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Mit dem Kopf durch die Wand

Von Werner Reisinger

Politik
Hollenbach in Niederösterreich, Juli 2014: "Freemen" wollen ein "Gerichtsverfahren" gegen den Sachwalter einer Sympathisantin durch- führen. Die Szene wurde unterschätzt, sagen Experten.
© Paul Pant/Radio FM 4

Am Montag steht ein Staatsfeind und "OPPT"-Anhänger vor Gericht.


Wien. Sie akzeptieren weder die Behörden, noch halten sie sich an Gesetze. Ihre Häuser, Grundstücke oder Wohnungen sind für sie exterritoriale Gebiete, auf denen Gerichtsvollzieher, Behörden und selbst die Polizei ihrer Ansicht nach über keine Autorität verfügen. Der Staat Österreich existiert für sie nicht, sie sehen sich als "Freemen", als "Reichsbürger", "Terranier" oder als Mitglieder eines imaginären "Staatenbundes Österreich". Was der Verfassungsschutz bei seinem erstmaligen Auftauchen vor weniger als drei Jahren noch als kurzlebiges Phänomen betrachtete, nimmt inzwischen immer ernstere Ausmaße an. Zu lange habe man weggeschaut, sagen Experten wie Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen.

Die deutsche "Reichsbürger"-Bewegung ist eindeutig ein neues, rechtsextremes Phänomen, ihre Anhänger sind nicht selten bis an die Zähne bewaffnet und mit klassischen Neonazis und anderen rechtsextremen Gruppen vernetzt. Regelmäßig finden Razzien statt, bei denen die Polizei inzwischen mit großer Präsenz vorgehen muss. Vergangenen Oktober kam in Bayern bei einem solchen Einsatz ein Polizist durch Schüsse ums Leben. Seit November werden die "Reichsbürger" flächendeckend vom deutschen Verfassungsschutz überwacht. Einige Tausend sind es bereits, sagt der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere. Und die Szene wächst weiter.

Absurde Geldforderungen

So wie die "Reichsbürger" ist auch die heimische Staatsverweigerer-Szene äußerst heterogen (die "Wiener Zeitung" berichtete). Aussteiger-Typen und links gesinnte Systemkritiker zählen ebenso dazu wie krude Verschwörungstheoretiker oder eben Rechtsextreme. Thematisch sind die Grenzen fließend: Globalisierungskritik, Ökologie und Weltuntergangswahn treffen auf braune Esoterik und Antisemitismus. Gemein ist ihnen allen die Ablehnung des Staates und der Gesetze - der harte Kern der Szene setzt dies auch in die Tat um. Dieser besteht mittlerweile aus rund 1100 Personen, sagt der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler. Allein in den vergangenen vier Monaten sollen sich 400 Personen der Bewegung angeschlossen haben, der Sympathisantenkreis zählt rund 20.000 Personen.

Neben handfesten ideologischen Motiven entschließen sich viele auch aus privaten Gründen, sich von Staat und Gesellschaft loszusagen. Oftmals stecken "Freemen" bis zum Hals in Schulden, haben eine Scheidung hinter sich, Angehörige verloren oder andere, persönliche Krisen durchlitten.

Was genau der Antrieb für Herrn M. B. war, den niederösterreichischen Gemeinden Horn und Gars am Kamp sowie der Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB) Müll- und Wassergebühren sowie Pflichtversicherungsbeiträge in der Höhe von insgesamt 1222 Euro vorzuenthalten, wird möglicherweise der am Montag am Landesgericht Krems stattfindende Prozess zeigen. Die Anklageschrift liegt der "Wiener Zeitung" vor. Dem 46-jährigen Mann wird versuchte Erpressung in mehreren Fällen vorgeworfen. Ihm drohen zwischen 6 Monate und 5 Jahre Haft. B. ist Anhänger der sogenannten "One People’s Public Trust"-Bewegung, kurz OPPT. Diese betrachtet sämtliche Schulden weltweit als nichtig und anerkennt auch keine finanziellen Verbindlichkeiten.

Werden die OPPT-Anhänger mit Geldforderungen konfrontiert, zahlen sie nicht nur nicht, sondern gehen gleich zum Angriff über - so auch Herr B. Die Mahnungen und Exekutionsschreiben der Gemeindeverwaltung und der SVB quittierte B. mit "Rechnungen" in teils absurder Höhe, begründet mit einem angeblichen Verstoß gegen das Copyright. B. ist der Ansicht, sein Name wäre in den amtlichen Schreiben zu Unrecht verwendet worden. Gleichzeitig trug B. seine "Forderungen" als Pfandrechtstitel in das US-Handelsregister Uniform Commercial Code (UCC) ein. Insgesamt belaufen sich die "Schuldforderungen" auf die Fantasiesumme von über 11 Millionen Euro. Damit aber nicht genug.

B. versuchte die Beamten, mit denen er im Kontakt stand, persönlich haftbar zu machen. Zwei Gemeindeangestellten sowie dem Amtsleiter des Gemeindeabfallwirtschaftsverbandes drohte der Staatsfeind schriftlich, er werde ihn als Privatperson unbegrenzt haftbar machen, sollten sie nicht für die Einstellung aller aktuellen und künftigen Exekutionen gegen ihn sorgen. Den Bedrohten entstand so ein "Kostenaufwand für die Abwehr dieser unberechtigten Forderungen", ist in der Anklageschrift zu lesen. Auch B.s Ortschef und die Vizebürgermeisterin befinden sich unter den Opfern.

Gesetzesverschärfung geplant

In den vergangenen Tagen erhielten auch Vertreter von Polizei und Justiz einschlägige Schreiben - allerdings anonym. Pro Sekunde Haft verlangt der Absender darin den Betrag von einem Euro - erneute Fantasie-Forderungen von insgesamt 1,286 Millionen. Ob B. oder ein anderer OPPT-Anhänger die Briefe verschickte, ermittelt derzeit der Verfassungsschutz. Weil "Reichsbürger" und "Freemen" öffentliche Prozesse gegen ihresgleichen immer wieder gewaltsam stören, werde es am Montag in Krems erhöhte Sicherheitsmaßnahmen und Polizeipräsenz geben, sagt Ferdinand Schuster, der Vizepräsident des Kremser Landesgerichts.

Innenminister Wolfgang Sobotka dürfte indes die von "Reichbürgern" und "Freemen" ausgehende Bedrohung erkannt haben. Der Paragraf 246a des Strafgesetzbuchs ("staatsfeindliche Verbindungen") soll verschärft werden. Künftig soll keine gemeinsame Organisationsstruktur mehr nachgewiesen werden müssen.