Rom/Brüssel/Athen. "Jeden Monat eine Reform." Mit dieser Ansage ließ Matteo Renzi aufhorchen, als er im Februar Ministerpräsident Italiens wurde. Der juvenile Florentiner eroberte die Herzen der Bürger mit seinem Engagement im Sturm. Nach zehn Monaten ist von Renzis Versprechen oft nicht viel übrig geblieben. Radiomoderator Alessandro Milan zählt die vergehenden Wochen und merkt genüsslich an, nun sei die "alles entscheidende Woche". So wartet zum Beispiel das Land noch immer auf die dringend notwendige Wahlrechtsreform, um die zersplitterte Parteien- und Koalitionslandschaft zu zähmen. Und wenn dem Premier doch ein großer Wurf gelingt, laufen ausgerechnet Gewerkschaften und Teile seines linken Partido Democratico dagegen Sturm.

Vor einer Woche brachte Renzi seine Arbeitsmarktreform durch den Senat. "Es gibt keine ungerechtere Sache als ein Arbeitsrecht, das Menschen in Bürger erster und zweiter Klasse teilt. Eine 30-jährige Schwangere bekommt als Angestellte Schwangerschaftsurlaub, als Scheinselbständige hat sie gar nichts. In dieser Arbeitswelt herrscht Apartheid", verteidigte der Premier sein "Job Act" genanntes Vorhaben. Dieses sieht vor, dass der Kündigungsschutz bei unbefristet Beschäftigten in den ersten drei Vertragsjahren weitgehend aufgehoben wird. Zudem dürfen Arbeitgeber befristete Verträge fünf Mal verlängern, insgesamt maximal drei Jahre lang. Erst dann muss ein Mitarbeiter fest angestellt werden. Je länger er oder sie im Betrieb bleibt, desto stärker werden die Rechte der Arbeitnehmer. Renzi hofft, dass dadurch endlich wieder mehr Personen angestellt werden - insbesondere Junge. Denn mehr als 40 Prozent der Unter-25-Jährigen findet keinen Job. Mit 700.000 arbeitslosen Jugendlichen ist Italien nach Spanien der EU-Staat mit den meisten Jungen ohne Arbeit.
Renzi steckt in der Zwickmühle: hohe Schulden, hohe Arbeitslosigkeit, geringes Wachstum. Seit 1999 ist die Wirtschaft in keinem großen Industrieland weniger gewachsen als in Italien. Also greift der Sozialdemokrat zu jenem Rezept, das bereits sein Amtskollege Gerhard Schröder im Deutschland der Nullerjahre vorgemacht hat: Mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes soll die hohe Arbeitslosigkeit bekämpft und das Wachstum angekurbelt werden.
Nach Bekanntgabe des "Job Act" verkündete der Chef der Metallgewerkschaft, Maurizio Landini, umgehend den Bruch mit Premier Renzi. Dieser sieht sich zum ersten Mal mit einem Generalstreik konfrontiert, der heute, Freitag, für acht Stunden das Land lahmlegt. Dazu aufgerufen haben die Gewerkschaftsverbände CGIL und UIL. Susanna Camusso, Chefin von CGIL will Renzi private und öffentliche Investitionen zur Ankurbelung der Beschäftigung abtrotzen.
Belgiens Linke außen vor
Dass sich auch die belgische Regierung auf heftigen Gegenwind einstellen muss, war spätestens bei der Regierungserklärung im Oktober klar. 21 Stunden debattierten die Parlamentarier in Brüssel damals hitzig. Der stellvertretende Premier Alexander De Croo warf der Opposition gar vor, das Parlament "zu einem Fußballstadion gemacht" zu haben. Mehr als nur Fußballstadion-Atmosphäre herrschte Anfang November, mehr als 100.000 Belgier demonstrierten gegen die Regierung, es kam zu Ausschreitungen mit der Polizei. Seitdem finden jeden Montag Protestkundgebungen und Streik statt, bei denen der öffentliche Verkehr in Brüssel, Antwerpens Frachthafen oder der Brüsseler Flughafen ganz oder teilweise lahmgelegt wurden. Kommenden Montag finden die Proteste mit einem Generalstreik ihren Höhepunkt, zu dem die Gewerkschaften und die Sozialisten aufgerufen haben.
In dem Land, das keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsamen Parteien und keine gemeinsamen Medien kennt, schickt sich nämlich eine Viererkoalition an, einen politischen Umbruch zu vollziehen: Die Liberalen beider Sprachgemeinschaften regieren mit den flämischen Christdemokraten und der N-VA, die auf den schleichenden Untergang des belgischen Staates hofft und für ein eigenständiges Flandern kämpft. Zum ersten Mal seit mehr als einem Vierteljahrhundert sind die Sozialisten nicht mehr Teil der Regierung. Dementsprechend hart attackieren sie die Pläne der Koalition - sie sehen darin eine Wende in Richtung Austerität. Die Maßnahmen der Regierung sehen vor, dass das Pensionsalter bis 2030 von 65 auf 67 Jahre angehoben wird. Auch soll die in Belgien gängige Kopplung der Gehälter an die Inflation 2015 ausgesetzt werden, die Ausgaben für Wissenschaft, Bildung und den öffentlichen Nahverkehr sollen ebenso schrumpfen wie die Subventionen für die ohnehin wenigen föderalen Kultureinrichtungen wie das Brüsseler Kunstzentrum Bozar. Gleichzeitig sollen auch die Unternehmenssteuern gesenkt werden.
Elf Milliarden Euro möchte die Viererkoalition in den kommenden Jahren sparen und bis 2018 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Derzeit liegt das Budgetdefizit mit 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in der Vorschau für 2015 und 2016 nur knapp innerhalb der Maastricht-Kriterien von 3 Prozent. Wirklich problematisch sind aber die öffentlichen Schulden. Sie sind in den vergangenen Jahren rapide gestiegen, von 87 Prozent des BIP im Jahr 2007 auf mittlerweile 106 Prozent. Nur fünf Länder rangieren hierbei innerhalb der EU noch schlechter als Belgien - die Sorgenkinder Zypern, Irland, Portugal, Italien und Griechenland.