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"Die Menschen söhnen sich aus"

Von Veronika Eschbacher

Politik

Ungeachtet des Richtungsstreits in Georgien verteidigt Präsident Margwelaschwili den pragmatischen Kurs gegenüber Moskau.


Georgien steht nach der Entlassung von Verteidigungsminister Irakli Alassania Dienstagabend durch Premier Irakli Garibaschwili vor einer schweren Regierungskrise.

Am Mittwochvormittag kehrten zwei ebenfalls pro-westliche Minister der Regierung den Rücken; wenig später stiegen die liberalen Freien Demokraten aus der bisherigen Sechs-Parteien-Koalition "Georgischer Traum" aus, wodurch diese ihre Mehrheit im Parlament verliert und nun auf freie Abgeordnete angewiesen ist. Im Hintergrund der Auseinandersetzungen steht offenbar ein Richtungsstreit um die pro-westliche Orientierung der Kaukasusrepublik. Konkret geht es um die Verhaftung leitender Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums wegen Korruptionsvorwürfen. Alassania hatte diese Verfahren als politisch motiviert kritisiert und als Versuch bezeichnet, Verhandlungen mit der Nato zu blockieren.

Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Präsidenten Georgiens, Giorgi Margwelaschwili, über den Kurs des Landes gegenüber Russland und Möglichkeiten zur Aussöhnung.

"Wiener Zeitung": Seit einer Weile nun versucht Georgien, seine Russland-Beziehungen nach dem Krieg 2008 zu deeskalieren. Sie, aber auch andere georgische Politiker der seit 2012 regierenden Koalition, haben konziliantere Töne gegenüber Moskau angeschlagen, wiederholen gebetsmühlenartig, dass ein stabiles Georgien keine Gefahr, sondern im Interesse Russlands ist. Nichtsdestotrotz hat der Kreml kürzlich ein "Abkommen über Kooperation und Integration" mit der von Georgien abtrünnigen Region Abchasien vorgeschlagen, das vorsieht, das Gebiet noch stärker an die Russische Föderation zu binden. Ist der pragmatische Kurs gegenüber Moskau der richtige?Giorgi Margwelaschwili: Ja, dieser Ansatz ist der richtige und er sollte beibehalten werden. Wir hatten nie die Erwartung, dass dieser Ansatz sofort zu Ergebnissen führen würde. Es war klar, dass es Auf und Abs geben wird. Natürlich haben wir mit diesem Abchasien-Vertrag ein Ab in den Russlandbeziehungen und wir lehnen dieses Vorgehen stark ab. Aber gleichzeitig heißt das für uns auch, dass wir noch nachhaltiger und geeinter sein müssen in unserer Nachricht an Moskau, dass nur ein friedliches Georgien gut für die Region, Russland und Europa ist.

Welche greifbaren Resultate hat dieser Zugang gebracht?

Wir haben eine Verbesserung unserer Beziehungen auf kultureller Ebene erreicht, beim Handel, einen Rückgang an Spannungen und haben nun die Möglichkeit der Diskussion. Am wichtigsten war, dass wir einen größeren Konsens unter unseren westlichen Verbündeten erreicht haben, unseren Kurs zu unterstützen. Die Anzahl der Länder, die Georgiens rationaleren Kurs (als jenen der vorherigen Regierung, Anm.) unterstützt, ist nun größer.

Haben Sie auch den Konsens der Bevölkerung für diesen Kurs?

Meiner Meinung nach: Ja. Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen, wir haben auch radikalere Ansichten in beiden Richtungen, also manche, die sagen, wir sollten uns Russland noch mehr annähern, und andere, die meinen, wir müssen uns Moskau gegenüber aggressiver verhalten. Aber ich glaube, dass der Basiskonsens auf unserer Seite ist.

Wie sehr beunruhigt Sie der vom Kreml vorgeschlagene Vertrag zwischen Russland und Abchasien? Befürchten Sie eine Annexion?

Nun, nicht nur wir fühlen uns damit unwohl, sondern auch die Quasi-Regierung Abchasiens. Diese Position gefährdet die territoriale Integrität und Souveränität Georgiens noch einmal stärker. Aber sie bedroht auch existenziell die ethnische Minderheit der Abchasen, die in den besetzten Gebieten leben. Die Abchasen wissen sehr genau, dass ihre Zukunft in unserem Vorschlag enthalten ist, in dem Vorschlag eines europäischen Georgiens, das ethnische Minderheiten nach europäischen Standards schützt. Wir haben über Jahrzehnte beobachtet, dass ethnische Minderheiten in der Russischen Föderation verschwinden.

Aktuell werden die Gespräche für die 30. Verhandlungsrunde in Genf zwischen Vertretern Georgiens und Russlands unter Leitung von UN, EU und OSZE über den Konflikt um Abchasien und Südossetien vorbereitet. Werden Sie, ungeachtet des russischen Entwurfes, die Verhandlungen weiter vorantreiben?

Absolut. Wir werden sogar das Genfer Format weiter intensivieren, denn es bietet uns gute Möglichkeiten, Russland davon zu überzeugen, dass eine partnerschaftlich-orientierte Politik im Kaukasus weit vorteilhafter ist als das, was sie momentan tun.

Die militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine dauern nun acht Monate an. Bereits jetzt ist der Hass zwischen den Konfliktparteien auf ein für viele unvorstellbares Maß gestiegen, das Vertrauen praktisch völlig zerstört. Die Konflikte in Georgien um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien dauern viel länger an, die Gräben sind tief. Wie groß sehen Sie die Chance, dass es zu erneutem Verständnis und Einigungen kommt?

Ich denke, der Konflikt ist jetzt lösbar, und das wird er auch in Zukunft sein. Es hängt aber sehr stark von der Position der Russischen Föderation ab. Lassen Sie mich daran erinnern, dass wir in Georgien über all diese Jahre beobachten, wie russische Militärs Stacheldraht an der sogenannte Separationslinie zu den okkupierten Gebieten hochziehen. Dieser hat eine sehr konkrete Mission: die Menschen davon abzuhalten, miteinander zu kommunizieren. Denn auch wenn wir Spannungen und militärische Eskalationen in den 1990er Jahren und 2008 hatten, sehen wir, dass nach wie vor die Menschen ihre Beziehungen aussöhnen, seien es Osseten oder Abchasen. Wenn ein Land seine Türen und Möglichkeiten öffnet für die Menschen in besetzten Gebieten, dann beginnen sie, mit dem "Festland" zu kommunizieren, nutzen medizinische und andere öffentliche Einrichtungen, die dieses bereithält. Das trägt dazu bei, die Spannungen zu verringern. Aber für Verhandlungen und Versöhnung braucht man ein anderes Umfeld als eines, in dem russische Soldaten Stacheldrähte verlegen.

Vertrauen die Menschen in Abchasien und Ossetien Tiflis?

Vertrauen zu schaffen ist ein langer Prozess, der Engagement und Zeit benötigt. Ich spreche nicht von dem Vertrauen Politikern gegenüber, sondern von normalen Menschen, die ihren Nachbarn im nächsten Dorf trauen. Sie beginnen, zu kommunizieren, und auf ihrem Vertrauen müssen wir aufbauen. Das ist dann ein fruchtbarer Boden für Politiker, die den Prozess der Versöhnung absichern wollen. Das ist die demokratische Lösung für den Konflikt.

Es gab vonseiten der USA und der EU am innergeorgischen Reformprozess, vor allem in Bezug auf selektive Justiz. Ex-Präsident Micheil Saakaschwili etwa ist wegen Machtmissbrauchs angeklagt, die Verhaftung leitender Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums wegen Korruptionsvorwürfen vergangene Woche wurde vom Dienstag entlassenen Verteidigungsminister Irakli Alassania als politisch motiviert bezeichnet (und führte nun zu einer Regierungskrise). Riskiert man damit die guten Beziehungen zum Westen?

Wir hören uns die Empfehlungen und Kommentare von unseren Partnern sehr genau an. Diese werden immer konkreter und detaillierter, und das ist so, weil wir uns auf einem neuen Partnerschaftslevel befinden. Das begrüßen wir. Gleichzeitig ist das alles natürlich eine Herausforderung für unsere Demokratie, eine, die wir überwinden müssen, und etwas, das sehr wichtige Werte aufs Spiel setzt. Wir müssen eine sehr feine Linie finden zwischen der Inakzeptanz von politischer Verfolgung sowie selektiver Justiz und der Rechtsstaatlichkeit. Alle von uns, seien wir nun in der Regierung oder Opposition, sind dafür verantwortlich, an der Stabilität und Demokratie unseres Staates beizutragen. Ich habe sehr gesagt, dass jegliche Art von selektiver Justiz und politischer Verfolgung völlig inakzeptabel ist. Gleichzeitig habe ich den ehemaligen Präsidenten (Saakaschwili, Anm.) dazu aufgerufen, die Fragen der Staatsanwaltschaft zu beantworten. Denn als Bürger ist man dazu verpflichtet. Er war zwei Amtsperioden lange Präsident, und als Bürger muss er zur Stabilität und der Rechts-Image unseres Landes beitragen. All das ist eine sehr große Herausforderung für unsere Demokratie. Alle Demokratien gehen durch diese Herausforderungen, und wir hoffen, dass unsere gestärkt aus dieser Debatte herauskommen wird.

Sind Sie zufrieden mit den Fortschritten, die Georgien in Richtung Nato macht? Beim Nato-Gipfel in Wales im September hat Georgien ein Upgrade in der Zusammenarbeit mit der Nato bekommen, aber die "Partnerschaft für verbesserte Möglichkeiten" ist weder eine Sicherheitsgarantie noch eine Vorstufe für eine Nato-Mitgliedschaft. Und das, obwohl Georgien bei internationalen Einsätzen, etwa in Afghanistan, mit einem sehr großen Kontingent an Soldaten vertreten ist und hohe Verluste hinnehmen musste.

Nun, das Wort zufrieden hat so seine eigene Konnotation. Wenn man in Betracht zieht, unter welchen Umständen der Nato-Gipfel stattfand - in einem Kontext, in dem das Bündnis seine Tätigkeiten neu evaluierte, weit konservativer war und zurückhaltender, seine Grenzen auszudehnen, war das für uns eine bedeutende Leistung. Wir haben nun ein Assoziierungsabkommen mit der EU, einen weiteren Schritt mit der Nato gemacht, und ja, natürlich, als ein Land, das sehr stark zu internationalem Frieden beiträgt nicht nur in Afghanistan, sondern auch etwa in Zentralafrika, werden wir weiter stabil mehr Sicherheit für unser Land beanspruchen.

Giorgi Margwelaschwili
ist seit Ende November 2013 Präsident Georgiens. Er war von der Regierungskoalition "Georgischer Traum" nominiert worden. Der 45-Jährige war zuvor Bildungsminister.