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Wutbürger, die Dritte

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Politik

Deutsche Traditionsparteien sind hilflos im Umgang mit neuen Protestformen.


Berlin. Es ist noch nicht einmal zwei Jahre her, seit der Göttinger Parteienforscher Franz Walter die erste umfassende Studie zu den damals noch in Anführungszeichen gesetzten Wutbürgern vorlegte. Grauhaarig, gut gebildet und bestens versorgt seien sie.

Walter hatte damals vor allem Teilnehmer von Protesten gegen Mega-Bauprojekte wie Stuttgart 21, die Hamburger Elbphilharmonie oder den Berliner Flughafen vor Augen. Unterdessen haben es die Wutbürger nicht nur in den regulären deutschen Wortschatz geschafft, sondern mindestens zweimal das Erscheinungsbild gewechselt.

Wähler der Alternative für Deutschland (AfD), die sich heuer im Europaparlament und den Volksvertretungen dreier ostdeutscher Bundesländer etabliert hat, wurden gerne, solange die Partei noch außen vor war, als "neue Wutbürger" bezeichnet. Ende Oktober formierten sich in Dresden die ersten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", kurz Pegida, die gegen "Islamisten" und "Wirtschaftsflüchtlinge" auftreten. Weit mehr als 10.000 Menschen strömen regelmäßig zu den Demonstrationen in der sächsischen Metropole und längst hat die Bewegung der "unaufgeklärten und unaufklärbaren Wutbürger", wie die linksliberale Wochenzeitung "der freitag" die "Pegida"-Anhänger nennt, auch westdeutsche Großstädte wie Düsseldorf oder Würzburg erreicht.

Antworten gesucht

Die Repliken der Vertreter der Traditionsparteien auf die Wutbürger variieren je nach programmatischem Hintergrund in der Wortwahl. Einen gemeinsamen Nenner gibt es allerdings: Hilflosigkeit im Umgang mit den neuartigen Protesten, die nach Verstreichen einer gewissen Schamfrist zumindest bei den Bauprojekten und der AfD in mehr oder weniger geschickte Annäherungsversuche umschlug. Inzwischen gehört es fast zum guten Ton, etwa die Gegner des Berliner Flughafens als Wegbereiter einer innovativen Zivilgesellschaft zu loben. Bundeskanzlerin Angela Merkel zog bei der Europawahl gegen "Sozialtouristen" ins Feld - eigentlich ein Wahlkampfschlager der AfD - und versuchte so in Richtung der Rechtspopulisten abzudichten, während ein Großteil ihrer konservativen Parteifreunde die AfD noch als "schlichtweg" gefährlich abtat.

Nach der Wahl Bodo Ramelows zum ersten von der Partei "Die Linke" gestellten Ministerpräsidenten Deutschlands wurde bekannt, dass Ramelows CDU-Amtsvorgängerin Christine Lieberknecht versucht hatte, mit der Unterstützung der AfD an der Macht zu bleiben. Die AfD ist damit für die Zukunft hoffähig und hält nun ihrerseits in Sachsen den Pegida-Leuten die Stange. "Viel Sympathie" hat dort AfD-Frontfrau Frauke Petry für die Demonstranten. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) wirkt demgegenüber fast blass, wenn er Pegida-Gegendemonstranten seiner Unterstützung versichert.

Neuausrichtung gegen Rechts

Systematische Verbindungen der Pegida zur Neonaziszene sind bis heute keine bekannt. Ihre Anhänger verwahren sich stets energisch gegen den Vorwurf, rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten. Allerdings fordert die Bewegung die traditionellen Parteien zu einer Zeit heraus, in der die obersten Verfassungsschützer über eine durchgreifende Neuausrichtung im Kampf gegen Rechts nachdenken. Vor kurzem berieten die Innenminister aller 16 deutschen Bundesländer in Stralsund über Konsequenzen aus den unzähligen Ermittlungspannen im Zusammenhang mit der Enttarnung des Ende 2011 aufgeflogenen Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Thüringens Neo-Ministerpräsident Ramelow, dessen Partei seit 2007 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird, will wegen des NSU-Debakels den Landesverfassungsschutz umbauen. So soll sich dieser keiner Konfidenten mehr bedienen dürfen. Im Falle des NSU hatten diese die Ermittler über Jahre häufig auf falsche Fährten gelockt und so die Rechtsterroristen geschützt. Es gelte, ein deutliches Zeichen gegen "den braunen Terror der NSU zu setzen, der von Thüringen ausgegangen ist", begründet der Sozialist seinen Vorstoß.

Taktisches Manöver?

Die CDU-regierten Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt wollen nun die Zusammenarbeit mit Thüringen einstellen. Sie wittern ein taktisches Manöver Ramelows, durch das die Beobachtung der Linken durch die Verfassungsschützer deutlich erschwert werden soll. Dabei hatte Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier erst kürzlich angekündigt, als Konsequenz aus den Erfahrungen mit dem NSU müsse gerade die Kommunikation zwischen einzelnen Ermittlungsbehörden verbessert werden.

Auf Ramelow wird gleich aus mehreren Rohren geschossen. Das Amtsgericht Dresden will seine Immunität aufheben lassen, weil er am 13. Februar 2010 in der sächsischen Hauptstadt einen behördlich genehmigten Aufmarsch der rechten Jungen Landsmannschaft blockiert haben soll, die am 65. Jahrestag der Bombardierung Dresdens in Erscheinung treten wollte. Ramelow, dessen Immunität wegen der Vorfälle schon einmal aufgehoben wurde, bestreitet die Vorwürfe.