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Schreckgespenst Syriza

Von Klaus Huhold und Alexander Dworzak

Politik

Griechenland steht vor einer Wende nach links: Die wichtigsten Fragen zur Wahl am Sonntag.


Athen. Für die einen sind sie Griechenlands Retter, für die anderen Europas Schreckgespenst: Die linke Syriza-Partei von Alexis Tsipras steht in Griechenland bei der Wahl am Sonntag vor einem Sieg. Sämtliche Umfragen sehen Syriza mit einem Stimmanteil von 33 bis 38 Prozent klar vor der konservativen Nea Dimokratika (ND) von Premier Antonis Samaras, der 28 bis 34 Prozent vorausgesagt werden. Zudem wächst laut Demoskopen der Vorsprung von Syriza, je näher die Wahl rückt. Der Urnengang in Griechenland wirft damit einige Fragen auf - für Griechenland selbst und für Europa . . .

1) Wie weit links steht die Sammelpartei Syriza?
Der ausgestreckte Arm samt geballter Faust von Parteichef Alexis Tsipras und die roten Flaggen bei Veranstaltungen von Syriza sind mehr als nur Kolorit. Bis 2012, als Syriza nur ein Wahlbündnis war, hieß man "Koalition der Radikalen Linken", mittlerweile lautet der Name "Vereinte Soziale Front". Anhand beider Namen zeigt sich sowohl der harte Kern der Bewegung als auch dessen Aufweichen in den vergangenen Jahren. Viel mehr als eine Partei klassischen Zuschnitts ist Syriza eine heterogene Bewegung; Trotzkisten, Eurokommunisten, Marxisten, sozialistische Abweichler und auch außerparlamentarische Aktivisten sammeln sich unter der Führung von Tsipras. Der Meinungsbildungsprozess unter den einzelnen Gruppen, intern "Komponenten" genannt, ist mitunter dementsprechend schwer. Umso wichtiger ist die Rolle des 40-jährigen Vorsitzenden. Tsipras’ Charisma verdeckt parteiinterne Flügelkämpfe, zum Beispiel jenen mit Panagiotis Lafazanis. Der Athener Parlamentsabgeordnete ist Chef der "Linken Plattform", der rund 60 von 200 Personen im Syriza-Zentralkomitee zuzurechnen sind. Lafazanis ist Gegner der europäischen Gemeinschaftswährung und befürwortet die Wiedereinführung der Drachme.

2) Woher rührt die Popularität Syrizas?
Auch nach drei Jahren Sparpolitik sehen viele Griechen weder Licht, noch ein Ende des dunklen Wirtschaftstunnels. Weiterhin hat mehr als die Hälfte der Unter-25-Jährigen keinen Job, die sozialen Folgen der Misere sind verheerend. Eine sozialdemokratische Partei, die diese Probleme glaubwürdig anspricht, gibt es nicht (mehr). Die Pasok hat mit ihrer Klientelpolitik entscheidend zum Absturz Griechenlands beigetragen. Sie ist derzeit Juniorpartner in der Regierung, vertritt also den Sparkurs der konservativen Nea Dimokratia mit - wenn auch nur zähneknirschend. In dieses Vakuum stieß Syriza, Pasok wurde und wird an den Urnen abgestraft: 2009 erreichte sie unter Georgios Papandreou noch 44 Prozent der Stimmen, Umfragen zufolge werden es dieses Mal nur 4 bis 7 Prozent sein. Umgekehrt kam Syriza 2009 nur auf 4,6 Prozent. Anstatt gegenzusteuern, zerfleischen sich die Pasok-Granden weiter: So gründete Papandreou eine eigene - chancenlose - Liste namens Kinima.

3) Welche Koalitionspartner hätte Syriza?
Zunächst ist fraglich, ob Syriza überhaupt einen Koalitionspartner braucht. Denn eine Besonderheit im griechischen Wahlrecht sieht vor, dass die stimmenstärkste Partei einen Bonus von 50 Mandaten erhält. Durch diese Regelung könnte Syriza gar die absolute Mehrheit von 151 Sitzen im 300-köpfigen Athener Parlament schaffen. Das könnte sich schon bei rund 36 Prozent der Stimmen ausgehen. Die meisten Umfragen sehen Syriza aber an der Hürde vorbeischrammen.

Koalitionsverhandlungen werden sich wiederum sehr schwierig gestalten. Rund acht der 22 Parteien werden Chancen eingeräumt, die Drei-Prozent-Hürde zu überspringen, aber nur wenige kommen für Syriza als Koalitionspartner in Frage. Die radikalen Kommunisten sind selbst Syriza zu radikal, und eine Kooperation mit der faschistischen Goldenen Morgenröte schließt sich von selbst aus. Die konservative ND von Premier Samaras verkörpert für Syriza den verhassten Sparkurs. Der wurde zwar auch vom zweiten Regierungskoalitionär, der Pasok, mitgetragen, doch die Sozialdemokraten stehen Syriza weltanschaulich näher. Pasok schließt eine Zusammenarbeit mit Syriza auch nicht aus, will jedoch am eingeschlagenen Reformkurs festhalten. Bleiben noch die zwei neu gegründeten Mitte-Links-Parteien: Kinima von Giorgos Papandreou und To Patami ("Der Fluss"). Kinima droht den Einzug ins Parlament zu verpassen, und To Patami hat auch ein gemäßigteres Programm als Syriza. Tsipras wird also Kompromisse eingehen müssen.

4) Was fordert Syriza von Europa?
Eine Kernforderung von Syriza lautet, dass Griechenland nicht mehr ein derart rigider Sparkurs abverlangt wird. Dies richtet sich vor allem an die Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission, die die griechischen Reformen überwacht. Zudem fordert Tsipras vehement einen Schuldenschnitt für sein Land. Die Staatsverschuldung Griechenlands beträgt 320 Milliarden Euro, das sind 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Mehrheit der Kredite stammt von Euro-Mitgliedstaaten.

5) Welchen Spielraum haben Syrizas Forderungen?
Ein Schuldenschnitt bringt insbesondere die Gläubigerstaaten in die Zwickmühle: Haben sie doch ihren Steuerzahlern immer versprochen, dass die Hilfen für Griechenland nur geliehen sind und die Gelder wieder verzinst zurückgezahlt werden. Allerdings: Beim Schuldenschnitt könnte die Macht des Faktischen zuschlagen. Viele Ökonomen gehen davon aus, dass Athen seine Schulden auf Dauer nicht tragen kann.

Syriza will aber nicht nur den Schuldenschnitt, sondern auch 11,6 Milliarden Euro für Sozialprogramme ausgeben, darunter für subventionierte Strompreise und Bonuszahlungen für Pensionisten, die weniger als 700 Euro pro Monat erhalten. Finanziert werden soll das durch bessere Steuereintreibung und eine höhere Besteuerung der Superreichen. Daran scheiterte noch jede Regierung zuvor.

6) Endet die EU-Sparpolitik mit einem Syriza-Sieg?
Wiewohl die EU-Kommission mit Jean-Claude Juncker weiter von einem Konservativen geführt wird, setzt sie mehr auf Investitionsprogramme als ihre Vorgängerin, etwa durch ein 315-Milliarden-Euro-Maßnahmenpaket. Das ist auch ein Eingeständnis, dass Sparen alleine die Unionsstaaten nicht aus der Krise bringt.

Der Austeritätskurs - getragen von Deutschland, den Niederlanden und Finnland - gerät mit Syriza alleine kaum unter Druck. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ließ bereits ausrichten, dass die EU-Länder "Grexit", das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, verkraften würden. Strahlt das Modell Syriza auf andere Länder aus, wie auf Spanien mit der Bewegung "Podemos", haben die Verfechter des Sparkurses aber ein ernstes Problem.