Zum Hauptinhalt springen

Aufräumen bei Sturm

Von Veronika Eschbacher

Politik

Die Revolution in der Ukraine hat wenig im Land unberührt gelassen. Ein Blick auf die Schauplätze abseits des Ostens, die in Vergessenheit gerieten.


Kiew. In der Ukraine blieb seit der Revolution, die Ende März gipfelte, kaum ein Stein auf dem anderen. Präsident Wiktor Janukowitsch wurde abgesetzt, viele seiner Gefolgsleute verließen gemeinsam mit ihm das Land. Seit Anfang Mai betreibt die neue Führung in Kiew einen "Anti-Terror-Einsatz" im Osten des Landes. Auch wenn dieser lediglich zwei der 24 Regionen des Landes betrifft, konsumiert der Kampf der ukrainischen Armee mit den Aufständischen praktisch die gesamte politische und mediale Aufmerksamkeit. Die "Wiener Zeitung" wirft einen Blick auf die Nebenschauplätze und Akteure der Revolution, um die es still geworden ist.

1. Janukowitsch verschollen, sein Palast ein Museum
Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch setzte sich nach seiner Flucht aus Kiew nach Russland ab. Er ist in der Ukraine weiter wegen "Massenmordes" zur Fahndung ausgeschrieben. Seit seinen beiden Pressekonferenzen im russischen Rostow am Don kurz nach der Flucht und einer schriftlichen Erklärung ist er aber von der öffentlichen Bildfläche verschwunden. Experten zufolge hat er persönlich überhaupt keinen Einfluss mehr in der Ukraine. Seine "grauen Schemata" hingegen, also die Korruptionsmechanismen, die er gelegt hat, seien weiterhin intakt. "Da die neue politische Führung in der Ukraine, sagen wir nicht gänzlich hochqualitativ ist, versuchen manche von ihnen, diese weiter auszunutzen", sagt Mykola Sungurowskij vom Kiewer Think Tank "Razumkov Centre". Auch der immens wichtige Kampf gegen die Korruption sei momentan ein Opfer der vollkommenen Aufmerksamkeit auf die Kämpfe im Osten des Landes. "Ein Kampf an zwei Fronten ist sehr schwierig zu führen", sagt Sungurowskij. Sonderlich scharfe Maßnahmen seien daher noch keine bestimmt worden.

Die Ablenkung durch den Osten kommt aber auch Janukowitsch zugute. Die Ukraine hat zwar ihre Anstrengungen, das im Ausland vermutete Eigentum von Janukowitsch in das Land rückzuführen, intensiviert. Alleine in der Schweiz etwa sind aufgrund von Geldwäscherei-Strafverfahren der Bundesanwaltschaft und der Genfer Justiz rund 100 Millionen Franken eingefroren worden. Der Nachweis, dass es sich dabei um unrechtmäßig erworbenes Vermögen handelt, ist aber schwierig zu erbringen - im Großteil der Fälle laufen die Geschäfte über Strohmänner - und zieht sich daher. Die Banken und Firmen des Sohnes von Janukowitsch, Alexander, sind zu einem großen Teil weiter geöffnet. "Solange sie keine Gesetze brechen, ist kein Zugriff möglich", sagt Sungurowskij.

Das Justizministerium erklärte diese Woche, Janukowitsch und seine Gefolgsleute hätten gut 75 Prozent der staatlichen Allokationen entwendet und sprach von einem Gesamtschaden von 15 Milliarden US-Dollar jährlich.

Der einzige bisherige direkte Zugriff des ukrainischen Staates - rechtlich durchaus umstritten - erfolgte auf das 137-Hektar-Luxusanwesen von Janukowitsch in Meschihorye bei Kiew. Es wurde kurz nach der Flucht des Ex-Präsidenten per Parlamentsbeschluss nationalisiert. Heute wird es - nach kleineren Plünderungen durch Maidan-Aktivisten, die Mitgenommenes von Shampoo bis zu Goldbarren in Brotform als "Trophäen" betrachteten - von der Nationalgarde bewacht. Es zieht weiter täglich Besucher an. Eintritt müssen alle bezahlen, 20 Griwen, keine zwei Euro. Viele Schaulustige spenden zudem, damit die Tiere - Janukowitsch führte dort einen umfangreichen Privatzoo mit Sträußen, Rehen und Antilopen - Futter haben.

Die Janukowitsch-Partei der Regionen, die bei den letzten Parlamentswahlen 2012 30 Prozent der Stimmen erreichte, ist praktisch zerfallen. Experten zufolge wird sie es in der für Oktober angesetzten Wahl nicht mehr ins Parlament schaffen.

2. Um Timoschenko ist es still, Partei zerfällt
Julia Timoschenko, ehemalige Premierministerin und führende Oppositionspolitikerin als Janukowitsch an der Macht war, kam im Zuge der Revolution frei. Nach der Präsidentschaftswahl im Mai, bei der sie zwar den zweiten Platz erreichen konnte hinter Petro Poroschenko, aber weit abgeschlagen lediglich zwölf Prozent der Stimmen erzielte, trat sie nicht mehr öffentlich auf. Sie ließ lediglich von ihrem Pressedienst vereinzelt Erklärungen zu bestimmten Themen veröffentlichen. Ihre Vaterlandspartei steht vor dem Zerfall in mehrere politische Lager. Zugpferde wie der populäre ukrainische Premier Arsenij Jazenjuk oder der Parlamentspräsident Alexander Turtschinow haben die Partei Ende August verlassen. Experten gehen aber davon aus, dass sie definitiv bei den Parlamentswahlen antreten wird.

3. Der Rechte Sektor nervt die Ukrainer mittlerweile
War der Rechte Sektor, eine rechtsradikale Gruppierung, der ukrainischen Bevölkerung während der Revolution durch ihren Einsatz an vorderster Front im Kampf gegen die Sicherheitskräfte durchaus willkommen, so hat sich die öffentliche Meinung heute stark gewendet. Ein großer Teil der Aktivisten kämpft zwar an vorderster Front im Osten des Landes, durch immer wiederkehrende Drohungen der Radikalen gegen die jetzige Regierung und Aktionen gegen einzelne Politiker, die sie etwa einer "Konter-Revolution" bezichtigen, verlor sie stark an Popularität.

In anti-ukrainischer Propaganda erfreut sich der Rechte Sektor weiter an "Beliebtheit". So werden darin die Kämpfer schrecklicher Gräueltaten bezichtigt, etwa dass sie abgetrennte Köpfe von Gegnern in Holzkisten versenden würden. Die Gruppierung ist mittlerweile als Partei registriert, hat aber über eine Teilnahme an den Wahlen noch nicht entschieden.

4. Der "Bürgermeister" von Slawjansk - in Russland
Über Wochen regierte der selbst ernannte Bürgermeister Wjatscheslaw Ponomarjow die Rebellen-Hochburg Slawjansk. Er gab praktisch täglich Pressekonferenzen und führte Medien festgehaltene OSZE-Militärbeobachter vor. Laut gut informierten Quellen floh er und hält sich nun, samt Freundin, in Russland auf.

5. Geheimdienstmitarbeiter am Lügendetektor
Die Neuordnung der ukrainischen Sicherheitsorgane, die ja teilweise auf Seite der Rebellen agierten, läuft weiter schleppend. Experten schätzten etwa den Anteil pro-russischer Geheimdienstler in der Ukraine auf gut ein Fünftel des SBU-Stabes ein. Hier wird nun gar per Lügendetektor aussortiert. Kiew würde aber auch Kämpfer der Berkut-Sondereinheiten, die in die Operationen gegen Demonstranten auf dem Maidan involviert waren, die "Möglichkeit gegeben, an der Front zu kämpfen - unter anderem zur Rehabilitierung", wie Wiktor Zamjatin vom "Razumkov Centre" erklärt.