Zum Hauptinhalt springen

Schottland-Deal sorgt für Unruhe in England

Von WZ-Korrespondentin Peter Nonnenmacher

Politik

Weitreichende Zugeständnisse an Edinburgh sollen Abspaltung verhindern. Das wirft brisante Fragen auf.


London. Ein am Donnerstag enthüllter Deal für größere schottische Selbstbestimmung hat in England zu neuer Frustration und zur Forderung nach mehr englischer Eigenständigkeit geführt. Auch Wales und Nordirland verlangen mehr Unabhängigkeit von London. Politische Beobachter glauben, dass sich das Vereinigte Königreich nun auf dem Weg zu einer echten Föderation befindet - dass es in absehbarer Zeit aber doch noch auseinanderbrechen könnte.

Bei den am Zusammenhalt des Landes interessierten "Westminister-Parteien" - den Konservativen, den Liberaldemokraten und der Labour Party - herrschen gemischte Gefühle über die neuen Befugnisse für Schottland. Entsprechende Reformen hatten die drei Parteien jedoch den Schotten vor dem Unabhängigkeits-Referendum im September feierlich versprochen - nur um das unmittelbar befürchtete Auseinanderfallen des Königreichs zu verhindern.

Mehr Kontrolle über Steuern

Von "erheblich mehr Selbstbestimmung" und sogar von "Home Rule" für Schottland war damals die Rede gewesen. Im Anschluss ans Referendum beauftragte Premierminister David Cameron den Finanzexperten Lord Smith of Kelvin damit, ein für alle Parteien akzeptables Maß an schottischer Autonomie zu finden. Was Smith mit den drei Westminster-Parteien, den schottischen Nationalisten und den schottischen Grünen vereinbarte, soll nun nach den Unterhauswahlen im Mai gesetzlich verankert werden. Schottland erhält dabei mehr Kontrolle über seine Steuern, über einen Teil seiner Sozialausgaben und über sein Wahlrecht.

Zentrale Neuerung ist, dass die Schotten künftig in Schottland erhobene Einkommenssteuern direkt verwerten und ihre Steuersätze nach eigenen Vorstellungen variieren können. Auch ein Teil der in Schottland kassierten Mehrwertsteuer und alle Einnahmen aus den lukrativen Flughafen-Gebühren fließen in Zukunft Edinburgh zu.

Damit dürfte es erstmals in Großbritannien auf gleiches Einkommen verschiedene Steuersätze geben. Nur den Steuerfreibetrag sowie Spar- und Aktienzinsen soll das Westminster-Parlament weiter fürs ganze Land festlegen. Auch Erbschafts-, Körperschafts- und Nordseeöl-Steuern werden weiterhin von London geregelt. Renten, Rentenbeiträge und Krankenversicherung bleiben ebenfalls gesamtbritische Angelegenheit. Dagegen gehen eine Reihe von Sozialausgaben in schottische Hand über.

Einer Regierung in Edinburgh verschafft das die Möglichkeit, zum Beispiel die Wohlhabenden im Lande höher zu besteuern und den Mittellosen mehr finanzielle Unterstützung zufließen zu lassen. Zugleich sollen künftig in Schottland auch schon die 16- und 17-Jährigen wählen dürfen. Den Schotten wird außerdem garantiert, dass ihr Parlament vom Westminster-Parlament gegen ihren Willen nie wieder abgeschafft werden kann. All diese Zugeständnisse an Schottland haben aber anderswo im Königreich scharfe Reaktionen ausgelöst.

Vor allem kritisieren rechtskonservative Politiker und Nationalisten in England, dass Abgeordnete aus schottischen Wahlkreisen in Westminster weiter mit über gesamtbritische Budgets sollen abstimmen dürfen. Etliche Tory-Abgeordnete wollen, dass von nun an nur noch englische Abgeordnete über "englische Belange" entscheiden. Einige verlangen sogar die Gründung eines eigenen englischen Parlaments. Auch Wales und Nordirland drängen auf mehr Autonomie, als sie bisher haben. Tory-Premier Cameron versprach am Donnerstag, "noch vor Weihnachten" Pläne zur Frage "englischer Stimmen für englische Gesetze" vorzulegen. Sollten die schottischen Westminster-Abgeordneten ihr generelles Stimmrecht in London verlieren, wäre davon insbesondere die Labour Party betroffen. Zurzeit kommen 41 Unterhaus-Abgeordnete Labours (knapp ein Sechstel der Fraktion) aus Schottland, während die Konservativen nur einen einzigen Schottland-Abgeordneten haben.

Unabhängigkeit weiter Thema

Vor allem aber würde ein britisches Parlament, dessen Parlamentarier unterschiedliche Rechte hätten, Probleme für die britische Verfassung aufwerfen und alte Bande im Königreich gefährlich lockern. Schottische Abgeordnete "zweiter Klasse" in London oder gar ein alles dominierendes englisches Parlament müssten den Graben zwischen England und Schottland weiter vertiefen. Das wäre wiederum im Sinne der SNP, die auch den jetzigen Deal nur als Etappe auf dem Weg zur Unabhängigkeit ihres Landes betrachtet.

Beim Referendum am 18. September hatten noch 45 Prozent der Schotten für und 55 Prozent gegen volle Souveränität gestimmt. Die SNP unter Führung der neuen Parteichefin Nicola Sturgeon hofft aber, nach einem erneuten Wahlsieg in Schottland 2016 das Thema erneut auf die Tagesordnung zu bringen - vor allem, falls Camerons Konservative das Königreich dann aus der Europäischen Union führen wollen.