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Rot-Rot-Grün in Thüringen - ein Experiment mit Risikofaktor

Von Alexander Dworzak (Pro), Walter Hämmerle (Contra)

Politik

Pro und Contra zum Experiment in Thüringen.


Pro: ein Auftrag, kein Persilschein
"Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!", skandierten Anhänger der Jungkonservativen vor dem Thüringer Landtagsgebäude, als Bodo Ramelow (Bild oben) am Freitag zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Wen verraten? Die Demokratie? Die Opfer der DDR-Diktatur? Weder noch! Abgesehen vom historisch schiefen Vergleich: Die SPD hat es gewagt, sich von Schwarz-Rot im ostdeutschen Bundesland loszusagen und ist stattdessen künftig lieber Juniorpartner der neuen rot-rot-grünen Regierung. Das schmerzt die CDU, schließlich war sie seit der Wende, 24 Jahre, in Thüringen an der Macht. Es geht also zuallererst um simple Machtpolitik, nicht Moral.

Das demokratische Leben leidet nämlich in deutschen Bundesländern nicht durch eine Linken-Regierungsbeteiligung. Derzeit koalieren SPD und Linke in Brandenburg, Klaus "Arm, aber sexy" Wowereit regierte mit der Linken bzw. ihrer Vorgängerin PDS von 2002 bis 2011, und 1998 bis 2006 war dieselbe Konstellation in Mecklenburg-Vorpommern am Ruder. Jeweils geräuschlos.

Den Ministerpräsidenten zu stellen ist doch etwas anderes, als bloß Juniorpartner zu sein, mögen Kritiker an dieser Stelle einwenden. Höchstens symbolisch, aber nicht effektiv. Die Linke regiert nicht alleine, bei Ostalgie-Anfällen würden SPD und Grüne die Koalition verlassen. Außerdem stehen in Thüringen regionale Themen im Zentrum, nicht linke Bundesparteiforderungen wie die nach Abschaffung der Nato.

Einen "Unrechtsstaat" nannte Bodo Ramelow die DDR. Der neue Ministerpräsident grenzt sich vom Erbe der Vor-Vorgängerin der Linken, der DDR-Kaderpartei SED ab. Er entschuldigte sich am Freitag auch bei den Opfern des Regimes. Ja, es gibt führende Parteimitglieder, die das anders sehen, darunter Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht. Ramelow darf aber nicht für diese Kräfte - die keinesfalls zahlenmäßig zu unterschätzen oder zu verharmlosen sind - in Geiselhaft genommen werden.

Das heißt aber nicht, dunkle Flecken in der Partei zu kaschieren. Dabei bleibt die Linke unter Beobachtung, schließlich kokettieren zum Beispiel etliche Anhänger mit Antisemitismus und sind offen antizionistisch. Gleichzeitig gibt es auch innerhalb der Partei die Gruppe "Shalom", die genau diesen Strömungen entgegentritt.

Wer die Moderaten und Konstruktiven innerhalb der Linken stärken will, muss ihnen eine politische Chance geben. Das Ministerpräsidentenamt für Ramelow ist ein Auftrag, kein Persilschein.

Contra: mit Putin gegen Euro, Nato und Israel
Es ist natürlich kein "Tag der Schande für das wiedervereinigte Deutschland", wie die CSU die Wahl von Bodo Ramelow zum ersten Ministerpräsidenten der Linken kommentierte. Eher schon hat da der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen recht, der von "keinem guten Tag für Deutschland und erst recht nicht für die Opfer der SED-Diktatur" spricht. Tatsächlich ist es angebracht, einige harte Fragen an die Adresse von SPD und Grünen zu richten, die nun das historische Bündnis mit der Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED in Thüringen nun wagen.

Mit Moral kommt man dabei nicht weit, ihr haftet das Weinerliche von Verlierern an, bleiben wir bei den Fakten der Machtpolitik. Die rot-rot-grüne Koalition ist das Ergebnis der arithmetischen Möglichkeiten im neuen Landtag. SPD und Grünen, die beide Stimmen verloren (die SPD erlitt sogar ein Debakel), geht es in erste Linie um die Entmachtung der CDU, die als stärkste Kraft noch einmal zulegen konnte.

Allerdings verlangt der Schachzug einen hohen Preis. Sozialdemokraten und Grüne machen einen Vertreter jener Partei zum Ministerpräsidenten, die gegen jeden außenpolitischen Grundkonsens der Bundesrepublik opponiert: Die Linke tritt für die Auflösung des westlichen Verteidigungsbündnisses ein; sie irrlichtert in Sachen Europa, dem Herzstück deutscher Politik, wenn Vizechefin Sarah Wagenknecht die Auflösung des Euro fordert; und Wladimir Putin kann sich auf Linke verlassen, wenn er in Berlin Unterstützung für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine sucht. Die Linkspopulisten finden sich damit in der wenig schmeichelhaften Gesellschaft von Rechtsauslegern wie Marine Le Pens Front National, der britischen Ukip, der ungarischen Jobbik oder der FPÖ wieder, mit denen sie auch einen latenten Hang zum Antisemitismus teilt, wenn es um Israel geht.

All dies gehört zur Natur jener Partei, die SPD und Grüne jetzt aus ihrer politischen Isolation holen. Die Thüringer Koalition nährt deshalb Zweifel an den Beteuerungen beider Parteien, Rot-Rot-Grün sei für den Bund keine Option. Vielmehr lehrt das Beispiel, dass ungeachtet solcher Lippenbekenntnisse eine reelle Chance hat, wenn die rechnerische Mehrheit gegeben ist. Und die rot-grünen Mahnungen an die CDU, doch ja die Rechtspopulisten von der AfD weiterhin zu ächten, verlieren durch Thüringen zwar nicht an Richtigkeit, aber erheblich an moralischer Berechtigung.