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Ukip strebt über Silbermedaillen nach Gold

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Die Unabhängigkeitspartei dürfte nach den Wahlen zwar kaum Abgeordnete stellen, will sich aber als offizielle Opposition nach oben arbeiten.


London. Für Steven Woolfe besteht kein Zweifel daran, dass die Londoner in 15 Jahren das Schlimmste befürchten müssen - nämlich "überfüllte Krankenhäuser, ein Verkehrssystem, das schlicht überfordert ist, und immer tiefere Risse im sozialen Gewebe". Neuen Forschungsberichten zufolge schwillt die britische Metropole nämlich rekordschnell an. Ums Jahr 2030 herum dürften in der Themsestadt schon mehr als zehn Millionen Menschen leben. Das wären 18 Prozent mehr, als es heute in London gibt.

Nicht hohe Geburtenrate oder Übersiedelung aus der Provinz aber wird offenbar diesen Bevölkerungsschub auslösen. Sondern Zuwanderung von außen, von Bürgern anderer Nationalität. Nach 2030, hat die Londoner "Times" ermittelt, dürfte schon mehr als die Hälfte der Bewohner der britischen Hauptstadt nicht mehr britischer Geburt sein. Das fände Woolfe, Sprecher der Unabhängigkeitspartei Ukip für Einwanderungsfragen, einen Alptraum und eine Zumutung.

Unzufrieden mit Immigration

Den "massiven Veränderungen", die solche Immigrationsströme bringen würden, müsse man rechtzeitig wehren, meint der Ukip-Politiker. Und zwar, indem man den Zuzug ins Königreich endlich wirksam einschränke. Diese Ansicht deckt sich mit der vieler seiner Landsleute. Laut jüngsten Umfragen des Instituts YouGov finden nämlich drei von vier Briten, dass es "in den letzten zehn Jahren zu viel Einwanderung" auf die Insel gegeben hat. 63 Prozent glauben außerdem, dass keine der etablierten Parteien in der Lage sei, den Zustrom aufzuhalten.

Diese Überzeugung ist vor allem seit der Veröffentlichung der Einwanderungszahlen fürs Vorjahr gewachsen. Praktisch verdoppelt hat sich die Netto-Immigration nach Großbritannien zwischen 2012 und 2014 - auf mittlerweile knapp 300.000 Personen im Vorjahr. Tory-Regierungschef David Cameron aber hatte seinen Landsleuten bei der Regierungsübernahme 2010 noch gelobt, die jährliche Rate auf unter 100.000 zu drücken.

"Ohne Wenn und Aber" hatte Cameron seinen Wählern eine solche Drosselung damals versprochen. Jetzt, wenige Wochen vor den Neuwahlen am 7. Mai, muss der Briten-Premier zugeben, dass ihm das nicht gelungen ist. Grund dafür, erklärt Cameron, sei der wirtschaftliche Erfolg Großbritanniens in den letzten Jahren, der immer mehr Ausländer ins Königreich gebracht habe und bringe.

Tatsächlich hat sich der Zustrom jüngst wieder verstärkt, nachdem er zeitweise abgeflaut war. Seit 2005 ist er nicht mehr so stark gewesen. Von innerhalb wie von außerhalb der EU ziehen Hunderttausende nach England. "Eine Demütigung" sei das Ganze für Cameron, urteilt die konservative "Times" harsch: "Ein spektakuläres politisches Versagen."

Das ist Wasser auf Ukips Mühlen. Die Anti-Immigrations-Partei hat ja bedingungslosen EU-Austritt auf ihre Fahnen geschrieben - und Austritt würde für sie das Ende der Personen-Freizügigkeit zwischen Insel und Kontinent bedeuten.

Ukip liegt bei 15 Prozent

Davon, dass bereits auf der Insel angesiedelte Europäer zwangsweise wieder in ihre Heimatländer zurückverfrachtet werden sollen, ist zwar nicht mehr die Rede, vor diesen Wahlen. Dafür will Ukip niemanden mehr ins Land lassen, der zum Beispiel an HIV oder Aids leidet. Überhaupt erwartet die Partei von jedem Zuwanderer, dass er privat krankenversichert ist, um nicht Englands nationalem Gesundheitswesen zur Last zu fallen.

YouGov prophezeit der Unabhängigkeits-Partei zwei Monate vor den Wahlen 15 Prozent der Wählerstimmen. Mit einem solchen Ergebnis würde Ukip zwar stimmenmäßig zur drittstärksten Partei im Königreich werden, doch wegen des vertrackten britischen Mehrheitswahlrechts kann sich die Partei dennoch wenig Hoffnung auf mehr als eine Handvoll Sitze machen kann.

Was Ukip aber gelingen könnte, wäre, in mehr als hundert Wahlkreisen des Landes auf Platz zwei vorzurücken und zur offiziellen Oppositionspartei zu werden. Derart mit "Silbermedaillen" behängt, hätte sich Ukip-Chef Nigel Farage eine hervorragende Ausgangsposition für die Kommunalwahlen der nächsten Jahre und für mögliche Parlaments-Neuwahlen geschaffen - falls eine Minderheitsregierung Labours oder der Konservativen vorzeitig ins Knie brechen und der Unmut im Lande mit den "beiden Großen" noch zunehmen sollte.