurasischen Projekts waren aber wohl nicht an die Adresse Russlands, das die russisch-weißrussisch-kasachische Union dominiert, gerichtet. Sie waren wohl eher dem Umstand geschuldet, dass sich die Präsidenten im Rahmen einer Zusammenkunft der Union trafen. Obendrein bemüht sich Poroschenko ostentativ um ein gutes Verhältnis zu Minsk. Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko war in dem russisch-ukrainischen Konflikt von seiner Schutzmacht Russland spürbar abgerückt. Er hatte den Machtwechsel in Kiew trotz seines autoritären Kurses im Inland rasch anerkannt und die Ukraine auch mit Treibstoff für ihre Panzer versorgt. Dass zu dem Treffen in Minsk auch EU-Granden wie Außenbeauftragte Catherine Ashton, Energiekommissar Günther Oettinger und Handelskommissar Karel de Gucht anreisten, obwohl in der EU ein Einreiseverbot für Lukaschenko aufrecht ist, zeigt, dass zumindest der weißrussische Staatschef von der momentanen Situation profitiert.
Ansonsten sind die Profiteure rar gesät. Die beiden Präsidenten blieben unnachgiebig: Putin will einen sofortigen beidseitigen Waffenstillstand und einen Dialog unter Einbeziehung der russischsprachigen Regionen der Ukraine. Poroschenko - der fürchtet, Russland könnte die Zeit nutzen, um die Rebellen militärtechnisch besser auszustatten - beharrt auf einer internationalen Kontrolle der Grenze zu Russland und auf einem Stopp der von ihm vermuteten russischen Waffenlieferungen an die Separatisten. Tatsächlich plant die Regierung in Kiew den Kauf neuer Waffen. Das Kabinett beschloss am Dienstag, binnen 48 Stunden Kriegsgerät für die sogenannte Anti-Terror-Operation ins Krisengebiet zu schicken, wie die Regierung mitteilte.
Das russische Wirtschaftsministerium erwartet wegen der Ukraine-Krise einen noch massiveren Kapitalabfluss als bisher befürchtet. Vermutlich würden ausländische Investoren im laufenden Jahr mehr als 100 Milliarden US-Dollar (etwa 76 Milliarden Euro) aus Russland abziehen, sagte Behördensprecher Oleg Sassow. Bisher hatte das Ministerium mit 90 Milliarden US-Dollar gerechnet.
Irrationale Stimmung in Kiew
Ein wirklicher Kompromiss zwischen Moskau und Kiew scheint in weiter Ferne: "Das viel diskutierte Konzept einer blockfreien, neutralen Ukraine wird man in Kiew derzeit kaum durchbringen", sagt der Politologe Kyryl Savin der "Wiener Zeitung". "Die Stimmung im Land ist im Moment eher irrational und militaristisch", meint der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew - ein Befund, der auch für die russischen Nationalisten gilt. Auch der Politologe Gerhard Mangott verweist darauf, dass in Moskau und Kiew die "Falken" den Verhandlungsspielraum stark einschränken. "Dabei steht ein ukrainischer Nato-Beitritt, wie er von manchen in Kiew gewünscht wird, nicht auf der Tagesordnung. Deutschland beispielsweise legt sich da ganz stark quer."