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Scheidungskrieg auf Russisch

Von Marina Delcheva aus Bukarest und Konstanze Walther

Politik

Moskau erklärt das Pipeline-Projekt South Stream für geplatzt.


Wien/Moskau/Bukarest. Der Dissens zwischen Russland und der EU scheint immer emotionaler zu werden. Obwohl die russische Wirtschaft von dem Export von Gas abhängig ist, erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin das Projekt der neuen Gaspipeline "South Stream", die die Ukraine umgehen hätte sollen, für gescheitert. Die Pipeline werde nicht gebaut, es sei durch die "Blockadehaltung" der EU sinnlos geworden, sagte er. "Das war’s. Das Projekt ist geschlossen", betonte auch Gazprom-Chef Alexej Miller in Ankara.

Ostentativ ließ Putin bei derselben Pressekonferenz bei seinem Staatsbesuch in der Türkei wissen, dass Istanbul nicht nur in Zukunft mehr Gas aus Russland bekommen wird, sondern es ab Jänner auch um sechs Prozent billiger für die Türkei werden wird. Für weitere Preisnachlässe gebe es Spielraum. Die Türkei ist nach Deutschland der zweitgrößte Abnehmer von russischem Gas. Auch eine neue Offshore-Pipeline zwischen der Türkei und Russland ist angedacht.

Gasleitungen werden auch woanders weiter gebaut: Nachdem 15 zähe Jahre verhandelt worden war, konnte man sich im Mai, während der Eskalation in der Ukrainekrise, plötzlich handelseins werden. Im September folgte schon Baubeginn der neuen russischen Gaspipeline nach China. "Wir starten das größte Bauprojekt der Welt", sagte Putin im September bei dem Spatenstich in Sibirien. Ab 2018, nach Fertigstellung der Pipeline "Sila Sibiri", "Kraft Sibiriens", will Russland jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Gas nach China pumpen.

Neue Liebe China

Zu welchem Preis das Gas nach China verkauft wird, darüber schweigen sich die Vertragsparteien aus. Beobachter gehen davon aus, dass entweder China die Gunst der Stunde genutzt und ein Schnäppchen gemacht hat, oder dass es über den Preis noch keine Abmachungen gibt, es sei nur wichtig gewesen, die Vereinbarung endlich zu treffen.

Und im November unterzeichnete Russland gleich einen weiteren Vertrag mit China über eine Pipeline von voraussichtlich 30 Milliarden Kubikmeter, die über eine Westleitung führen soll. Zusammen hätten die zwei entstehenden China-Pipelines eine Förderungskapazität in etwa in den Ausmaßen der nun stornierten South Stream.

OMV zu optimistisch

Jährlich 63 Milliarden Kubikmeter Gas hätten von Russland über Bulgarien, Serbien, Ungarn bis nach Österreich mit der South Stream gefördert werden sollen. Doch sowohl die EU als auch die USA versuchten, über die Pipeline Druck auf Russland auszuüben. Brüssel leitete ein Strafverfahren gegen Bulgarien ein, da das Projekt nicht der EU-Gesetzgebung entspreche. Man wolle es trotzdem bauen, hieß es damals aus Bulgarien. Eine Woche später erklärte man aber in der Hauptstadt Sofia, am 8. Juni, nach einer Unterredung mit US-Abgeordneten, das South-Stream-Projekt vorerst quasi auf Eis legen zu wollen. Die bulgarische Blockade wurde von Putin als Grund angeführt, weshalb die Weiterführung des Projekts nicht sinnvoll wäre.

Und das, obwohl die heimische OMV zwei Wochen nach dem bulgarischen Vorfall sich für Russland und die Gazprom optimistisch in die Bresche warf. Am 24. Juni kam Wladimir Putin nach Wien, seinem ersten Auslandsbesuch in einem EU-Land seit Beginn der Ukrainekrise und der Annexion der Krim im März 2014, um den Vertrag zum Baubeginn des österreichischen Teilabschnittes zu unterzeichnen.

Die EU sah es damals extrem ungern, dass Österreich mit Russland einen Vertrag unterschrieb und damit scheinbar ein Projekt besiegelte, dass eine Pipeline unter der Umgehung der Ukraine ermöglicht hätte. Doch offenbar wollte man davon in Wien nichts wissen. Schließlich hatte man erst ein Jahr davor das Ende der geplanten Nabucco-Pipeline verkraften müssen, die wiederum unter Umgehung Russlands Gas aus Aserbaidschan nach Europa liefern hätte sollen - bis an den Hub im niederösterreichischen Baumgarten. Nachdem Russland aber Aserbaidschan davon überzeugt hatte, sein Gas doch lieber an den angrenzenden Nachbarn, nämlich Russland, zu verkaufen, platzte dieser Pipeline-Traum. Da sah es so aus, als würde South Stream eine Alternative für eine zusätzliche Leitung nach Europa sein. Die geopolitische Lage wurde professionell ausgeblendet, schließlich sind Energiekonzerne oft in einem schwierigen Umfeld unterwegs.

OMV-Chef Gerhard Roiss meinte am Dienstag bei einer Pressefahrt nach Bukarest rückblickend zu der damaligen Entscheidung, man habe den russischen Energiekonzern Gazprom seit 50 Jahren als "verlässlichen Partner" gekannt. Der Chef des heimischen Energiekonzerns, der Mitte 2015 vorzeitig aus dem Unternehmen ausscheidet, gab sich trotz der Änderung durch Moskau betont gelassen. Offiziell habe weder Putin noch Gazprom-Chef Miller die OMV (die am österreichischen Teilabschnitt der South Stream mit 50 Prozent beteiligt war) von dem Stopp des Projekts benachrichtigt, auch die Verträge seien nicht aufgekündigt worden.

Deshalb interpretierte der OMV-Boss die Ankündigung auch als geopolitische Drohgebärde aus Moskau, das Projekt sei noch nicht ganz abgehakt. Aber selbst wenn: Für die OMV wäre ein Ende von South Stream "kein Beinbruch". Der österreichische Stahlkonzern Voest prüft zur Stunde, inwieweit den Konzern der Baustopp trifft, schließlich wurde das Baumaterial bei ihnen bestellt. Insgesamt geht man davon aus, dass Österreich 100 Millionen Euro an russischen Investitionen (der Anteil der Gazprom an der Errichtung der Pipeline) verliert. Roiss verweist darauf, dass andere Länder von der Entscheidung härter getroffen werden, Bulgarien muss etwa auf 3,8 Milliarden Euro verzichten, Serbien fällt um 2 Milliarden Euro um. Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vucic hat in einer ersten Reaktion den Baustopp als "keine gute Nachricht" für sein Land bezeichnet - kein Staat ist Russland im Zuge des Projekts mehr entgegen gekommen. Serbien hatte seinen staatlichen Energiekonzern NIS etwa unter seinem Wert an die Gazprom verkauft - im Gegenzug für das Versprechen seitens Russlands, an der South Stream beteiligt zu werden.

Einer der Gründe des Baustopps scheint auch Geld gewesen zu sein, beziehungsweise das Fehlen desselben. Während China die gemeinsamen Pipelines vorfinanziert, wurde die South Stream größtenteils als 50:50-Finanzierung mit den nationalen Betreibern angedacht.

Und Russland steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Der Rubel befindet sich im freien Fall, zu Wochenbeginn notierte er auf dem tiefsten Stand seit der Finanzkrise 1998.

Rezession in Russland

Seit Jahresbeginn hat der Rubel damit gegenüber dem Dollar rund 63 Prozent seines Wertes verloren. Grund dafür ist einerseits der ständig fallende Energiepreis, der das russische Budget ständig verkleinert und Investitionen in Energieinfrastruktur wenig attraktiv erscheinen lassen. Der Ölpreis hat seit Jahresbeginn um rund 30 Prozent nachgelassen. Zudem leidet die russische Wirtschaft unter den westlichen Sanktionen. 2015 wird das Land voraussichtlich in eine Rezession schlittern. Die russische Wirtschaftsleistung dürfte im nächsten Jahr um 0,8 Prozent abnehmen, sagte der stellvertretende Wirtschaftsminister Alexej Wedew am Dienstag.

Diversifizieren

Der Baustopp des Projekts hat bis auf weiteres keine Auswirkungen auf den österreichischen Konsumenten. Doch vor Journalisten betonte OMV-Chef Roiss, dass angesichts der angespannten Situation Europa neue und eigene Wege finden müsse, um Gas nach Europa zu bringen. "Ich hake Gas nicht ab und ich hake Pipelines nicht ab. Wie sie im Endeffekt heißen, ist egal", sagt Roiss.

In Rumänien und den Gasfeldern im Schwarzen Meer sieht Roiss eine Möglichkeit, "eigenes, europäisches Gas" nach Europa zu bringen. Vor zwei Jahren hatte der Konzern große, noch unerschlossene Gasfelder im Schwarzen Meer vor der rumänischen und bulgarischen Küste entdeckt. Im Rahmen eines Joint Venture mit dem US-Ölriesen ExxonMobile möchte die OMV in den kommenden zwei bis drei Jahren mit der Exploration des Gasfeldes Neptun beginnen. Dafür nehmen beide Konzerne je eine halbe Milliarde Dollar jährlich in die Hand.

Je nach Beschaffenheit und Menge könnte schon 2022 das erste Gas fließen. In die anschließende Gasgewinnung müsste die OMV jedoch weit mehr als eine halbe Milliarde pro Jahr investieren. Angesichts der geopolitisch angespannten Lage weist Roiss darauf hin, dass Europa nach eigenen Gas-Alternativen suchen müsse und fordert einen "Gashighway" für den europäischen Binnenmarkt. Wenn sich die Gasfelder vor Rumänien als groß genug erweisen, könne man auch an Exporte nach Mitteleuropa denken, nicht nur in die angrenzenden Länder. "Baumgarten ist ein strategischer Knotenpunkt für die ganze EU", meint Roiss.

Viele Alternativen außerhalb Rumäniens hat die OMV derzeit nicht. In Libyen, ebenfalls wichtiges Explorationsland, herrscht Bürgerkrieg. Die Ölgewinnung kommt immer wieder zum Erliegen und Produktionsstätten werden angegriffen. Nach dem South-Stream-Aus erweist sich auch Gazprom als unzuverlässiger Partner für die OMV.