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Weihnachtslieder und Giftpfeile

Von Alexander Dworzak aus Dresden

Politik

In Dresden wächst Pegida weiter und feiert Weihnachten auf ihre Art - doch viele Bürger wehren sich gegen die rechte Bewegung. Eine Reportage.


Dresden. Unweit der Dresdner Altstadt ragt die Silhouette einer riesigen Moschee in den Himmel der sächsischen Landeshauptstadt. Es ist ein imposantes Bauwerk, 62 Meter hoch, mit einer funkelnden Glaskuppel. Doch die sogenannte Yenidze ist ein Potemkinsches Dorf. Erbaut 1909, diente sie einst als Tabakfabrik. Der osmanisierende Stil spielte auf die Herkunft des Tabaks an, und der Rauchfang wurde als Minarett getarnt. Heute beherbergt die Yenidze Büros, Lokale und den "Verein der Freunde der 1001 Märchen". Schöne Grüße aus dem Morgenland.

Jene, die das Abendland retten wollen, versammeln sich rund einen Kilometer von der Yenidze entfernt. Auf dem Theaterplatz vor der berühmten Semperoper intonieren sie inbrünstig "Wir sind das Volk". Pegida, Akronym für die selbsternannten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", hat gerufen - und so viele wie noch nie zuvor folgten. Jeden Montag in den vergangenen zehn Wochen traf sich die Gruppierung - montags, genau wie die Demonstranten in der DDR, die vor 25 Jahren ebenfalls "Wir sind das Volk" riefen. Angefangen hat Pegida mit ein paar hundert, mittlerweile kommen 17.500 Bürger. Sie jubeln dem Initiator Lutz Bachmann zu, dessen Bewegung die etablierte Politik vor allem mit einem begegnet: Ratlosigkeit.

Der Inhaber einer Fotoagentur ist wegen 16-fachem Einbruch vorbestraft. Politisch macht er sich nicht die Finger schmutzig. Der 41-Jährige inszeniert den Abend - der Kulisse entsprechend - wie ein Bühnenstück. Erster Akt: Die unterdrückten Deutschen müssen wieder Herr im eigenen Haus werden. Plumpe Ausländerfeindlichkeit kommt Bachmann nicht über die Lippen, er lässt andere für sich sprechen. Darunter Kanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich: "Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert", zitiert er genüsslich eine Rede aus dem Jahr 2010. Dass der Ausländeranteil in Sachsen bei 2,2 Prozent liegt, spielt keine Rolle.

Bachmanns Seitenhiebe tun den Konservativen weh, schließlich ist Sachsen CDU-Erbpacht. Seit den ersten freien Wahlen vor 24 Jahren stellt sie den Ministerpräsidenten. Der nunmehrige "Landesvater" Stanislaw Tillich will die politischen Vorhaben und Leistungen besser kommunizieren, Schwächung von Pegida durch mehr Dialog ist sein Motto. Doch Dialog mit wem und worüber bei der Vielfalt an Kritik - von der zu weichen Asylpolitik bis zur geplanten deutschen Pkw-Maut, von einer Zurückdrängung des Islam bis zum Ende der Russland-Sanktionen.

Genügsame Dresdner, erfolgshungrige Ausländer

"Es gibt genug Deutsche ohne Wohnung, aber wir beherbergen Asylanten in Fünf-Sterne-Hotels", klagt etwa ein Mann. Er sei gegen die Aufnahme von "Wirtschaftsflüchtlingen, die vorher 5000 Euro an Schlepper zahlen. Wer so viel Geld hat, dem kann es nicht so schlecht gehen", sagt der Pensionist, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Nur wenige Pegida-Anhänger wollen sich gegenüber Journalisten äußern, und der zweithäufigste Sprechchor an jenem Abend ist ein rhythmisches "Lügenpresse". "Suchen Sie sich einen anderen Dummen", herrscht beispielsweise eine Frau um die 50 die "Wiener Zeitung" an.

Schweigen herrscht auch bei der CDU und der Alternative für Deutschland vor Ort, sie beantworten Anfragen zu Pegida nicht. Peter Lames hat hingegen eine genaue Vorstellung, was die Demonstranten bewegt: "Pegida ist die Sehnsucht nach der vermeintlich guten, alten DDR. Alle waren gleich, lebten in kleinen Verhältnissen und die Welt war geregelt. Die Bürger hatten ihre Ruhe, heute müssen sie sich mit Themen wie Kampfeinsätzen der Bundeswehr befassen." Lames ist Fraktionsvorsitzender der Dresdner SPD im Stadtrat, hauptberuflich arbeitet der 50-Jährige als Richter am hiesigen Oberlandesgericht. Der Jurist, graumeliertes Haar, Nickelbrille, ist in Westdeutschland geboren. Seit 20 Jahren ist die Stadt an der Elbe sein Lebensmittelpunkt.

Nur in Dresden reüssiert Pegida, Ableger wie Bogida in Bonn konnten bloß einige hundert Demonstranten gewinnen. "Der Dresdner ist selbstgenügsam", meint Lames in ruhigem, aber bestimmtem Ton. "Deswegen sind ihm die Ausländer suspekt. Sie sind nicht genügsam, und sie haben Erfolg." Erfolgshungrige Ausländer trifft man hier zum Beispiel an der renommierten Technischen Universität.

Das Publikum bei der Pegida-Kundgebung auf dem Theaterplatz ist bunt gemischt, von Anfang 20 bis ins hohe Alter, jedoch kommen weit mehr Männer als Frauen. Akt zwei der Inszenierung steuert ein Niederländer bei. Sein Part: Die EU verhöhnen und die Gefahr radikaler Muslime überbetonen. "Wo ist Europa, das uns immer alles vorschreibt? Die Union will, dass ein Staubsauger nicht mehr als 1600 Watt Leistung haben darf. Gibt sie dann auch Regeln aus, wer als Islamist gilt? Jemand, dessen Bart zwischen 19 und 21 Zentimeter lang ist?" Muslime stellen in Sachsen 0,1 Prozent der Bevölkerung, die Zahl der Islamisten ist verschwindend gering. Diese Statistik entkräften Bachmann & Co. mit dem Verweis auf Berlin mit seinen "bis zu 50.000 Islamisten".

Norwegens Fahneals Nazi-Code

Offen rechtsradikale oder gar neonazistische Symbole stellt niemand zur Schau. Aus dem Meer an Deutschland-Flaggen stechen gleich mehrere norwegische Fahnen heraus. Darauf angesprochen, erklärt einer der Fahnenträger zur "Wiener Zeitung": "Wieso Norwegen? Das ist Schwarz-Weiß-Rot, die Flagge des Widerstands." Im Dunklen sieht das Blau der norwegischen Fahne wie Schwarz aus, und aus dem skandinavischen Land werden die Reichsfarben des nationalsozialistischen Regimes.

Pegida bleibt aber auch in Dresden nicht unwidersprochen. Ebenfalls am Montagabend versammelten sich 4500 Gegendemonstranten. Das Publikum am Bahnhof Neustadt, einer Gegend mit vielen Altbauten, alternativen Bars und Cafés, ist durchwegs jung. "Refugees welcome" heißt das Motto der Veranstalter, der Gruppe "Dresden Nazifrei". "Welcher Pegida-Sympathisant nach zehn Wochen nicht verstanden hat, dass Pegida eine rassistische Ideologie verbreitet, muss sich den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen", ruft deren Sprecher.

Bei Pegida wird der Ton von Akt zu Akt schärfer, aufgelockert nur durch drei Weihnachtslieder, die die Demonstranten gemeinsam singen. Er gipfelt in der Rede von Stephane Simon. Der Franzose bezeichnet Präsident Joachim Gauck als "Pfaffen", Merkel als "Tochter eines Pfaffen" und den früheren stellvertretenden sächsischen Ministerpräsidenten Christoph Matschie (SPD) als "Pfaffensohn, dessen Name Bezeichnung für seine Gehirnmasse ist". Eine linke Landtagsabgeordnete nennt der Redner wörtlich "Fotze". "Zugabe, Zugabe!", fordern die amüsierten Zuhörer. Inhaltlich fällt Simon die Aufgabe zu, Europa als Vasall von USA und Nato zu brandmarken.

"Dresden ist keine Nazistadt", merkt hingegen eine 18-Jährige in der Neustadt energisch an. Es gebe kaum Ausländer, daher auch wenig Möglichkeiten zur Begegnung und um die Stereotypen abzubauen, bedauert die Politikwissenschafts-Studentin. Sie glaubt, durch die jahrelangen Demonstrationen von Neonazis gegen die Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg bestehen Netzwerke, die für Pegida aktiviert würden. Eine 41-Jährige fürchtet, dass sich die Lage noch verschlimmern könnte. Im sächsischen Hoyerswerda beteiligten sich 1991 Hunderte an Ausschreitungen gegen ausländische Händler und Arbeiter sowie gegen Flüchtlinge. Die Ärztin will nicht ausschließen, dass sich die Geschichte wiederholt.

Drohungen ist Eric Hattke bereits jetzt ausgesetzt. Der 23-Jährige ist Sprecher von "Dresden für alle", eines überparteilichen Bündnisses gegen Pegida. "Besonders gerne möchte man mich an Laternen aufhängen", schildert der Student aus Mails und Facebook-Einträgen. Über seine Biografie möchte er nicht viel erzählen, um seine Familie zu schützen. "Sie arbeitet hart, kommt aber trotzdem nicht gut über die Runden. Deswegen sehe ich das Problem von Pegida breiter. Die Leute sind mit der Politik unzufrieden, man denke nur an Altersarmut, Arbeitslosigkeit und Steuerverschwendung." Das sind Themen, die auch Pegida-Anhänger bewegen. Eric Hattke wählte einen anderen Weg, sie zu lösen.