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Ukip schockiert die Großen

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Anti-EU-Partei zieht erstmals ins britische Unterhaus ein.


London. Wenige Monate vor britischen Unterhauswahlen hat die rechtspopulistische Unabhängigkeitspartei Ukip (United Kingdom Independent Party) bei zwei parlamentarischen Nachwahlen den drei "etablierten" Parteien Großbritanniens schwere Verluste zugefügt - und sich erstmals in Wahlen einen Sitz im Unterhaus verschafft.

Ukip glaubt nun, auch bei den Parlamentswahlen im Mai die Fesseln des britischen Wahlsystems sprengen und für "echten Wandel" in Westminster sorgen zu können. Ukip-Chef Nigel Farage sieht sich schon als Europa-Minister in einer künftigen Koalitions-Regierung mit den Konservativen - als den Mann, der sicherstellt, dass Großbritannien aus der EU austritt, und der mit Brüssel Modalitäten des Austritts aushandelt.

Die Konservativen wiederum warnen ihre Stammwähler eindringlich, dass Farage der Labour Party im Mai an die Regierung verhelfen werde, so sie Ukip weiterhin ihre Stimme gäben. Tory-Parteipräsident Grant Shapps sprach von einer "alarmierenden" Entwicklung. Stimmen für Ukip kosteten die Tories offensichtlich Sitze. Sie brächten Labours Vorsitzenden Ed Miliband "der Downing Street einen Schritt näher".

Eine der beiden Nachwahlen vom Donnerstag, im südostenglischen Küstenstädtchen Clacton, hatte der bisherige dortige Tory-Abgeordnete Douglas Carswell durch seinen Übertritt zu Ukip in diesem Sommer ausgelöst. Carswell brachte Ukip bei der Nachwahl von null auf 60 Prozent der Stimmen. Bei den letzten Unterhauswahlen war Ukip in Clacton noch gar nicht angetreten.

Die Konservativen und Labour verloren in Clacton jeweils mehr als die Hälfte ihrer bisherigen Stimmanteile. Die Liberaldemokraten, Juniorpartner in David Camerons Regierung in London, schrumpften sogar von 13 Prozent auf 1 Prozent.

Mit Carswells Wiedereinzug ins Parlament, diesmal unterm Ukip-Banner, hat Ukip nun erstmals einen Fuß in der Tür zum Unterhaus. Um ein Haar wäre ein zweiter Ukip-Sitz dazugekommen. In Heywood bei Manchester, sonst solidem Labour-Territorium, war die Anti-EU- und Anti-Immigranten-Partei so erfolgreich, dass sie nur etwa 600 Stimmen von ihrem nächsten Unterhaus-Mandat trennten. Auch hier brachen die Konservativen um mehr als die Hälfte ein.

"Herausforderer bei Arbeitern"

Ukip-Chef Farage erklärte dazu, seine Partei sei nun in Nordenglands Arbeitervierteln anstelle der Konservativen Partei "die Haupt-Opponentin Labours" geworden. "Wir sind die nationalste aller britischen Parteien", sagte er am Freitag. "Wir sind die einzige Partei, die in Tory- und Labour-Hochburgen gleichermaßen große Stimmanteile erringen kann."

Den "alten" Parteien warf Farage vor, den Kontakt zum Wähler völlig verloren zu haben: "Wir haben hier eine politische Klasse von Karrieristen und Hochschul-Absolventen, die nie im Leben einen Job hatten und die absolut nichts mit normalen Menschen verbindet." Westminster brauche "echten Wandel", und den werde Ukip bringen.

Neuen Wirbel löste Farage am Freitag mit der Forderung aus, HIV-Patienten den Zuzug ins Königreich zu verwehren. Das, sagte er, wäre "ein guter Anfang" für bessere Grenzkontrollen. Auch verurteilte Mörder würde er nicht ins Land lassen. Der Aids-Wohlfahrtsverband Terence Higgins Trust meinte dazu, Farage habe bei seinen Wahlmanövern "neue Tiefen" erreicht. Der Ukip-Chef solle "sich zutiefst schämen".

Eine weitere Chance bietet sich Ukip in Kürze bei einer dritten Nachwahl, die ebenfalls der Übertritt eines mit seiner Partei unzufriedenen Tory-Abgeordneten zu Ukip ausgelöst hat. Der prominente Rechtsausleger Mark Reckless in Rochester darf sich gute Chancen ausrechnen, als nächster Ukip-Abgeordneter ins Unterhaus einzuziehen.

Insgesamt sieht sich Ukip von einer Sympathiewelle getragen, wie sie keine Außenseiter-Partei seit den Erfolgen der sozialliberalen SDP Anfang der achtziger Jahre mehr erlebt hat. Bei den Europawahlen im Mai dieses Jahres stellte Ukip mit 28 Prozent schon alle anderen Parteien in den Schatten. Die jetzigen Nachwahl-Triumphe von 39 Prozent und 60 Prozent sind absolute Rekorde für Ukip - auch wenn keine dieser Wahlen unmittelbar etwas an den Regierungsverhältnissen in London geändert hat.

Für die entscheidenden Unterhauswahlen im kommenden Mai werden Ukip zwischen 13 und 18 Prozent der Stimmen vorausgesagt. Das würde, wegen des britischen Mehrheitswahlrechts, nur zu einer begrenzten Zahl von Sitzen führen. Es könnte Ukip aber zum "Zünglein an der Waage" machen, da diesmal keine der beiden großen Parteien als Favoritin gilt und die Liberaldemokraten katastrophale Einbrüche befürchten müssen.