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Sächsische Gründlichkeit

Von WZ-Korrespondent Silviu Mihai

Politik
Wahlsieger Johannis muss sich vorerst mit der Regierung Pontas arrangieren, denn der lehnt Parlamentswahlen derzeit ab.

Der Deutsch-Rumäne Johannis hat die Präsidenten-Stichwahl klar für sich entschieden - ein neuer Politikstil bahnt sich an.


Bukarest. Klaus Johannis war sichtlich bewegt. "Ihr seid Helden!", rief er in die Menge, nachdem um 21 Uhr am Sonntagabend die ersten Hochrechnungen im Fernsehen übertragen worden sind. Kaum jemand hatte dem Siebenbürger Sachsen den Sieg zugetraut. Bei der ersten Runde der rumänischen Präsidentenwahl vor zwei Wochen hatte er gerade einmal 30 Prozent der Stimmen bekommen. Johannis Gegner, der sozialdemokratische Premier Victor Ponta (40 Prozent), galt am Sonntag denn auch als klarer Favorit. Doch es kam anders: Der neue Staatschef heißt Klaus Johannis. Mit fast 55 Prozent der Stimmen gewann der bisherige Bürgermeister von Sibiu (Hermannstadt) deutlich. Innerhalb von wenigen Minuten machte sich der Wirtschaftsliberale auf den Weg zum symbolgeladenen Universitätsplatz in Bukarest, wo mehr als 10.000 Menschen auf ihn warteten. Es war eine lange Nacht und eine große Feier in der rumänischen Hauptstadt. "Klaus! Klaus!", riefen immer wieder vor allem junge Rumänen aus der urbanen Mittelschicht, die traditionell liberal wählen. Mit den Worten "das Volk hat immer recht" gestand Ponta noch am Sonntagabend die bittere Niederlage ein.

Seinen unerwarteten Sieg hat Johannis in erster Linie der überraschenden Wahlbeteiligung zu verdanken, die mit 62 Prozent weit höher war als bei der ersten Runde. Es war vor allem die katastrophale Wahlorganisation, die eine beispiellose Wut- und Protestwelle gegen die sozialdemokratische Regierung auslöste. Zwar verlief der Urnengang in Rumänien selbst fast überall reibungslos, doch im europäischen Ausland, wo mehr als zwei Millionen Rumänen leben, konnten viele wegen der unzureichenden Zahl an Wahllokalen ihre politischen Rechte nicht ausüben. Das rumänische Gesetz sieht die Möglichkeit einer Briefwahl nicht vor, und die Auslandsvertretungen des Landes erwiesen sich, ähnlich wie vor zwei Wochen, einfach überfordert. Stundenlang mussten insgesamt mehrere hunderttausend Bürger bei spätherbstlichen Temperaturen vor den Botschaften und Konsulaten in Paris, London, München, Wien oder Chisinau in der Schlange stehen.

Das Gefühl von Demütigung und Frust durch die Inkompetenz der eigenen Regierung verbreitete sich rasch über Handys, soziale Netzwerke und Live-Übertragungen im Fernsehen - und mobilisierte die daheimgebliebenen Freunde und Familienmitglieder der Auslandsrumänen, die prompt zu den Urnen strömten. In Paris und Turin kam es zu heftigen Protesten vor den Botschaften, das verschreckte diplomatische Personal rief die Polizei zur Hilfe.

Wackelige Mehrheit für Ponta

Den Wahlverlierer Victor Ponta könnte das Wahlchaos noch teuer zu stehen kommen. Bereits am Montagvormittag forderten neben den Vertretern des wirtschaftsliberalen Lagers auch mehrere Stimmen aus seiner Partei PSD den Rücktritt der Regierung. Ein Verlust der fragilen Parlamentsmehrheit, über die die Sozialdemokraten zusammen mit den Konservativen (PC), der Fortschrittspartei (UNPR) un der Liberalen Reformpartei (PLR) noch verfügen, gilt den meisten Beobachtern zufolge als sehr wahrscheinlich. Regierungschef Ponta könnte praktisch alles verlieren, selbst der Parteivorsitz gilt nicht mehr als sicher. Ponta selbst lehnt vorgezogene Parlamentswahlen angesichts seines schlechten Abschneidens allerdings ab. Er wolle bis zu den Parlamentswahlen 2016 weiterregieren, verkündete er am Montag. Rumänien stehen damit möglicherweise weitere zwei Jahre einer Kohabitation zwischen ihm und Johannis bevor.

Das Wahlergebnis ist dennoch in vielerlei Hinsicht eine historische Premiere: Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat Rumänien einen demokratisch gewählten Staatschef, der weder rumänischer Abstammung ist noch der christlich-orthodoxen Kirche angehört. Zudem trat Johannis in seinem Wahlkampf explizit für einen neuen Politikstil ein. Immer wieder betonte der rumänische Sachse stereotypisch deutsche Tugenden wie Effizienz, Sachlichkeit, Arbeit oder Ehrlichkeit, die ihn von seinem Gegner Victor Ponta, aber auch der gesamten politischen Klasse unterscheiden sollen. Auch warb er im Wahlkampf damit, der weit verbreiteten Korruption den Garaus machen zu wollen. Mit diesem Diskurs sprach Johannis offenbar viele enttäuschte Rumänen an.

Die ganze Politik umkrempeln will der bisherige Bürgermeister aber nicht. In der Wirtschaft spricht er sich für die Beibehaltung der 16-Prozent-Flatrate bei der Einkommensteuer und für baldige Einführung des Euro aus. Dies soll vor allem Investoren aus Deutschland und Österreich nach Rumänien locken.

Im Gegensatz zu seinen Kollegen in Bukarest redet der Siebenbürger Sachse weniger, leiser, langsamer. Er wirkt überlegt und eher unspektakulär, was einen starken Kontrast zu den stürmischen, in jeder Hinsicht überspitzten Tiraden seiner Bukarester Kollegen bildet. Beobachter und Journalisten sind sich uneinig bei der Beurteilung des neuen Stils. Die Reden von Johannis seien trocken, langweilig und kalt, sagen die einen; die anderen argumentieren, dass sich der Vorsitzende der Liberalen Partei (PNL) gerade durch diesen Stilbruch beliebt gemacht hat. Zu viel reden, zu viel versprechen und schwierige Situationen kleinreden - all das wird im Volksmund als Schwäche, manchmal sogar als Fluch der Rumänen betrachtet. Der linke Blogger und Publizist Costi Rogozanu resümiert: "Humor und Schein statt Gründlichkeit und Fleiß: Das macht uns cool, aber macht uns das auch reich?"