Zum Hauptinhalt springen

Geheime Krieger

Von Reinhard Göweil

Politik

Neue Ermittlungen zum Oktoberfest-Anschlag 1980 bringen die Nato-Geheimarmee "Gladio" erneut aufs Tapet.


München/Luxemburg. 34 Jahre nach dem Münchner Oktoberfest-Anschlag mit 13 Toten und 211 Verletzten werden in Deutschland die Ermittlungen wieder aufgenommen. Eine bisher unbekannte Zeugin sei aufgetaucht, so die deutsche Bundesanwaltschaft. Diese Ermittlungen wurden 1982 eingestellt, damals gab man sich zufrieden, dass der Rechtsextremist Gundolf Köhler Einzeltäter gewesen sei. Spuren führten allerdings schon damals zu einem 1981 gefundenen geheimen Waffendepot in der Lüneburger Heide nahe der damaligen DDR-Grenze. Der Rechtsextremist Heinz Lemke habe es angelegt, 156 Kilo militärischer Sprengstoff befanden sich darunter. Lemke, der fünf Tage nach seiner Verhaftung in der Gefängniszelle starb, habe auch dies alleine angelegt, so der damalige Staatsanwalt.

Luxemburger Bombenleger

Journalisten, die in diesen Fällen recherchierten, mochten nicht recht daran glauben, dass die beiden Fälle nichts miteinander zu tun haben. Gemeinsam ist ihnen jedenfalls, dass sie auf eine Mauer des Schweigens stießen. Geheimdienstexperten verweisen auf "Gladio", eine Guerilla-Armee der Nato, die im Kalten Krieg aufgebaut worden war, um bei einer sowjetischen Invasion Sabotage-Aktionen zu verüben. "Stay behind" nennen daher die USA ihre in ganz Europa errichtete Geheimarmee.

Luxemburg. Im Großherzogtum läuft ein Monster-Prozess um die sogenannte "Bombenleger-Affäre". Zwischen 1984 und 1986 gab es 24 Bombenanschläge in Luxemburg, bei denen es keine Opfer zu beklagen gab, die aber enormen Schaden anrichteten. Stromleitungen, Gaswerke, allerdings auch ein EU-Gipfel waren Ziele. Auch dahinter wird Gladio vermutet, und Verwicklungen zum luxemburgischen Geheimdienst. Im Mai 2013 sagte dort der Sohn eines verstorbenen Mitarbeiters des deutschen Geheimdienstes BND aus, sein Vater sei Teil von Gladio gewesen und hätte den Oktoberfest-Anschlag 1980 mitorganisiert. Es gibt Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen, nicht aber an der seltsamen Rolle der Geheimdienste.

Bologna, August 1980. Bei einem Bombenanschlag am Bahnhof sterben 55 Menschen, 200 werden verletzt. Auch hier sind Rechtsextreme die Täter. 15 Jahre danach wurden zwei Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes Italiens verurteilt, weil sie die Neofaschisten unterstützt hatten.

Und im Zuge der Aufklärung des Bologna-Anschlags musste im Jahr 1990 der damalige italienische Ministerpräsident Andreotti zugeben, dass es Gladio gibt, jene von der Nato unterstützte Geheimarmee. Sie operiere nicht nur in Italien, sondern in allen EU-Ländern und in der Schweiz.

Andreotti bestätigte Gladio

Es war das erste Mal, dass die europäische Öffentlichkeit und die Parlamente von dieser Organisation erfuhren. Recht viel mehr allerdings nicht, denn alle Akten dazu werden von den Regierungen unter Verschluss gehalten.

Mit einigem Grund, denn Gladio oder "Stay behind" sind kein Ruhmesblatt in der düsteren Geschichte des Kalten Krieges und nichts anderes als eine "geheime Außenpolitik" der USA. Sie begann 1948, als in Washington der Kampf gegen den Kommunismus aufgenommen wurde. Mit Hilfe der damals in Europa stationierten US-Armee wurden "stramme Anti-Kommunisten" in allen europäischen Ländern akquiriert und zu Partisanen-Kämpfer ausgebildet. Waffen-Depots wurden überall in Europa angelegt, auch für Geld und Funkgeräte. Die USA rechneten mit einer sowjetischen Invasion in Westeuropa. Die Geheimarmeen sollten deren Vormarsch behindern. So der Plan.

Die Amerikaner haben stramme Anti-Kommunisten gefunden, allerdings in den Reihen der ehemaligen Nazis. Angehörige der Waffen-SS, der Wehrmacht und Hitler-Anhänger in anderen Staaten entgingen ihrer Strafe, wenn sie für "Stay behind" arbeiteten. Tausende Schwerverbrecher des Dritten Reichs wurden so von den USA zu "anti-kommunistischen Freiheitskämpfern" umgemodelt. Ende der 50er Jahre war der Gladio-Aufbau abgeschlossen, bis dahin wurden auch die Regierungen in Westeuropa von deren Existenz informiert. Gladio begann, mit den nationalen Geheimdiensten eng zu kooperieren.

Die vielen Nazis bei Gladio streckten ihre Fühler zu rechtsextremen Gruppen aus und begannen diese offensichtlich zu unterstützen. Als Ende der 1960er Jahre allerdings immer noch keine sowjetische Invasion stattgefunden hatte, begann Gladio "geheime politische Kriege in Europa" zu führen, wie es der US-Geheimdienstexperte Christopher Simpson in einem Interview sagte.

Geheime politische Kriege

In Italien lag die dortige kommunistische Partei bei 30 Prozent, was in den USA große Nervosität hervorrief. Anschläge, ein Klima der Angst sollten die Bevölkerung für eine straffe Ordnungs- und Sicherheitspolitik zugänglich machen. In Deutschland galten - am Höhepunkt des Kalten Krieges - sogar sozialdemokratische Politiker als sowjetische Überläufer.

Der rechtsextreme Anschlag 1980 beim Münchner Oktoberfest etwa fand zehn Tage vor einer Bundestagswahl statt, bei der sich der Law-and-Order-Politiker Franz Josef Strauß Chancen ausrechnete, den SPD-Kandidaten Helmut Schmidt zu besiegen.

Auch in Österreich hat es einen Gladio-Ableger gegeben. Er wurde vom früheren SPÖ-Innenminister Franz Olah unterstützt, und nannte sich - sehr österreichisch - "Österreichischer Wander-, Sport- und Geselligkeitsverein". Olah war strikter Gegner der Kommunisten.

Zurück nach Luxemburg. Auch dort sind - wie in München - plötzlich neue Beweise aufgetaucht, fünf Mitarbeiter des Geheimdienstes und der Polizei sollen angeklagt werden.