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Von nun an auf ewig

Von Simone Brunner

Politik

Die Krim feierte den Jahrestag des Referendums zum Anschluss an Russland mit bizarrer Mischung aus Bikertreff, Putin-Kult und Sowjetnostalgie.


Simferopol. Das Zentrum von Sewastopol ist in Abendsonne getaucht, vom Meer her peitscht der Wind. "Was feiern wir heute?" fragt der Mann mit Anzug und Fliege auf der Bühne lehrerhaft in die Menge. "Die Rückkehr nach Russland! Nach Hause! Sewastooooopol!" Die Menschen klatschen. "Sewastopol - Krim - Russland! Sewastopol - Krim - Russland!" Der Platzsprecher wiederholt die Worte wie ein Animateur, bis sich auch die Sprechchöre in der Menge ausweiten. "Heute genau vor einem Jahr haben wir Geschichte geschrieben! Das ist doch einen Applaus wert!" Die Menschen klatschen artig. "Ja, das freut uns!"

Am Montag wurde in Sewastopol unter dem Motto "Krimer Frühling" der Jahrestag des Referendums vor einem Jahr gefeiert. Am 16. März 2014 stimmten die Krim-Bewohner in einem umstrittenen Volksentscheid für einen Beitritt zur Russischen Föderation, nachdem schon zuvor russische Soldaten die ukrainische Halbinsel besetzt hatten.

Weiß-blau-rot - die Farben der russischen Nationalfarben dominieren das Stadtbild Sewastopols. Sticker und Transparente sind an Hauswänden angebracht, Autos fahren unter russischer Fahne. Im Theater an der Uferpromenade hat heute das Stück "Der Frühling von Simferopol" Premiere. Ein Plakat wirbt für ein Konzert "Für immer gemeinsam mit Russland". Nichts soll hier an die Vergangenheit in der Ukraine erinnern. Bekannte ukrainische Marken oder ukrainische Kontaktnummern wurden einfach überklebt. In den Souvenirläden an der Uferpromenade werden T-Shirts verkauft: "Panzer fürchten sich nicht vor Sanktionen".

"Der Höflichste von allen"

Auch Alexander Saldostanow ist für die Feiern nach Sewastopol gekommen. Er führt einen Tross von Motorradfahrern an, die mit wehenden Fahnen Russlands und der "Donezker Volksrepublik" im Stadtzentrum auffahren. Die Menschen jubeln. "Sewastopol hat nicht nur mein Leben verändert, sondern das von ganz Russland!" sagt er. Alte Frauen mit Kopftüchern stehen Schlange, um sich mit dem langhaarigen Mann in Lederjacke und dem markanten Halstattoo fotografieren zu lassen. Andere beschimpfen sich gegenseitig: "So gehen Sie doch endlich aus der Reihe!"

Eine Frau mit roten Haaren und Sonnenbrille ist die nächste. Sie knöpft ihre Jacke auf. "Ich möchte mit Putin auf das Bild!" Darunter trägt sie ein T-Shirt mit dem Konterfei des russischen Präsidenten. "Der Höflichste von allen", steht darauf - eine Anspielung auf die russischen Soldaten, die im Februar vor einem Jahr in der Krim ohne Hoheitszeichen einmarschierten - und die Halbinsel "ohne einen Schuss" einnahmen, wie hier gerne angemerkt wird.

Die Motorrad-Gang "Nachtwölfe" sind eine Mischung aus 1980er-Jahre-Trash, orthodoxen Kreuzzüglern und Kremltreuen. Vor einem Jahr traten sie schon in Sewastopol mit einer Biker-Show auf, gemeinsam mit dem US-amerikanischen Actionschauspieler Steven Seagal. Was bedeutet der Feiertag heute? "Wir haben gegen den globalen Satanismus Widerstand geleistet, und Sewastopol war dabei das Stalingrad des 21. Jahrhunderts", sagt Saldostanow. "Westeuropa betreibt die Zerstörung der alten Werte, mit De-Christianisierung, Homosexualität und Konsumrausch." Die alte Frau in seinem Arm schaut zufrieden. "23 Jahre lang ist die Krim von der Ukraine gedemütigt worden - das ist jetzt vorbei. Es gibt Dinge, die sind wichtiger als Geld!"

Der Diskurs ist hier vollkommen auf den Kopf gestellt: Nicht die Krim ist von Russland okkupiert, sondern die Krim war zuvor 23 Jahre lang von der Ukraine okkupiert worden, heißt es immer wieder. Die Annexion sei somit eine Art Befreiung: "Wir mussten so viele Jahre unter ukrainischer Besatzung leben und haben so lange auf diesen Tag gewartet", sagt Larissa, eine Pensionistin. "Die Ukraine hat uns ja nie etwas gebracht", sagt Jurij, ein Mitglied der Selbstverteidigungs-Kräfte der Krim. "In den 1990er Jahren mussten die Fabriken schließen und wir haben unsere Arbeit verloren." Eine alte Frau weht mit der Flagge der sowjetischen Marine und hält ein Stalin-Bild in die Höhe. Ein Kind schreit: "Ruhm Russland! Ruhm Wladimir Putin!"

"Haben Genozid verhindert"

Im Hintergrund zählt eine Leinwand die Tage bis zum 9. Mai, dem Feiertag zu Ehren des "Großen Vaterländischen Krieges", wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird, herunter. Es sind noch 54 Tage. Der "Kampf gegen die Faschisten in Kiew" hat den Konflikt in der Ukraine von Anfang an als wichtiges Narrativ zum Schutz der russischsprachigen Bevölkerung auf der Krim begleitet. "Ich bin froh, dass hier niemand mit der Faschistenflagge herummarschieren kann - nicht so wie in Kiew", sagt Ruslan, ein junger Mann im Tarnanzug. Er hat sich vor einem Jahr einer Miliz angeschlossen, um Sewastopol vor ukrainischen Nationalisten zu verteidigen. "Wir haben verhindert, dass es zu einem Genozid am russischen Volk kommt", stimmt Aleksej mit ein. "Warum unterstützt uns eigentlich Österreich nicht?" faucht er am Ende des Gesprächs.

Die Krim-Bewohner wurden zuletzt vor allem in Fernsehen auf diesen Tag der Feierlichkeiten eingestimmt. Am Vorabend hatte im russischen Fernsehen eine Dokumentation "Krim. Der Weg zurück in die Heimat" die wichtigsten Stationen der Krimkrise in pathetischen Bildern illustriert. In einem Interview sprach der russische Präsident Wladimir Putin davon, dass er auch bereit gewesen sei, Nuklearwaffen zur Verteidigung der Krim einzusetzen. Das Bild der Stärke kommt in Sewastopol sichtlich gut an: "Russland wird die Krim nie aufgeben. Eher zerfällt Russland, als dass das geschieht", sagt der Biker Saldostanow.