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Von Sparen ist nicht die Rede

Von Michael Schmölzer

Politik

Hilfsprogramm für Athen wird verlängert, es fließen weitere Milliarden - auch ohne konkrete ausgabenseitige Einsparungsvorschläge.


Brüssel/Athen. Das Reformpapier aus Athen ist eingelangt - und es hat die internationalen Geldgeber in Brüssel überzeugt: Es werden weitere Milliarden nach Griechenland fließen. Nach einer relativ kurzen Telefonkonferenz segneten die Finanzminister der Eurogruppe die griechischen Vorschläge ab, das Hilfsprogramm wird um weitere vier Monate verlängert. Ein wochenlanger, nervenaufreibender Poker zwischen Athen und der Eurogruppe hat damit vorläufig sein Ende gefunden. Die Streitparteien waren zum Erfolg verdammt, weil ein "Grexit", also das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, von vorneherein kategorisch ausgeschlossen war.

Griechenland ist damit aber noch lange nicht über den Berg. Wirtschaftsforscher rechnen damit, dass ein weiteres Hilfspaket nötig sein wird. Konkret geht es um eine Finanzierungslücke, die auf 30 bis 40 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre geschätzt wird.

Dass es nach einer Voreinigung am Freitag jetzt zum Durchbruch gekommen ist, ist nicht zuletzt der EU-Kommission zu verdanken. Die Brüsseler Behörde ist den Griechen weit mehr entgegengekommen als Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Die Reformvorschläge aus Athen, die - entgegen anderslautenden Meldungen Montagnacht doch noch fristgereicht eingelangt sind - wurden von Brüssel als "umfassend genug" und "ermutigend" begrüßt. Auch der Internationale Währungsfonds, IWF, hält die Liste für "ausreichend". Hier wird allerdings kritisiert, dass nur wenige konkrete Vorschläge enthalten seien. Das wird aber damit entschuldigt, dass die Regierung erst seit kurzem im Amt sei.

Hoffen auf Einzelheiten

Das wirklich Interessante an dem Schreiben aus Athen ist, dass von konkreten ausgabenseitigen Sparmaßnahmen kaum die Rede ist. Das ist aus Sicht der Griechen wohl ein großer Erfolg. Was die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Korruption angeht, sei das Vorhaben der Regierung immerhin ermutigend, meint der IWF. Man hoffe, demnächst nähere Einzelheiten zu erfahren.

Griechenland hat in dem übermittelten Brief ein sechsseitiges Programm mit 64 Einzelpunkten präsentiert. Es geht um Reformen der Steuerverwaltung und des Pensionssystems, bereits vollzogene Privatisierungen will man nicht rückabwickeln. Man werde eine "moderne öffentliche Verwaltung" sicherstellen, heißt es in den Vorschlägen, der Kampf gegen die Korruption werde in den Rang einer "nationalen Priorität" erhoben. Außerdem soll verstärkt gegen Schmuggler vorgegangen werden.

Konkrete Vorschläge gibt es nur zum Abbau der Bürokratie, der Spareffekt hier ist aber als sehr gering anzusetzen. Was zählt, ist die Symbolik. Die Anzahl der Ministerien soll von 16 auf zehn verringert werden. Zugleich will die Regierung die Anzahl der "Sonderberater" im Staatsapparat reduzieren. Griechenland verpflichtet sich dazu, in Absprache mit der nun "Institutionen" genannten ehemaligen Troika, rasch Gesetze auf den Weg zu bringen, die Rückzahlungen bei Steuerschulden und ausstehenden Sozialversicherungsbeiträgen ermöglichen sollen. Das Insolvenzrecht soll modernisiert und aufgeschobene Fälle abgearbeitet, Anreize zur Frühpensionierung sollen gestrichen werden.

Zugleich bleibt die Regierung ihren Wahlversprechen treu: Gegen die soziale Not im Land soll verstärkt vorgegangen werden, so soll es Essensmarken für Bedürftige geben. Die Kosten, die bei der Bekämpfung der "humanitären Krise" in Griechenland anfallen, sollen sich nicht negativ auf den Gesamthaushalt Griechenlands auswirken.

Jetzt sind in einigen Ländern noch Abstimmungen im Parlament über eine Verlängerung der Griechenland-Hilfen vorgesehen. In Deutschland muss beispielsweise der Bundestag zustimmen, wahrscheinlich ist das bereits am Freitag der Fall. Noch vor der eigentlichen Einigung hat Finanzminister Wolfgang Schäuble den Weg für die Befragung des Bundestages freigemacht. Es ist fix von einer Mehrheit für die Fortsetzung des Reformprogramms auszugehen, auch wenn vor allem aus den Reihen der CSU Kritik kommt. In Finnland, Estland und den Niederlanden wird ebenfalls im Parlament abgestimmt.

Fiskalpakt ist ein "Käfig"

In den Reihen des wissenschaftlichen Sachverstands sieht man die Einigung zwischen Griechenland und der Eurogruppe durchaus positiv. Der österreichische Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister etwa spricht gegenüber der "Wiener Zeitung" davon, dass den Griechen ein Gesichtsverlust erspart geblieben sei. Athen könne nun im kleinen Rahmen selbst gestalten. "In dem neuen Programm ist überhaupt keine Sparmaßnahme oder nahezu keine vorgesehen", meint Schulmeister. Das sei eher ein Erfolg für Athen: "Die Eurogruppe hat das geschluckt." In der Substanz habe sich aber der Rest der Eurogruppe durchgesetzt - was angesichts der Machtverteilung auch zu erwarten gewesen sei. Immerhin habe das erste Mal eine Bevölkerung klar gesagt, dass man die Sparpolitik nicht mehr wolle. Es sei gut möglich, dass ein ähnliches Signal auch aus Spanien kommen werde. Es könnte eine "langsame Wende" eingeleitet worden sein. Der IWF habe seine Haltung zur Sparpolitik schon vor zwei Jahren "einer sehr gründlichen Kritik" unterzogen, so Schulmeister. Die Schätzungen der Wachstumsverluste durch Sparpolitik seien zu niedrig angesetzt worden. Ein 310-Milliarden-Investitionspaket sei der verzweifelte Versuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, "den eigenen Fiskalpakt auszutricksen". Dieser wäre ein Käfig, in dem die europäischen Regierungen säßen: "Den Schlüssel haben sie hinausgeworfen". Denn es handle sich dabei um eine Art völkerrechtlichen Vertrag, der schwer zu ändern sei. Europa befinde sich in einer "Phase der Verwirrung", es sei ausgeschlossen, dass alles beim Alten bleibe, so Schulmeister. Das Alte funktioniere nicht, das Neue sei noch nicht gefunden. Doch der Glaube, dass Sparpolitik die Staatsfinanzen sanieren könne, sei passé.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beurteilt das Reformpaket ebenfalls positiv: DIW-Präsident Marcel Fratzscher, bezeichnet den Kompromiss als "weise und zielführend". Die Korruption zu bekämpfen, Steuereinnahmen zu erhöhen und die Bürokratie zu verbessern, seien die richtigen Prioritäten. Auch eine Erhöhung der Ausgaben zur Armutsbekämpfung schwächten nicht die Reformen, sondern erhöhten ihre Legitimität und Erfolgschancen.