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(Steuer-)Flucht nach vorn

Von Reinhard Göweil

Politik

Kommissionspräsident Juncker sagt Parlament Luxemburg-Aufklärung zu und will Harmonisierung. | EPP-Hieb gegen Österreich.


Brüssel. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker brauchte die von ihm betriebene "Große Koalition" aus Christ- und Sozialdemokraten im Europa-Parlament schon eineinhalb Wochen nach Amtsantritt. Grund sind die Enthüllungen um das Steuer-Paradies Luxemburg, das von Juncker als Regierungschef zu verantworten war.

Nach tagelangem Schweigen ging Juncker nun in die Offensive und stellte sich im Europa-Parlament den Abgeordneten, von denen am linken und rechten Rand einige begonnen haben, einen Misstrauensantrag vorzubereiten. "Alle Steuergesetze in Luxemburg entsprechen europäischem Recht, da ist nichts Ungesetzliches passiert", sagte Juncker. "Das ist kein Luxemburg-Phänomen, sondern ein europäisches und globales Phänomen. Woran es fehlt, ist die Steuerharmonisierung in der EU, und für die werde ich mich einsetzen." Juncker betonte, dass er die Untersuchung der Europäischen Kommission, die nun gegen Luxemburg begann, nicht beeinflussen werde. "Wettbewerbskommissarin Verstagen agiert völlig unabhängig."

Juncker warb um Vertrauen und bekam es von den Abgeordneten der Christ- und Sozialdemokraten. Der sozialdemokratische Fraktionschef Pitella bedankte sich gar bei Juncker für das Kommen, schrieb ihm allerdings drei Forderungen ins Pflichtenheft. Definition von Steueroasen, Entzug von Banklizenzen für Geldinstitute, die da mitmachen, sowie die länderweise Auflistung von Steuerzahlung in Firmen-Bilanzen.

Auch sein Pendant bei den Konservativen der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, nahm Juncker in Schutz. "Steuer-Umgehung ist ein europäisches Phänomen. Das kennen wir aus den Niederlanden, aus Belgien. Und ich bin aus Bayern, dem Grenzgebiet zu Österreich, wohin sich deutsche Spitzenverdiener absetzen."

"Alle wussten, dass es in Ländern wie Luxemburg, Niederlande und Irland Steuerzuckerl für Konzerne gibt. Aber wir kannten dessen wahre Ausmaße nicht", sagte Evelyn Regner, sozialdemokratische Abgeordnete aus Österreich in Brüssel. Ihr Kollege Jörg Leichtfried: "Wir sehen, dass mit einer nationalen Fiskalpolitik der Steuerwettbewerb nicht lösbar ist."

Juncker brach sein Schweigen

Er sei allerdings nicht der "Architekt des Luxemburg-Modells", sagte Juncker. Und er sieht auch keinen Interessenskonflikt und sei natürlich in der Lage, die EU weiterhin zu repräsentieren. Auf Basis der Luxemburg-Enthüllungen haben 343 multinationale Konzerne seit 2002 in Luxemburg durch "Steuer-Pakete" Milliarden an Steuern "gespart". "Grundsätzlich halte ich wenig von einem Rücktritt. Er sollte als Kommissionspräsident vielmehr den Steuerwettbewerb beenden, denn er weiß, wie er geht", sagte Eugen Freund.

Dazu gibt es im Parlament bereits einige Vorschläge. So sollte das Gesellschaftsrecht geändert werden, das ja mittlerweile auch eine "europäische Aktiengesellschaft" (SE) kennt. "Die Sitzfrage eines Unternehmens zu klären, ist wichtig. Die Gewinne sollten dort versteuert werden, wo sie anfallen", sagte Regner vor österreichischen Journalisten in Brüssel.

Dazu wäre aber eine Harmonisierung von Steuer-Vorschriften in der Europäischen Union notwendig. Denn Länder wie Luxemburg, aber auch die Niederlande und sechs weitere, bieten "Pakete" an. Beispiel: Ikea macht in Österreich Gewinne. Für jedes verkaufte Möbel muss aber Lizenz-Gebühr an eine holländische Gesellschaft bezahlt werden. Lizenz-Gebühren werden in den Niederlanden kaum besteuert. Das drückt den Gewinn in Österreich. Wenn nun auch noch eine Holding in Luxemburg dazwischengeschaltet wird, verschwinden hohe Gewinne auf wundersame Weise aus der Steuererklärung in Österreich. Solche Praktiken müssten verboten werden.

Ein zweiter Punkt hat rascher Chance auf Umsetzung: die stärkere Regulierung von Wirtschaftsberatungs-Konzernen. Luxemburg hat sein Steuer-Modell mit den Experten von PricewaterhouseCoopers (PwC) entwickelt. Wenn nun diese weltweit operierenden Wirtschaftsprüfer (wie die Banken) einer EU-Regulierung unterworfen werden mit definierten Mindeststandards, wird es für sie schwieriger, solche Modelle auszuarbeiten.

Auch in Österreich Paradiese

Die dritte Möglichkeit ist die Schaffung einer EU-weit harmonisierten Steuer-Bemessungsgrundlage für Gewinnsteuern der Unternehmen. Das will Juncker nun forcieren, er benötigt dazu allerdings die Zustimmung des Europäischen Rates. "Wenn Malta dagegen stimmt, ist das unmöglich", erklärte Regner. "Wir werden uns also auch über die Entscheidungsstrukturen zu unterhalten haben." Sie forderte von allen EU-Ländern Wahrhaftigkeit ein. "Auch in Österreich gibt es solche Paradiese. Die Gruppenbesteuerung, mit der die Steuerleistung in Österreich durch Auslandsverluste minimiert wird, ist zu hinterfragen."

Die EU-Kommission wird jedenfalls offizielle Ermittlungen gegen Luxemburg aufnehmen, die Liberalen fordern ein Ergebnis bis Jahresende.

Kauf der Telekom Austria

Und dabei wird es wohl nicht bleiben, denn auch die Niederlande rücken in den Fokus der Steuerdumping-Debatte. Das Land bietet Hunderten Finanz-Holdings eine kostengünstige Steuer-Heimat. So hat etwa auch die mexikanische América Móvil die Telekom Austria über eine niederländische Gesellschaft gekauft - ausschließlich aus Steuergründen.

Vierstellige Milliardenbeträge werden durch die Niederlande geschleust, obwohl das Land nichts mit diesem Geschäft zu tun hat. Finanzminister ist Jeroen Dijsselbloem, Vorsitzender der Euro-Gruppe. Auch gegen ihn wurden am Mittwoch Rücktritts-Forderungen laut.

Das kleine Luxemburg ist überhaupt der mit Abstand größte Auslands-Investor der EU geworden. 35 Prozent aller Investitionen, die von der Europäischen Union in anderen Wirtschaftsräumen getätigt werden, stammen aus dem Großherzogtum mit 540.000 Einwohnern.

"Wir haben uns bei der Steueroasen-Debatte bisher auf Drittstaaten wie Liechtenstein oder karibische Inseln konzentriert", sagte Regner. "Es ist Zeit, diese Regeln auch innerhalb der Union anzuwenden."

Juncker hat immerhin eines kapiert: "In einer Zeit, in der öffentliche Haushalte saniert werden müssen, sind solche Steuerregelungen für die Bürger kaum verständlich. Diese Art der Steuerungerechtigkeit wird zu wenig beachtet."

Die gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer, die Juncker gestern versprach, wird vom französischen Kommissar Moscovici verhandelt. Ein fertiger Entwurf liegt bereits im Europäischen Rat - allerdings schon ziemlich lange.