Erfurt/Wien. (da) Regierungsluft zu schnuppern ist nicht neu für die deutsche Linkspartei. Seit 2009 ist sie kleiner Koalitionspartner der Sozialdemokraten in Brandenburg - wie auch in Mecklenburg-Vorpommern von 1998 bis 2006 sowie in Berlin von 2002 bis 2011. In Ostdeutschland gehört jene Gruppierung, die aus der DDR-Kaderpartei SED hervorgegangen ist, längst zum politischen Establishment. Bodo Ramelow könnte nun aber noch einen Schritt weitergehen und Historisches schaffen: Der Chef der Linken in Thüringen schickt sich an, erster Ministerpräsident der Partei zu werden.
Sechs Sondierungsrunden haben Linkspartei, Sozialdemokraten und Grüne hinter sich gebracht. Wider Erwarten verliefen sie erfolgreich und so stehen formale Koalitionsverhandlungen kurz bevor. Die Sozialdemokraten wollen diese offiziell erst am Montag bekanntgeben, da sie parallel mit der CDU sondieren. Die Christdemokraten wurden bei der Wahl im September mit mehr als 33 Prozent der Stimmen stärkste Partei, ihre bisherige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht findet aber wohl keinen Koalitionspartner.
Linke-Gegner geschasst
Nachdem die SPD bei der Wahl auf das Allzeittief von 12,4 Prozent abstürzte, muss Landeschef Christoph Matschie den Hut nehmen. Der bisherige Kultusminister in Lieberknechts schwarz-rotem Kabinett war stets gegen einen Linke-Ministerspräsidenten - und wird nun ausgerechnet vom Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein abgelöst, der sich das rot-rot-grüne Szenario bereits nach der Wahl 2009 vorstellen konnte.
Der neue starke Mann wird aber nicht ohne Rückendeckung der Basis in die neue Koalition gehen. So sieht die SPD eine Mitgliederbefragung vor, in der die Genossen bis 3. November über Rot-Rot-Grün abstimmen sollen. Damit folgt man dem Modell der Bundespartei: Diese ließ nach Zustandekommen des Koalitionsvertrages mit der CDU im vergangenen Jahr darüber votieren.
Von der brustschwachen Thüringer SPD-Basis, die aus nur 4000 Mitgliedern besteht, ist wenig Gegenwehr gegen das rot-rot-grüne Projekt zu erwarten. Das heißt aber nicht, dass gar keine Stolpersteine lauern.
Debatte um "Unrechtsstaat"
Denn auch wenn gerade die Linke-Landesverbände in Ostdeutschland eher durch Pragmatismus denn dem Wunsch nach einer Rückkehr des real existierenden Sozialismus auffallen, bleibt die Deutung der DDR-Vergangenheit umstritten. "In der Konsequenz ein Unrechtsstaat" sie diese gewesen, stellten Thüringens Linke, SPD und Grüne vor Kurzem als Vorleistung zu ihrer möglichen Koalition klar. Der starke Mann der Linken im Bund, Gregor Gysi, konterkarierte die Erklärung: "Grobes Unrecht" habe es gegeben, den Begriff "Unrechtsstaat" lehne er ab. Ramelow nannte diese Aussagen knapp "nicht gerade hilfreich".