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"Außenpolitik betrifft die Bürger unmittelbar"

Von Sara Hassan aus Alpbach

Politik

EU-Kommissar Andris Piebalgs über Herausforderungen und Grenzen europäischer Entwicklungszusammenarbeit.


"Wiener Zeitung":Herr Piebalgs, welche Ziele haben Sie als EU-Kommissar für Entwicklung in den letzten fünf Jahrenerreicht?Andris Piebalgs: Im Bereich Bildung und Gesundheit im Allgemeinen konnten wir Erfolge erzielen: Weltweit wurden über 14 Millionen Kinder eingeschult, mehr als 70 Millionen Menschen erhielten Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Lebenserwartung wurde angehoben, der Zugang zu Ausbildung verbessert und die Aids-Rate ist stark gesunken.

Zur Entwicklungsarbeit (EZA) gehört auch die Frage der Asylpolitik. Österreich hat angekündigt, 1500 syrischen Flüchtlingen Asyl zu gewähren. Diese Zahl wurde als zu wenig ambitioniert kritisiert.

Es wurde ein Vorschlag gemacht, das ist immerhin besser als nichts. Natürlich wünsche ich mir, dass Österreich mehr unternimmt. Aber das muss von Politikern in den Mitgliedsländern selber entschieden werden. Dazu muss man auch der Bevölkerung erklären, was die EU tut, was das Leitmotiv der EU und der Zugewinn für die Bürger ist.

Die Arbeit der EU wirkt für viele Bürger oft sehr abstrakt. Wie kann man dem entgegenwirken?

Die Bürger müssen spüren, dass ihre Meinung für den Wahlausgang entscheidend ist. Meistens sind die EU-Bürger an sozialen Themen interessiert: Pensionsalter, Gesundheit, Bildungswesen - und sehr wenig an außenpolitischen Themen wie zum Beispiel Migration und Sicherheit. Was im Irak und in der Ukraine gerade geschieht, veranschaulicht die Wichtigkeit dieser außenpolitischen Themen. Die Aufgabe von Politikern ist es, deutlich zu machen, wie eng diese Themen miteinander verknüpft sind: Mehr Sicherheit bedeutet auch weniger Armut. Und das betrifft die Leute unmittelbar.

2015 wird das Jahr der europäischen Entwicklungszusammenarbeit. Wie kann man das Interesse junger Menschen dafür wecken?

Wir wollen Sozialthemen betonen, die für den Alltag junger Menschen entscheidend ist. Die Themen, für die wir am meisten Anreize schaffen wollen, liegen im Bereich Bildungswesen. Es muss ein allgemeiner Zugang zu Bildung geschaffen und die Lehre qualitativ hochwertig werden. Die Gesundheitssysteme müssen ausgebaut werden. Drittens wollen wir Gleichheit schaffen. Das ist ein globales Thema, das gerade für junge Leute sehr wichtig ist. Diese Themen stehen auch im Zeichen der Entwicklung und die wollen wir hervorstreichen.

Wie funktioniert die EZA in Krisengebieten wie Syrien und Irak?

In Syrien können wir zurzeit keine Entwicklungszusammenarbeit leisten. Was wir dort tun, ist humanitäre Hilfe für das tägliche Überleben. Wir versuchen auch die Rahmenbedingungen für Nicht-Regierungsorganisationen vor Ort zu schaffen, damit diese ihre Arbeit leisten können. Dafür gibt es eine enge Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und dem Internationalen Roten Kreuz. Wir können aber momentan nichts Langfristiges für die Zukunft der Menschen dort tun, sondern ihnen nur helfen, den Tag zu überleben. Für die Flüchtlinge in Jordanien und im Libanon konnten wir mehr erreichen. Wir haben in Gesundheit und Bildung investiert, damit die Menschen ihre Kinder auch in schwierigen Situationen zur Schule schicken können.

Eine Frage zum EU-US-Freihandelsabkommen TTIP: Welche Konsequenzen erwarten Sie für die Entwicklungsländer?

Wir erwarten, dass die Folgen sich auch auf andere Länder sehr positiv auswirken werden. Europa und die USA sind die größten Exportmärkte: Wenn die dortige Wirtschaftsleistung verbessert wird, werden natürlich auch andere Länder davon profitieren. In diesem Sinne kann man sagen, dass dieses Abkommen - wenn es abgeschlossen wird - natürlich auch ein positives Wachstumsklima für unsere Partnerländer schaffen wird.

Ein großer Kritikpunkt an TTIP ist der Mangel an Transparenz. Sind Verhandlungen hinter verschlossenen Türen noch zeitgemäß?

Es gibt bilaterale Abkommen mit allen Partnerländern. Und Europa ist transparent, denn wir haben das Mandat aller Mitgliedsstaaten, die Verhandlungen zu führen. Die Details der Abkommen werden hinter verschlossenen Türen verhandelt, weil es darum geht, Kompromisse zu schließen. Wenn diese noch vor einer Entscheidung öffentlich werden, kommt es zu keinem Abkommen, weil unterschiedliche Interessensvertreter sagen, dies und jenes dürfe nicht sein. Es kann auch einigen Industriezweigen sehr schaden, wenn Informationen noch vom Verhandlungstisch weitergegeben werden. Es gibt ein Mandat, Verhandlungen zu führen, und das Ergebnis muss von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden - die demokratische Kontrolle ist daher gegeben. Der Vorwurf der Intransparenz ist aus meiner Sicht nicht richtig.

Andris Piebalgs war vor seinem jetzigen Posten von 2004 bis 2010 EU-Kommissar für Energie. Piebalgs war in der Partei Lettische Volksfront, aktiv, die die Unabhängigkeit Lettlands von der Sowjetunion erreichte. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihm beim "Europäischen Forum Alpbach".