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Kathrin - allein zu Haus

Von Alexander Dworzak

Politik

Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel muss ohne Mentor Lutz Bachmann weitermachen.


Dresden/Wien. Schneller als von ihm selbst gewollt ist Lutz Bachmanns Wunsch in Erfüllung gegangen. Jedoch unfreiwillig. Er möchte statt der allwöchentlichen Demonstrationen wieder "auf der Couch sitzen und den Abend genießen", sagte er noch als Vorsitzender des Pegida-Vereins. Mit seinen Facebook-Tiraden über Asylbewerber als "Viehzeug", "Gelumpe" und "Dreckspack" ist der Betreiber einer Fotoagentur selbst für die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" nicht mehr tragbar. Ausgerechnet seine Vertraute Kathrin Oertel musste ihn via Pressemitteilung vor die Tür setzen.

Die 36-Jährige zählte seit Beginn der Demonstrationen im Oktober vergangenen Jahres zum engsten Kreis von Pegida. Wenig ist bisher über Oertel bekannt. Der "Bild" sagte sie, sie sei Wirtschaftsberaterin und dreifache Mutter. Auf Facebook gefallen ihr unter anderem die Seiten "Gegen Asylmissbrauch" und "Nato-Austritt". Wie Lutz Bachmann ging Oertel im sächsischen Coswig, einer 20.000-Einwohner-Stadt nordwestlich von Dresden, zur Schule.

TV-Auftritt parodiert

Je mehr über Lutz Bachmanns unrühmliche Vergangenheit samt Körperverletzung, Einbruch und Diebstahl öffentlich wurde, desto präsenter wurde seine Vertraute. Höhepunkt dieser Strategie war der Auftritt von Pegida bei Deutschlands wichtigster Talkshow, "Günther Jauch", vergangenen Sonntag. Nicht Bachmann nahm im Studio Platz, sondern Kathrin Oertel. Heraus kam ein mäßiger Auftritt, bei dem sie monierte: "Es gibt Themen, die in den letzten Jahren tabu waren. Man durfte weder das Wort Asyl in den Mund nehmen noch über Migranten sprechen." Ein Mitdiskutant entgegnete sofort, dass Thilo Sarrazins umstrittenes Werk "Deutschland schafft sich ab" genau davon handle - und zu den meistverkauften Büchern der vergangenen Jahre zähle. Von Denkverboten, wie Pegida suggeriert, kann also keine Rede sein. Neben dem politischen Schaden zog sich Oertel auch den Spott in den sozialen Medien zu. Die Moderatorin Toyah Diebel machte sich über Oertels streng nach hinten gekämmte Haare ebenso lustig wie die schmalen, aufgemalten Augenbrauen und gab Stylingtipps für ein "echtes Pegida-Girl".

Die inhaltlich nicht sattelfeste Oertel ist ein leichtes Ziel, weitere Fehltritte drohen. Auch wenn die Bewegung betont, "aus der Mitte der Gesellschaft" zu sein: Pegida wäre ohne den Netzwerker Lutz Bachmann nie so groß geworden. Sollte er neben seinem offiziellen Rückzug auch im Hintergrund die Zügel aus der Hand geben, droht Pegida auf die Bastion Dresden zu schrumpfen und etwas später in die völlige Bedeutungslosigkeit zu versinken. Offen ist dabei, inwieweit das Stammpublikum Pegida die ausländerfeindlichen Töne Bachmanns ebenso verzeiht wie ihm seine früheren Straftaten.

Mal Freund, dann Feind

Geschwächt ist die Dresdner "Mutter" gegenüber ihren Nachahmern nun allemal. Schon bisher konnte Pegida außerhalb Sachsens kaum Fuß fassen, auch beim Leipziger Ableger Legida waren Mittwochabend deutlich weniger Befürworter als erwartet vor Ort. Zudem befindet sich Pegida auf Schlingerkurs, wen sie außerhalb Dresdens unterstützt. Aufgrund von Drohungen gegen Pegida wurden alle Kundgebungen in Dresden diese Woche abgesagt. Bachmann und Oertel riefen erst dazu auf, die Leipziger Demo zu besuchen. Mittlerweile aber droht Pegida ihrem Nachahmer Legida mit einer Unterlassungsklage, da der Forderungskatalog von Pegida Dresden nicht übernommen wurde, und warnt vor dem Abgleiten Legidas ins rechtsextreme Spektrum. Und in Westdeutschland verirren sich nur wenige hundert Demonstranten zu Pegida-ähnlichen Kundgebungen.

Von der Schwäche Pegidas profitiert die sächsische Landespartei der Euro-feindlichen Alternative für Deutschland (AfD). Ihre Vorsitzende Frauke Petry traf sich in der Vergangenheit mit den Pegida-Organisatoren - im Gegensatz zu den Spitzenvertretern aller anderen Parteien. Auch wenn Pegida stets betonte, keine Partei werden zu wollen, teile sie mit der AfD die "Wutbürger" in den eigenen Reihen, stand also in Konkurrenz um die Vertretung dieser Wählergruppe. Endet Pegida, empfängt die AfD die dort versammelten "Wutbürger" mit offenen Armen - und exklusiv.