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Die Instrumentalisierung des Einzelnen

Von Daniel Bischof

Politik

Kiew und Moskau benützen die Schicksale eines vermissten Journalisten und einer gefangenen Kampfpilotin für Propagandazwecke.


Wien/Kiew/Moskau Sie werden während eines Krieges zum Erhalt der Moral in der Bevölkerung verwendet oder aber als Vorbilder für andere Soldaten hochstilisiert: die Geschichten und Schicksale einzelner Beteiligter. Im derzeitigen Ukraine-Konflikt ist dies nicht anders. Um die ukrainische Kampfpilotin Nadja Sawtschenko und den russischen Journalisten Andrej Stenin ist in Kiew und Moskau eine Propagandaschlacht entbrannt.

Die 33-jährige Sawtschenko war eigenen Angaben zufolge im Juni im Südosten der Ukraine von prorussischen Separatisten entführt und ins russische Woronesch gebracht worden. Aus Russland heißt es hingegen, dies sei eine Lüge. Vielmehr sei Sawtschenko bei einer Personenkontrolle an der russischen Grenze verhaftet worden. Sie hätte sich dabei als Flüchtling getarnt. Welche Version letzten Endes auch wahr ist: Feststeht, dass Sawtschenko derzeit in einem russischen Gefängnis sitzt und sie demnächst wohl einen Prozess erwartet. Ihr wird vorgeworfen, einen Angriff angeordnet zu haben, bei dem zwei russische Journalisten getötet wurden.

Seit Wochen verschwunden

Der Verbleib von Andrej Stenin ist hingegen ungeklärt: Der Fotojournalist der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti wird seit Wochen vermisst. Sein Arbeitgeber konnte ihn zuletzt am 5. August kontaktieren. Gerüchteweise soll Stenin vom ukrainischen Geheimdienst festgehalten werden. Es gibt aber auch Spekulationen, dass er bei den anhaltenden Kämpfen in der Ostukraine getötet wurde.

In ihrer Heimat werden Stenin und Sawtschenko nun für Propagandazwecke instrumentalisiert. Der Kreml-nahe Fernsehsender Russia Today (RT) berichtet nahezu täglich über Solidaritätsbekundungen und Appelle für die Freilassung des vermeintlich gefangen genommenen Stenins. Zu seinen Ehren gibt es auch eine Collage seiner Fotos auf der Homepage von RT zu sehen. Zuletzt zeigte sich zudem der russische Premier Dmitrij Medwedew öffentlich über das Verschwinden des Journalisten besorgt.

Mit dem Fall Stenins wollen die russischen Medien zeigen, dass Journalisten aus Russland in der Ukraine generell verfolgt und eingesperrt werden. Seit vergangener Woche läuft unter dem Hashtag #freeAndrew eine groß angelegte Internetkampagne, die die Freilassung des Journalisten fordert. Sie ist im russischsprachigen Twitter ein Hit.

"Rettet unser Mädchen"

In Kiew wiederum versucht man aus dem Schicksal der gefangenen Pilotin Kapital zu schlagen: Das ukrainische Außenministerium veröffentlichte auf seiner Homepage ein patriotisches Video über die Kampfpilotin, während sich die Initiative "Rettet unser Mädchen" für sie einsetzt.

Auch die Politik mischt mit: So schrieb der ukrainische Parlamentspräsident Alexander Turtschinow einen offenen Brief an Sawtschenko: "Millionen Ukrainer sind bei Ihnen, der ukrainischen Heldin." Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" erklärte der Leiter des Kiewer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Kyryl Savin, dass der Fall Sawtschenko Kiew "eine Menge PR-Möglichkeiten" biete. Bei einer Freilassung würde ihr der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sicherlich die Hände schütteln, so Savin.

Zu ihrem Heldenstatus hat Sawtschenko übrigens auch selber einiges beigetragen: Als sie bei einem Verhör durch prorussische Separatisten gefragt wurde, wer denn genau gegen die Rebellen kämpfe, antwortet sie nur kühl: "Ich denke, die ganze Ukraine."