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Feilen an der nächsten Union

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Die EU-Kommission will Europa zu einer Energie-Gemeinschaft machen - und so die Abhängigkeit von Russland reduzieren.


Brüssel. Öl und Gas aus Algerien oder Aserbaidschan statt aus Russland: In ihren Versuchen, sich von russischen Energielieferungen unabhängiger zu machen, setzt die EU auf andere Kooperationen. Daher sollen Partnerschaften mit produzierenden und Transitländern in Afrika, Asien oder im Mittleren Osten geschlossen werden. Das ist einer der Bausteine bei der Errichtung einer Energieunion, die die EU-Kommission als einen ihrer Schwerpunkte ansieht. Ihre Vorstellungen dazu präsentiert die Brüsseler Behörde am heutigen Mittwoch.

Die Bemühungen um eine sogenannte Diversifizierung, eine größere Bandbreite bei der Energieversorgung sind nicht neu. Doch der Streit mit dem Kreml rund um den Konflikt in der Ukraine zeigte die Schwächen der europäischen Energiepolitik noch deutlicher auf. Immerhin muss die Union etwas mehr als die Hälfte ihres Energiebedarfs importieren, und einige Mitglieder beziehen ihre Gasimporte zur Gänze aus Russland, was sie in Krisenzeiten verwundbar macht. Daher müsste diese Abhängigkeit verringert werden.

Wie zur Bestätigung dieser Notwendigkeit kam eine neuerliche Drohung des russischen Gazprom-Konzerns. Das Unternehmen warnte am Dienstag davor, dass es seine Lieferungen an die Ukraine in den kommenden Tagen einstellen würde, sollte Kiew nicht seine Rechnungen bezahlen. Das brächte "Risiken für den Gastransit in Richtung Europa".

Die EU-Kommission versicherte zwar, dass die Ströme "normal" verliefen. Doch sieht sie die Verbesserung der Sicherheit bei den Lieferungen nicht zufällig als einen der wichtigsten Punkte der künftigen Energieunion an. Diese beschränkt sich aber keineswegs darauf. Investitionen in die Infrastruktur, stärkere Zusammenarbeit der Länder und Regionen, günstigere Preise für Konsumenten sind ebenfalls angestrebt. Die "Vision" der Behörde ist laut einem Entwurf ein EU-weites System, "in dem Energie frei über Grenzen fließt, auf der Basis von Wettbewerb und der bestmöglichen Nutzung der Ressourcen und mit einer effizienten Regulierung der Märkte auf EU-Ebene, wo dies nötig ist".

Das könnte allerdings Widerspruch in den Mitgliedstaaten auslösen. Denn wie diese ihren Energiemix gestalten, liegt bisher in ihrem Zuständigkeitsbereich. Was beispielsweise dazu führt, dass manche Länder auf Atomkraft setzen oder Pläne zur Förderung von Schiefergas hegen, was woanders strikt abgelehnt wird. Und so wie sich Regierungen dabei keine Einflussnahme von außen wünschen, möchten sie auch keine beim Abschluss von Verträgen. Das Gegenteil aber wird in dem Kommissionsentwurf vorgeschlagen.

Verhandlungen über Gasverträge unter EU-Aufsicht?

Die Abkommen, die mit Drittstaaten getroffen werden, sollten den Anforderungen der EU entsprechen, findet die Behörde. Bisher wurden Verträge erst im Nachhinein darauf geprüft; künftig jedoch solle die Kommission schon bei den Verhandlungen darüber eingebunden sein. Das sollte nicht nur für Verständigungen zwischen Regierungen, sondern auch zwischen Unternehmen gelten.

Was in den Hauptstädten für Unmut sorgen könnte, stößt in Teilen des EU-Parlaments auf Sympathie. Die Liberalen begrüßten diese Idee und forderten die Kommission auf, sogar einen Schritt weiter zu gehen. Bei den Verhandlungen, die sich nicht zuletzt um Preise oder die Bereitstellung von Infrastruktur drehen, sollte die Behörde nicht nur anwesend sein, sondern die Leitung übernehmen, erklärte Fraktionsvorsitzender Guy Verhofstadt bei einer Pressekonferenz. Als Modell dafür nannte er Handelsgespräche, die die Kommission im Namen aller EU-Mitglieder führt.

Überhaupt plädieren die Liberalen für eine straffere Führung der Energieunion. Als Beispiel nennen sie das europäische Semester, das den EU-Institutionen dazu dient, die Länder zur Einhaltung der Regeln für mehr Haushaltsdisziplin zu bringen. "Wir brauchen eine starke europäische Struktur", sagte Verhofstadt: "Kooperation unter den Ländern ist gut - aber eben nicht genug."

Andere Schwerpunkte setzen da die Grünen im EU-Abgeordnetenhaus. Innovation und Klimaschutz seien voranzubringen: "Die Zukunft gehört der Energieeffizienz und den Erneuerbaren", betont Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms. Das aber stehe nicht im Mittelpunkt der Strategie der Kommission. Diese wolle "stattdessen die Abhängigkeit von Russland durch Pipelines in andere nicht-demokratische Staaten, durch Schiefergas und durch teure Förderung der Atomkraft überwinden", kritisiert die Politikerin.

Zumindest im letzten Punkt könnten die österreichischen EU-Mandatare wohl fraktionsübergreifend zustimmen. Der SPÖ-Abgeordnete Eugen Freund hat ebenfalls schon das Fehlen einer "klaren Absage an die Atomenergie" getadelt.