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Wo einst die Mauer stand

Von WZ-Korrespondentin Saskia Hödl

Politik

Ein Streifzug durch einst getrennte Teile Berlins: Während sich die Touristen am Checkpoint Charlie drängen, gedenk man in Ruhe an der Bernauer Straße.


Berlin. "Pass’ doch ma’ uf hier", berlinert eine Radfahrerin in Richtung Touristengruppe - vermutlich vergebens, denn der Reiseführer spricht Hebräisch. Der Radweg an der East Side Gallery in Berlin-Friedrichshain wird Ende der Woche von Touristen blockiert. Sie sind alle gekommen, um sich das mit 1,3 Kilometern längste erhaltene Mauerstück anzusehen. Die östliche Seite der Mauer wurde 1990 von 118 Künstlern bemalt.

Gerade erst ist in Berlin der Herbst eingezogen, er hat die ganze Stadt in ein sattes Gelb getaucht. Dagegen wirkt die Eastside-Gallery trotz der Kunstwerke grau und kalt. Touristen stehen aufgereiht, wo einst die Mauer verlief und knipsen Erinnerungsfotos. Junge Mädchen in neonfarbenen Jacken posieren, die Finger zum Victory-Zeichen gestreckt, vor den wenigen Überresten der Mauer, die vor 25 Jahren von Einheimischen mit der Spitzhacke zerstört wurden. Vom Werkzeug der Unterdrückung zur Touristenattraktion.

Künstler, Punks undAusländer sind gegangen

Pro Jahr reisen etwa elf Millionen Menschen nach Berlin - was viele Berliner stört, ist für die Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. 2014 dürften sogar noch ein paar mehr Touristen anreisen, denn die Stadt rührt bereits seit Anfang des Jahres die Werbetrommel für das 25. Jubiläum des Mauerfalls, das an diesem Wochenende gefeiert wird. Von der zu erwartenden Andacht ist bei der East Side Gallery am Donnerstag noch nicht viel zu spüren, es hat eher etwas von einem Kirtag. Ein Stück weiter rattern die gelben U-Bahn-Züge der Verkehrsbetriebe über die ziegelrote Oberbaumbrücke, die den Bezirk Friedrichshain über die Spree mit Kreuzberg verbindet. Vor 25 Jahren war hier ein Grenzübergang für Fußgänger. Noch heute sieht man auf der Kreuzberger Seite Straßenbahnschienen, die abrupt enden. Der Stadtteil war damals eine Sackgasse, auf drei Seiten eingekesselt vom Osten und dadurch gänzlich unattraktiv. Niemand wollte hier wohnen, man kam hier auch nie durch. Angeblich gab es damals nicht mal eine Polizeistation in Kreuzberg.

Der Bezirk gehörte den Künstlern, Punks und Ausländern, die Mieten waren niedrig und es scherte sich keiner darum, was hier passierte. Nach der Wende lag der Stadtteil dann plötzlich in der Mitte Berlins. Heute muss man es sich Kreuzberg erst mal leisten können, die Partytouristen pilgern durch den Bezirk und alte Menschen sieht man kaum noch. Auf den Straßen schlendern fast ausschließlich junge Leute zwischen Ende zwanzig und Ende dreißig. Es sind Berliner und Zugezogene aus Inland und Ausland, die meisten sind berufstätig. Heute herrscht eine qualifizierte aber entspannte Karriereorientiertheit in dem früheren Punk-Bezirk. Die günstigeren sind heute Wedding oder Pankow. Eltern gehen dagegen lieber nach Schöneberg, Charlottenburg oder in den Prenzlauer Berg, der als einer der teuersten Bezirke mit bemerkenswert großer Kinderwagendichte gilt.

Flohmarkt und Karaokeam Todesstreifen

Gerade der Prenzlauer Berg ist exemplarisch für den Wandel, den die Stadtteile durch die Wende erlebt haben. Der ehemalige Ost-Bezirk fühlt sich heute nach Westen an. Nur wer darauf achtet, sieht, wo die Mauer verlaufen ist. Etwa am großen Mauerpark in der Bernauer Straße, der früher ein Todesstreifen der DDR war. Heute findet hier jeden Sonntag ein Flohmarkt statt, es gibt Basketballplätze und im Sommer das beliebte Open-Air-Karaoke. Wer in der großen Parkanlage spazieren geht, hat schnell das Gefühl, die Erinnerungen an die Mauer seien von der Zeit weggewaschen, aber das trügt. Denn etwas weiter die Bernauer Straße entlang liegt die "Gedenkstätte Berliner Mauer" an einem ehemaligen Grenzstreifen. Das Areal ist leicht hügelig, sodass man auf den ersten Blick gar nicht sieht, wie groß der Gedenkort eigentlich ist. Es sind 1,4 Kilometer Rasen, in den Eisenstangen aus dem Boden sprießen - sie markieren, wo die Mauer verlief.

Statt Versöhnungskirche nun Kapelle der Versöhnung

Unter freiem Himmel erfährt man über den Bau, die Todesstreifen und den Alltag mit der Mauer. An Informationssäulen sind Videos, Fotos und Texte zu sehen, in Audioaufnahmen erzählen Zeitzeugen von Fluchtversuchen. Die Weitläufigkeit der Erinnerungsstätte wirkt eigenartig beklemmend und es ist erstaunlich ruhig. Dass sich der zentrale Ort der Erinnerung an die Berliner Mauer ausgerechnet hier befindet macht Sinn, denn die Geschichte der Bernauer Straße ist eine traurige. Wo heute der Rasen liegt, verlief eine Häuserfront in Ostberliner Gebiet. Die Bewohner wollten nach den Sperrmaßnahmen flüchten, sie seilten sich aus den Wohnungen ab oder ließen sich in die Sprungtücher der Westberliner Feuerwehr fallen. Das ging nicht immer gut, einige verletzten sich dabei schwer, auch die ersten Todesopfer waren hier zu beklagen. Einige Wochen später wurden die Häuser an der Grenze geräumt und zugemauert, die Bewohner wurden zwangsumgesiedelt.

Die Gedenkstätte samt dem 2009 eröffneten Besucherzentrum erinnert aber auch an die evangelische Versöhnungskirche, die im Todesstreifen stand und 1985 auf Befehl der DDR-Regierung gesprengt wurde. Heute steht an gleicher Stelle die Kapelle der Versöhnung, ein rundes dunkelgraues Gebäude, mit einem schwarzen Kreuz über dem Eingang. Es kommen viele Schulklassen zur Gedenkstätte in der Bernauer Straße. Es gibt zwar ein Souvenirgeschäft in unmittelbarer Nähe, aber der Ort wirkt trotzdem nicht besonders touristisch.

Schlange stehen für Fotos mit falschen Soldaten

Der Mauertreffpunkt für Touristen ist eher der Checkpoint Charlie. Wo früher der sowjetische Sektor den amerikanischen traf und heute Kreuzberg den Bezirk Mitte trifft, schieben sich den ganzen Tag über die Touristenmassen hin und her. Zwischen Mauermuseum und der Brachfläche, die als Open-Air-Museum dient, wird gelächelt und geknipst. Vor der berühmten Mittelinsel und dem Kontrollhäuschen, das Schauspieler in GI-Uniformen bewachen, steht eine Schlange Menschen, die darauf wartet, sich gegen ein paar Euro mit den falschen Soldaten ablichten zu lassen. Was auf den Straßen dann noch an Freiraum existiert, wird von Bussen zugeparkt und von fliegenden Händlern besetzt. Von Berlinern wird dieser Ort tunlichst gemieden. Nur an diesem Wochenende könnte es sein, dass man doch mal den einen oder anderen Einheimischen dort trifft. Die Feierlichkeiten zum 25. Jubiläum sind auch den Berlinern wichtig. Es werden private Partys veranstaltet oder man trifft sich an früheren Grenzübergängen. Bis Sonntagabend wird mit weißen beleuchteten Ballons eine 15 Kilometer lange Lichtgrenze durch Berlin gezeigt, die markiert, wo einst die Mauer West-Berlin von Ost-Berlin trennte, vielleicht haucht diese Idee sogar dem Checkpoint ein wenig Gedenken ein.